Orientierungssatz
1.
Die Schwiertigkeit der Sach- und Rechtslage i.S. des § 140 Abs. 2 StPO kann sich im Einzelfall bei einer Anklage im Wege der Wahlfeststellung ergeben.
2.
Bei der im Rahmen des § 140 Abs. 2 StPO vorzunehmenden Rechtsfolgenbetrachtung kommt es nicht darauf an, ob mit einer zu verbüßenden Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr oder einer Bewährungssrafe zu rechnen ist.
3.
Schwerwiegende mittelbare Nachteile infolge einer zu erwartenden Verurteilung liegen auch bei offenen Bewährungsstrafen erst dann vor, wenn deren Widerruf nach den konkreten Umständen hinreichend droht.
Tenor
In der Strafsache ... wegen Verdachts des Diebstahls in einem besonders schweren Fall oder der Hehlerei wird dem Angeschuldigten Rechtsanwalt P. aus L. als Pflichtverteidiger beigeordnet.
Gründe
Die Verteidigung des Angeschuldigten ist gemäß § 140 Abs. 2 StPO notwendig.
Danach ist ein Verteidiger zu bestellen, wenn wegen der Schwere der Tat oder wegen der Schwierigkeit der Sach- oder Rechtslage die Mitwirkung eines Verteidigers geboten erscheint.
Dem Angeschuldigten wird von der Staatsanwaltschaft im Wege der wahldeutigen Anklage die Begehung entweder eines Diebstahls in einem besonders schweren Fall gemäß § 243 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 StGB, nämlich des Diebstahls eines mittels eines Schlosses gesicherten Fahrrades, oder einer Hehlerei des von ihm besessenen und später verkauften Fahrrades gemäß § 259 Abs. 1 StGB - Tatzeitpunkte jeweils Anfang Februar 2011 - vorgeworfen.
Die dem Angeschuldigten vorgeworfenen - einander ausschließenden - Taten sind für sich gesehen nicht als "schwer" im Sinn des § 140 Abs. 2 StPO zu beurteilen. Die Schwere der Taten ergibt sich grundsätzlich aus den konkreten Rechtsfolgen der Tat, mithin aus der zu erwartenden Sanktion und den abzusehenden Auswirkungen auf den Angeschuldigten/Angeklagten (zu mittelbaren Wirkungen später). Die insoweit nach der überwiegenden Rechtsprechung maßgebliche Erwartung von mindestens einem Jahr Freiheitsstrafe (vgl. Meyer-Goßner, StPO, 54. A. 2011, § 140 Rdn. 23 m.w.N.), jedenfalls wenn die Vollstreckung nicht zur Bewährung ausgesetzt wird (so etwa BayObLG NJW 1995, 2738 m.w.N.), besteht im vorliegenden Fall trotz des nach § 243 Abs. 1 StGB verschärften Strafrahmens und einer im Mindestmaß erhöhten Freiheitsstrafe von drei Monaten, was bei der im jetzigen Zeitpunkt zu prognostizierenden Rechtsfolgenentscheidung zunächst zu Grunde zu legen ist (zur späteren Strafwahl bei Verurteilung auf wahldeutiger Grundlage, vgl. BGH NStZ 2000, 473, 474; Eser/Hecker, in Schönke/Schröder, StGB, 28. A. 2010, § 1 Rdn. 108), sowie der auch zahlreichen und wiederholt im engeren und weiteren Sinn einschlägigen Vorverurteilungen des Angeschuldigten wegen Vermögensdelikten, überwiegend geahndet indes mit Geldstrafen, noch nicht.
Auch die Sach- und Rechtslage stellt sich für sich betrachtet noch nicht als in einem Maß "schwierig" dar, das die Beiordnung gebietet. Schwierig ist die Sachlage insbesondere, wenn es um eine umfangreiche oder komplexe Beweisaufnahme geht oder eine schwierige Beweiswürdigung zu erwarten steht (vgl. etwa BGHSt 15, 306, 307; Meyer-Goßner, a.a.O., § 140 Rdn. 26 a m.w.N.). Eine schwierige Rechtslage ist dann gegeben, wenn bei Anwendung des materiellen oder formellen Rechts auf den konkreten Sachverhalt bislang nicht ausgetragene Rechtsfragen zu entscheiden sind, etwa wenn nicht schon durch eine einfache Subsumtion des Anklagesatzes unter die Strafvorschrift die Strafbarkeit oder ihr Umfang zu erkennen ist (Meyer-Goßner, a.a.O., Rdn. 27 a m.w.N.). Erforderlich ist dann eine Gesamtwürdigung von Sach- und Rechtslage, um den Schwierigkeitsgrad zu beurteilen (KG NJW 2008, 3449; OLG Brandenburg NJW 2009, 1287). Einzeln betrachtet werfen die einander ausschließenden Delikte keine solchen Rechtsfragen auf, auch nicht in der Gesamtschau mit der jeweils zu Grunde liegenden Sachlage. Die wahldeutigen Sachverhalte sind für sich überschaubar und entsprechend einzustufen.
Ob hingegen die prozessuale Besonderheit einer Anklage auf wahldeutiger Grundlage schon für sich eine Verteidigung notwendig im Sinn des § 140 Abs. 2 StPO machen kann, ist soweit ersichtlich von Rechtsprechung und Schrifttum noch nicht behandelt worden. Dies erscheint auch nicht von vornherein als fernliegend, selbst wenn es sich bei den wahldeutigen Taten um Vergehen handelt. Für ein solches Verständnis könnte einerseits sprechen, dass die Zulässigkeit einer Wahlfeststellung bestimmten Bedingungen prozessualer und materieller Art unterliegt. So sind besondere Feststellungen in tatsächlicher Hinsicht veranlasst, insbesondere hat die Sachaufklärung sich auf zumindest zwei prozessuale Taten (§ 264 Abs. 1 StPO) zu erstrecken (vgl. Eser/Hecker, a.a.O., Rdn. 78 f.), was ggf. eine sachgemäße Verteidigung berührt. Auf der anderen Seite dürften diese Anforderungen nicht per se zu einer Schwierigkeit der Sachlage bei jeder wahldeutigen Anklage führen, insbesondere wenn - wie vorliegend - die Sachverhalte überschaubar sind. In...