Leitsatz (amtlich)
Bei der Beurteilung, was zur Bearbeitung der Sache, insbesondere auch zur Vermeidung von unnötigen Verzögerungen, sachgemäß ist und welcher Aktenbestandteil deshalb zu kopieren ist, ist auf die Sicht abzustellen, die ein verständiger und durchschnittlich erfahrener Rechtsanwalt haben kann, wenn er sich mit der betreffenden Gerichtsakte beschäftigt und alle Eventualitäten bedenkt, die bei der dann noch erforderlichen eigenen Bearbeitung der Sache auftreten können. Dabei darf kein kleinlicher Maßstab angelegt werden.
Tenor
Auf die Erinnerung der Verteidigerin vom 21.10.2010 wird die Kostenfestsetzung der Rechtspflegerin des Amtsgerichts Bremen vom 14.10.2010 dahingehend abgeändert, dass weitere 392,82 EUR an die beigeordnete Verteidigerin zu zahlen sind.
Gründe
Die Verteidigerin wurde mit Beschluss vom 03.08.2010 beigeordnet. Mit Verfügung vom 19.08.2010 wurde der Verteidigerin antragsgemäß für die Dauer von drei Tagen Akteneinsicht gewährt. Mit Schriftsatz vom 13.09.2010 beantragte die Verteidigerin folgende Gebühren festzusetzen:
Grundgebühr (4100 VV) |
132,00 EUR |
Verfahrensgebühr (4106 VV) |
112,00 EUR |
Dokumentenpauschale (7000 VV) (2.084 Seiten) |
330,10 EUR |
Nettobetrag |
574,10 EUR |
19% Umsatzsteuer (7008 VV) |
109,08 EUR |
Bruttobetrag |
683,18 EUR |
Die Rechtspflegerin ließ die Verteidigerin auffordern, die gefertigten 2.084 Kopien zur Überprüfung einzureichen. Mit Beschluss vom 14.10.2010 setzte die Rechtspflegerin unter Absetzung der Dokumentenpauschale und entsprechender Kürzung der Umsatzsteuer 290,36 EUR fest. Zur Begründung der Absetzung der Dokumentenpauschale führte sie aus, dass eine Prüfung der Notwendigkeit der Kopien nicht habe erfolgen können, weil diese trotz Aufforderung nicht eingereicht worden seien. Gegen diesen Beschluss wendet sich die Verteidigerin mit der Beschwerde vom 21.10.2010. Die Rechtspflegerin half nicht ab.
Die Beschwerde vom 21.10.2010 ist als Erinnerung gemäß § 56 Abs. 1 S. 1 Rechtsanwaltsvergütungsgesetz (RVG) zulässig und begründet.
Gemäß Nr. 7000 Ziff. 1.a) der Anlage 1 zu § 2 Abs. 2 RVG (VVRVG) kann die Verteidigerin für Ablichtungen aus Behörden- und Gerichtsakten, soweit deren Herstellung zur sachgemäßen Bearbeitung der Rechtssache geboten ist, eine Pauschale geltend machen, die für die ersten 50 abzurechnenden Seiten je Seite 0,50 EUR und für jede weitere Seite 0,15 EUR beträgt. Bei der Beurteilung, was zur Bearbeitung der Sache, insbesondere auch zur Vermeidung von unnötigen Verzögerungen, sachgemäß ist, ist auf die Sicht abzustellen, die ein verständiger und durchschnittlich erfahrener Rechtsanwalt haben kann, wenn er sich mit der betreffenden Gerichtsakte beschäftigt und alle Eventualitäten bedenkt, die bei der dann noch erforderlichen eigenen Bearbeitung der Sache auftreten können. Dabei darf kein kleinlicher Maßstab angelegt werden. Es ist auf den objektiven Standpunkt eines vernünftigen Dritten abzustellen. Dem Rechtsanwalt ist ein gewisser Ermessensspielraum zu überlassen, denn er, nicht das Gericht, das nachträglich über die Berechnung oder Erstattbarkeit der Dokumentenpauschale zu entscheiden hat, ist für die ihm anvertraute Führung der Rechtssache verantwortlich (Müller-Rabe, in: Gerold/Schmidt, Rechtsanwaltsvergütungsgesetz, Kommentar, 19. Auflage (2010), 7000 VV Rn. 22 mit weiteren Nachweisen). Die Nachprüfung durch Außenstehende hat sich lediglich darauf zu beschränken, ob die Entscheidung des Verteidigers offensichtlich fehlerhaft getroffen wurde, das heißt ob Ablichtungen offensichtlich unnötig und überflüssig waren. Dies bedeutet für den Fall, dass der Verteidiger den gesamten Akteninhalt hat ablichten lassen, dass grundsätzlich auch diese Entscheidung vom Ermessen des Verteidigers gedeckt ist und eine Kürzung der geltend gemachten Kopierkosten nur dann gerechtfertigt ist, wenn konkret der Nachweis erbracht werden kann, dass auch aus der Sicht des Verteidigers einzelne Ablichtungen für eine sachgerechte Verteidigung in keinem Fall erforderlich waren (OLG Düsseldorf StV 2003, 177 (178)). Hierbei sind überdies die Besonderheiten des Einzelfalles zu beachten. Insbesondere ist zu berücksichtigen, inwieweit eine Prüfung der einzelnen Seiten einer Gerichtsakte auf Ablichtungsbedürftigkeit zumutbar ist (OLG Nürnberg StraFo 2010, 396). In diesem Zusammenhang ist dem Umfang der Strafakte und dem Zeitraum der Akteineinsichtsgewährung Rechnung zu tragen (OLG Düsseldorf JurBüro 1999, 359; OLG Düsseldorf StV 2003, 177 (178), AG Wuppertal StraFo 1999, 285).
In Anwendung der vorstehenden Grundsätze ist vorliegend nicht feststellbar, dass die Verteidigerin Kopien aus der Strafakte gefertigt hat, die zur sachgemäßen Bearbeitung nicht geboten waren. Die Akte des führenden Verfahrens umfasst neben dem Hauptband 14 lose im Aktendeckel einliegende Sonderakten und 56 Fallakten. Ohne Berücksichtigung der zahlreich vorhandenen doppelseitig beschriebenen beziehungsweise bedruckten Seiten ergibt sich bei überschlägiger Zählung ein Aktenumfang von mehr als 1.900 Seiten. Die Ab...