Leitsatz (amtlich)
Das Insolvenzgericht darf eine Verfahrenseröffnung wegen Abwartens einer „Erholung” der Schuldnerin nur dann verzögern, wenn diese „Erholung” im Sinne eines Wegfalles der Zahlungsunfähigkeit und/oder Überschuldung im Eröffnungsverfahren sehr zeitnah erfolgen kann, mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit glaubhaft gemacht und den Gläubigern zumutbar ist.
Normenkette
InsO § 17
Tenor
Das Insolvenzverfahren wird eröffnet.
Tatbestand
Sachverhalt:
Unter dem 10.10.2007 stellte eine Sozialversicherungsträgerin gegen die Schuldnerin (GmbH) wegen ausstehender Sozialversicherungsbeiträge in Höhe von EUR 5 807,77 (Zeitraum: 1.3.2007 – 31.8.2007) Insolvenzantrag. Vorausgegangen war ein fruchtloser Vollstreckungsversuch. Nach Anhörung der Schuldnerin bestellte das Insolvenzgericht am 4.11.2007 Rechtsanwalt D. zum gerichtlichen Sachverständigen, der wegen laufendem Geschäftsbetrieb und EUR 9 000,– liquiden Mitteln bei Verbindlichkeiten von rund EUR 70 000,– unter dem 5.11.2007 die vorläufige „schwache” Insolvenzverwaltung anregte, die so beschlossen wurde. im Wege der „vorweggenommenen Erbschaft” wolle der Gesellschaftergeschäftsführer „kurzfristig” EUR 170 000,– generieren. Die Beurkundung stünde in etwa 10 Tagen an. Unter dem 26.11.2007 erstattete der vorläufige Verwalter ein zweiten Zwischenbericht in dem er Verbindlichkeiten der Schuldnerin in Höhe von EUR 211 331,88 feststellte und mitteilte, die Unternehmung solle mit Gesellschafterdarlehen in Höhe von EUR 220 000,– aus persönlichen Mitteln versehen werden. Der Gesellschafter erhalte diese aus einer Immobilienveräußerung im Kreis der Familie, die bereits beurkundet sei, der Kaufpreis solle „im Laufe des Monats Dezember” gezahlt werden. Der vorläufige Insolvenzverwalter beantragte eine Fristverlängerung zur weiteren Berichterstattung bis zum 21.12.2007, da er es für vertretbar halte, abzuwarten.
Entscheidungsgründe
Die Schuldnerin ist zahlungsunfähig gem. § 17 InsO. Die fälligen Forderungen betragen nach dem Zwischenbericht des gerichtlichen Sachverständigen mindestens EUR 211 331,88. Seit mehreren Monaten (seit März 2007) hat die Schuldnerin entgegen § 266a StGB die Sozialversicherungsbeiträge bei der Antragstellerin nicht gezahlt. Auch bei der WMF Betriebskrankenkasse bestehen seit Monaten (seit Oktober 2006) Rückstände mit Sozialversicherungsbeiträgen (Akte AG Hamburg 67c IN 302/07).
Gem. BGH-Entscheidung v. 24.5.2005 (IX ZR 123/04) (ZInsO 2005, 807=ZIP 2005, 1426; siehe Anmerk. Bruns, EWiR 2005, 767) besteht Zahlungsunfähigkeit, wenn ein Schuldner nicht binnen drei Wochen in der Lage ist, 90 % seiner fälligen Gesamtverbindlichkeiten auszugleichen (d.h.: Liquiditätslücke unter 10 % =Zahlungsfähigkeit), oder, wenn ersichtlich wahrscheinlich ist, daß die Liquiditätslücke demnächst mehr als 10 % erreichen wird.
Das Erreichen des Schwellenwertes stellt eine widerlegliche Vermutung für die Zahlungsunfähigkeit auf. Dies steuert die Darlegungslast für die „Zukunftsprognose” (unter 10 %: Gerichtliche Feststellung, Substantiierung Fremdantragsteller, über 10 %: Darlegung Schuldner/Geschäftsführer der Erholungsprognose). „Zahlungsstockung” ist ein Zeitraum von Illiquidität, die eine kreditwürdige Person braucht, um sich die benötigten Geldmittel zu leihen. Aus § 64 Abs. 1 GmbHG sei dafür ein Zeitraum von längstens drei Wochen abzuleiten. („Zeitraum-Illliquidität”).
Eine dem gemäße Erholungsprognose hat der Geschäftsführer der Schuldnerin nicht glaubhaft gemacht. Denn:
Kann die Liquiditätslücke innerhalb von mehr als drei Wochen mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit vollständig oder fast vollständig beseitigt werden, und ist den Gläubigern ein Zuwarten unter den besonderen Umständen des Einzelfalles zuzumuten, entfällt die Zahlungsunfähigkeit (BGHZ 163, 119, 134, 145 f.; BGH ZIP 2006, 2222=WM 2006, 2312, 2314). Gem. BGH v. 19.7.2007 (ZIP 2007, 1666, 1669=ZInsO 2007, 939) sind in die Liquiditätsbilanz nur die aktuell verfügbaren liquiden Mittel und die kurzfristig verwertbaren Vermögensbestandteile aufzunehmen, z.B. Bankguthaben, Kassenbestand, PKW und monatlich zu erwartende Zahlungen, nicht Geschäftseinrichtung oder Anfechtungsansprüche.
Voraussetzung ist aber, dass die zu prognostizierende Erholung der Schuldnerin sehr zeitnah nach der bereits erfolgten Insolvenzantragstellung durch einen Gläubiger mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit erfolgen kann. Im vorliegenden Fall dauert das Eröffnungsverfahren bereits seit dem 12.10.2007 an. Die Schuldnerin hat nur die unsubstantierte Erwartung auf eine Zahlung aus einem Immobiliengeschäft der Familie des Geschäftsführers dargetan, die sich über EUR 220 000,– belaufen soll. Eine Liquiditätsprognose, die substantiiiert glaubhaft macht (Mittel: § 294 ZPO), dass diese Summe die Zahlungsunfähigkeit sicher beseitigt und vor allem, dass diese Summe sicher fliessen wird, liegt nicht vor. Vielmehr wird als Zeithorizont nur ungenau „im Laufe des Monats Dezember” vom gerichtlichen Gutachter angegeben, der ...