Leitsatz (amtlich)
1. Zur Absicherung der Gläubiger, die in der Voreröffnungsphase Leistungen erbracht haben, die zur Unternehmensfortführung benötigt werden, kommt grundsätzlich nur die Anordnung der „starken” vorläufigen Insolvenzverwaltung gemäß § 21 Abs.2 Nr.2 1.Alt InsO in Betracht (Bestätigung von AG Hamburg ZIP 2003, 43 „UfA”).
2. Das sog. Treuhandkontomodell zur Absicherung dieser Gläubiger steht nicht in Einklang mit der Insolvenzordnung. Es ermöglicht dem vorläufigen Insolvenzverwalter eine Unternehmensfortführung, ohne dass die Masse namentlich mit Forderungen aus Miet- und Leasingverträgen sowie Umsatzsteuerforderungen belastet wird. Deshalb genügt dieses Modell nicht den Anforderungen, die an dieMarktkonformität der Insolvenzabwicklungzu stellen sind.
Tatbestand
I. Die Schuldnerin, eine eingetragene Genossenschaft (eG), betreibt unter anderem in Eigenregie fünf Einzelhandelsgeschäfte in Norddeutschland, welche Tabakartikel, Raucherbedarf, Zeitschriften, Süßigkeiten, Getränke und das insoweit übliche Sortiment vertreiben. Am 26.5.2003 stellte sie Insolvenzantrag. Durch Beschluss vom 26.5.2003 wurde Rechtsanwalt R. zum sog. „schwachen” vorläufigen Insolvenzverwalter bestellt. Der Geschäftsbetrieb der Schuldnerin wird derzeit fortgeführt. Eine Übertragung dieses Geschäftsbereichs auf einen strategischen Partner ist konkret in Aussicht genommen. Zur Aufrechterhaltung des Geschäftsbetriebs ist die Belieferung der Schuldnerin – bzw. der einzelnen Ladengeschäfte – durch Lieferanten erforderlich. Aufgrund des Insolvenzeröffnungsverfahrens ist durch diese Lieferanten unter dem Eindruck der Rechtsprechung des BGH zur Begründung sonstiger Masseverbindlichkeiten durch den sog. „schwachen” vorläufigen Insolvenzverwalter (BGH ZIP 2002, 1625) das Verlangen an diesen herangetragen worden, ihre Lieferungen entweder im Wege der „Vorkasse” auszugleichen oder persönliche Haftungszusagen abzugeben. Andernfalls sei die weitere Belieferung ausgeschlossen, was zwangsläufig zu einer faktischen Einstellung des Geschäftsbetriebs und zur Vernichtung sämtlicher Erhaltungs- und Sanierungsmöglichkeiten führen würde.
Der vorläufige Insolvenzverwalter beantragt, ihn zu ermächtigen, zur Abwicklung von Lieferver-trägen ein gesondertes, durch seinen Sozius Rechtsanwalt S. treuhänderisch geführtes Anderkonto (Vollrechtstreuhandkonto) einrichten zu lassen, auf welches die Abnehmer der Schuldnerin schuldbefreiend leisten, während die insoweit treuhänderisch eingezogenen Beträge vollumfänglich zur Befriedigung der während des Insolvenzeröffnungsverfahrens entstehenden Lieferantenverbindlichkeiten der Schuldnerin bestimmt sind (sog. „Treuhandkontenmodell”).
Hilfsweise beantragt er, der Schuldnerin gemäß § 21 Abs.2 Nr.2 1.Alt. InsO ein allgemeines Verfügungsverbot aufzuerlegen.
Diese Anträge hat er wie folgt begründet: Die finanzielle Situation des von hier gesicherten Schuldnervermögens lasse einen Ausgleich der Lieferantenverbindlichkeiten in engem zeitlichen Zusammenhang mit der Lieferung (sog. „Bargeschäft”) nicht zu. Das in der Insolvenzeröffnungspraxis wohl weit verbreitete „persönliche Gutsagen” des vorläufigen Insolvenzverwalters lasse sich mit dessen Rechtstellung nur ganz ausnahmsweise vereinbaren. Insolvenzgerichtliche Einzelermächtigungen des sog. „schwachen” vorläufigen Insolvenzverwalters im Sinne der oben zitierten Rechtsprechung des BGH zur Begründung von sonstigen Masseverbindlichkeiten im Sinne des § 55 InsO kämen vorliegend aufgrund der Vielzahl der betroffenen Lieferanten nicht in Betracht (AG Hamburg ZIP 2003, 43).
Entscheidungsgründe
II. Das Insolvenzgericht hat den (bisherigen) „schwachen” vorläufigen Insolvenzverwalter zum „starken” vorläufigen Insolvenzverwalter bestellt. Zutreffend weist der vorläufige Insolvenzverwalter darauf hin, dass ein „persönliches Gutsagen” zur Absicherung der Lieferantenverbindlichkeiten nicht in Betracht kommen kann, da eine solche Zusage keinen rechtsverbindlichen Charakter hat; dies dürfte heute unstreitig sein. Der vorläufige Insolvenzverwalter verkennt allerdings, dass auch eine Absicherung über ein Treuhandkonto nicht in Betracht kommt. Die Einrichtung eines solchen Treuhandkontos stellt eine Umgehung des § 21 Abs.2 Nr.2 1.Alt. InsO dar und ist deshalb insolvenzzweckwidrig und damit unzulässig. Dies hat das Gericht bereits in der „UfA”-Entscheidung (AG Hamburg ZIP 2003, 43) entschieden, dort allerdings obiter. An dieser Einschätzung hält das Gericht fest.
Dabei verkennt das Gericht nicht, dass dieses sogenannte „Treuhandkontenmodell” in der insolvenzrechtlichen Praxis häufig zu beobachten und in der Literatur teilweise befürwortet worden ist (Kreft in FS Merz, 1992, 313 ff; Uhlenbruck, InsO, 12.Aufl., § 47 Rz.44; Heidrich/Prager NZI 2002, 653 ff; Undritz NZI 2003, 136 ff.). Bei diesem Modell beliefern die Lieferanten die Schuldnerin während des Insolvenzeröffnungsverfahrens, während gleichzeitig durch einen „uneigennützigen Treuhänder” zugunsten der Lieferanten ein „echtes” Treuhandkon...