Leitsatz (amtlich)
1. Wird eine Klage auf Feststellung der Deliktseigenschaft abgewiesen und die Schuldnerin wegen Betruges zum Nachteil der Gläubigerin verurteilt, kann der Wiederaufnahmegrund des § 580 Nr. 4 ZPO erfüllt sein.
2. Das Zivilgericht ist inhaltlich nicht an das Strafurteil gebunden. Ob eine vorsätzlich begangene unerlaubte Handlung vorliegt, hat es selbständig zu prüfen.
Tenor
1.) Die Klage wird abgewiesen.
2.) Die Klägerin trägt die Kosten des Rechtsstreits.
3.) Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
4.) Die Klägerin kann die Zwangsvollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht zuvor die Beklagte Sicherheit in derselben Höhe leistet.
5.) Streitwert: bis zu 3.500,00 Euro.
Tatbestand
Die Klägerin macht gegen die Beklagte im Wege der Wideraufnahmeklage Ansprüche geltend auf Feststellung der Deliktseigenschaft zur Insolvenztabelle.
Die Klägerin war von Herbst 2006 bis März 2007 bei der Beklagten als kaufmännische Angestellte tätig. Im März 2007 begab die Klägerin der Beklagten ein Darlehn, für das die Beklagte ratenweise die vereinbarten Rückzahlungsbeträge an die darlehnsgewährende Bank bis Februar 2009 leistete. Auf Grund eines im Januar 2009 gestellten Antrages wurde am 08.05.2009 das Insolvenzverfahren über das Vermögen der Beklagten eröffnet (AG Göttingen 71 IN 6/09).
Der Anmeldung der Restdarlehensverpflichtung zur Tabelle als vorsätzlich begangene unerlaubte Handlung widersprach die Beklagte. Die auf Feststellung der Deliktseigenschaft gerichtete Klage hat das Amtsgerichts Göttingen mit Urteil vom 16.06.2010 (21 C 7/10) abgewiesen.
Mit Urteil vom 24.05.2011 wurde die Beklagte u. a. wegen gewerbsmäßigen Betruges zu lasten der Klägerin zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 2 Jahren, ausgesetzt zur Bewährung, verurteilt (Urteil des Amtsgerichts Einbeck 3 Ls 23 Js 14060/09). Die Verurteilung erfolgte nach einem Geständnis der Beklagten. Die entsprechenden Feststellungen hinsichtlich der Straftat zum Nachteil der Klägerin finden sich auf Seite 3 der Urteilsgründe unter Ziff. 4 (Blatt 11 der Akten).
Unter Hinweis auf die strafrechtliche Verurteilung begehrt der Kläger im Wege der Wideraufnahme, das Urteil des Amtsgerichtes Göttingen aufzuheben und die Beklagte entsprechend den im Vorprozess gestellten Anträgen zu verurteilen.
Die Klägerin beantragt,
1. Das Urteil des Amtsgerichts Göttingen vom 16.06.2010 mit dem Aktenzeichen 21 C 7/10 aufzuheben;
2. festzustellen, dass die Forderungen der Klägerin über 9.350,00 Euro und weitere 2.800,00 Euro, angemeldet zur Insolvenztabelle im Insolvenzverfahren über das Vermögen der Beklagten -71 IN 6/09 EIN des Amtsgerichts Göttingen - zur laufenden Nummer 12, aus der vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlung der Beklagten stammen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie nimmt ein Täuschung der Klägerin im Vorprozess in Abrede und weist darauf hin, dass dem Strafurteil eine Vereinbarung voraus gegangen sei. Zudem handelt die Klägerin rechtsmissbräuchlich, da sie im Zivilverfahren nicht die Aussetzung des Verfahrens bis zur Entscheidung im Strafverfahren beantragt habe.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist abzuweisen.
Der Antrag auf Wiederaufnahme ist zumindest unbegründet, jedenfalls aber sind die Voraussetzungen für eine vorsätzlich begangene unerlaubte Handlung nicht dargelegt.
1) Die Klägerin beruft sich zunächst auf den Wiederaufnahmegrund des § 580 Nr. 7 b ZPO. Diese Vorschrift erfasst grundsätzlich nur zur Zeit des Vorprozesses bereits errichtete Urkunden. Nach überwiegender Ansicht genügt es auch, wenn nur die Tatsachen, auf die sich die Urkunde bezieht, bereits zum Zeitpunkt des Vorprozesses verortet sind, die Urkunde aber noch nicht vor Abschluss des Vorprozesses errichtet werden konnte (Putting/Gehrlein/Meller-Hannich, ZPO § 580 Rn. 14). So verhält es sich hier nicht. Die strafgerichtliche Verurteilung erging erst nach Abschluss des Vorprozesses, sie bezieht sich auch nicht auf bis zu diesem Zeitraum verortete Tatsachen (wie z. B. Geburtsurkunde bzgl. des Empfängniszeitpunktes oder nachträglicher Anerkennungsbescheid über Schwerbehinderung im Kündigungsschutzprozess).
2) Weiter beruft sich die Klägerin auf den Wiederaufnahmegrund des § 580 Nr. 4 ZPO. Danach findet die Restitutionsklage statt, wenn das Urteil "durch eine in Beziehung auf den Rechtsstreit verübte Straftat erwirkt ist". Darunter fallen insbesondere Fälle des Prozessbetruges gem. § 263 StGB und auch von § 580 Nr. 1 und 3 ZPO nicht erfasste Wahrheitsverstöße etwa durch unwahre Behauptungen oder falsche Beweisführungen, wenn die weiteren Voraussetzungen des § 263 StGB gegeben sind (ders. aaO. Rz. 8).
a) Daran fehlt es hier.
Wegen Prozessbetruges im vorherigen Verfahren 21 C 7/10 Amtsgericht Göttingen ist die Beklagte nicht verurteilt worden. Die Verurteilung erfolgte vielmehr wegen gewerbsmäßi...