Leitsatz (amtlich)
Für die Terminsgebühr nach Vorbem. 4 Abs. 3 Satz 2 VV RVG ist entscheidend, ob der Termin für den jeweiligen Rechtsanwalt "nicht stattgefunden hat", unerheblich ist, wenn der Termin ggf. mit einem anderen Rechtsanwalt durchgeführt worden ist.
Verfahrensgang
AG Marburg (Entscheidung vom 11.05.2011) |
Nachgehend
Tenor
Der Beschluss des Amtsgerichts Marburg vom 11.05.2011 wird dahingehend abgeändert, dass zusätzlich zu der bereits festgesetzten und zur Auszahlung gebrachten Vergütung des Rechtsanwalts Stefan A., Marburg, noch eine weitere Vergütung in Höhe von 218,96 EUR festgesetzt wird.
Die Entscheidung ergeht gerichtsgebührenfrei.
Kosten werden nicht erstattet.
Gründe
1.
Im Strafverfahren wurde dem Angeklagten vorgeworfen, ohne Fahrerlaubnis gefahren zu sein. Ihm wurde mit Beschluss vom 19.1.2011 Rechtsanwalt Stefan A. als Verteidiger beigeordnet, weil er unter Bewährung stand (§ 140 Abs. 2 StPO). Mit Schreiben vom 27.1.2011 meldete sich Rechtsanwalt L. für den Angeklagten. Mit Schreiben vom 8.2.2011 beantragte er, die Verteidigerbeiordnung des Rechtsanwalts A. aufzuheben, weil sich der Angeklagte einen anderen Verteidiger genommen habe. Mit Schreiben vom 16.2.2011 wies der erkennende Richter beide Verteidiger auf die Rechtsprechung des Oberlandesgerichts Frankfurt zur Frage des Verteidigerwechsels, der dazu dient, den gewählten Verteidiger zum Pflichtverteidiger zu machen, hin. Mit Schreiben vom 17.2.2011 teilte Rechtsanwalt A. mit, dass er gegen den Wechsel des Pflichtverteidigers keine Bedenken habe. Darüber hinaus bat der um Mitteilung, ob er zum Verhandlungstermin am 21.2.2011 kommen müsse. Rechtsanwalt L. erklärte erst circa 20 Minuten vor Beginn der Hauptverhandlung mündlich gegenüber dem erkennenden Richter, dass er bereit sei, für den Fall seiner Beiordnung auf alle Herrn Rechtsanwalt A. entstanden Pflichtverteidigergebühren zu verzichten. Diesen Verzicht erklärte er sodann nach Beginn der Hauptverhandlung zu Protokoll (Blatt 65 der Akten). Die vor dem Termin signalisierte Bereitschaft konnte Herrn Rechtsanwalt A. erst unmittelbar vor dem Termin persönlich im Dienstzimmer von JHS K. mitgeteilt werden. Beim Aufruf der Sache waren nur die aus dem Hauptverhandlungsprotokoll ersichtlichen Personen anwesend. Herr Rechtsanwalt A. war nicht anwesend. Der Angeklagte wurde rechtskräftig freigesprochen. Mit Beschluss vom 11.5.2011 hat das Amtsgericht Marburg die von Herrn Rechtsanwalt A. geltend gemachte Vergütung uni die Terminsgebühr zuzüglich 19% Umsatzsteuer von 218,96 EUR gekürzt. Zur Begründung hat das Gericht ausgeführt, dass die Terminsgebühr nur dann entstehe, wenn er sich als Verteidiger bei Aufruf der Sache im Sitzungssaal befinde und seine Anwesenheit daher im Hauptverhandlungsprotokoll dokumentiert sei.
Die Erinnerung ist statthaft (§§ 55, 56 Abs. 1 S. 1 RVG). Sie ist auch begründet.
Der Verteidiger hat einen Anspruch auf die Terminsgebühr zuzüglich der sich hieraus ergebenden Umsatzsteuer von 19% gemäß § 48 Abs. 5 RVG, Vorbemerkung 4 Abs. 3 VV-RVG in Verbindung mit § 675 BGB in Verbindung mit § 670 BGB in Verbindung mit Nr. 4108 W-RVG in Verbindung mit dem Beiordnungsbeschluss.
Gemäß der Vorbemerkung 4 Abs. 3 W-RVG entsteht die Terminsgebühr für die Teilnahme an gerichtlichen Terminen, soweit nichts anderes bestimmt ist. Der Rechtsanwalt erhält die Terminsgebühr auch, wenn er zu einem anberaumten Termin erscheint, dieser aber aus Gründen, die er nicht zu vertreten hat, nicht stattfindet. Dies gilt nicht, wenn er rechtzeitig von der Aufhebung oder Verlegung des Termins in Kenntnis gesetzt worden ist.
Das Entstehen der Terminsgebühr setzt voraus, dass ein gerichtlicher Termin stattgefunden und der Rechtsanwalt daran teilgenommen hat. Teilnahme bedeutet grundsätzlich lediglich die körperliche Anwesenheit des Rechtsanwalts im Termin (vgl. Katz in Beck'scher Online-Kommentar RVG, Edition 14, Stand 16.05.2011, Vorbemerkung 4, Rn 63 f.).
Das ist in Fällen wie dem vorliegenden anzunehmen, wenn der Verteidiger in der Absicht, an der Verhandlung teilzunehmen, das Gerichtsgebäude betritt (vgl. Kotz in Beck'scher Online-Kommentar RVG, Edition 14, Stand 16.05.2011, Vorbemerkung 4, Rn 65 f.).
Dieser weitere Teilnahmebegriff ergibt sich vorliegend aus dem Zweck der Terminsgebühr. Der Gebührentatbestand erfasst jede Tätigkeit des Rechtsanwalts im gerichtlichen Termin, daneben auch die konkrete Terminsvorbereitung und gegebenenfalls dessen Nachbereitung. Als mit abgegoltene Tätigkeiten außerhalb des Termins kommen dabei das Aktenstudium (terminsbezogen), Anträge (Vorbereitung/Formulierung), Gespräche mit Staatsanwaltschaft und Gericht über den Ablauf des Termins, Informationsaufnahme und Informationsbeschaffung (terminsbezogen), ein Mandantengespräch (terminsbezogen), Notizen, Tätigkeiten im Rahmen des Täter-Opfer-Ausgleichs ohne "Verhandlung" (terminsbezogen), eine Tatortbesichtigung (terminsbezogen), ein Terminsbericht an den M...