Leitsatz (amtlich)
1. Nachgang zu den Beschlüssen des AG Meißen vom 09.10.2009, Az. 13 Owi 705 Js 36235/09 und vom 12.11.2009, Az. 13 Owi 703 Js 42058/09 im Hinblick auf die Beschlüsse des OLG Dresden vom 02.02.2010, Az. Ss (Owi) 788/09 und 05.03.2010, Az. Ss Bs 142/10 in dieser Sache.
2. Ein Anfangsverdacht kann nicht durch bloße visuelle Verkehrsbeobachtung basierende Schätzung von Geschwindigkeit und Abstand ohne jegliche technische Hilfsmittel gewonnen werden.
Tenor
Gründe
I
Dem Betroffene war im Bußgeldbescheid der Bußgeldstelle ... vom ... vorgeworfen worden, am ... um ... als Führer des PKW ... mit dem amtlichen Kennzeichen ... auf der BAB A4 Dresden-Aachen in Höhe Kilometer ... bei einer Geschwindigkeit von 150 km/h den erforderlichen Abstand von 75,00 m zum vorausfahrenden Fahrzeug nicht eingehalten zu haben. Der Abstand habe lediglich 21,00 m und damit weniger als 3/10 des halben Tachowertes betragen. Toleranzen seien hierbei bereits berücksichtigt worden.
Hierwegen war gegen den Betroffenen ein Bußgeld in Höhe von 240,00 EUR sowie ein einmonatiges Fahrverbot - anzutreten binnen vier Monaten seit Rechtskraft - festgesetzt worden.
Die Geschwindigkeits- und Abstandsmessung erfolgte mit dem Verkehrsüberwachungsgerät vom Typ VIDIT VKS 3.01. Messbeamter war der Zeuge P..
Über den angeblichen Verkehrsverstoß ist eine Videoaufzeichnung gefertigt worden.
II
Dem Betroffenen war die Tat nicht nachzuweisen.
Er hat keine Angaben zur Sache gemacht.
Die Örtlichkeit ist gerichtsbekannt. Es handelt sich um eine sechsspurige Autobahn. Die Höchstgeschwindigkeit ist nicht begrenzt. An der im Bußgeldbescheid bezeichneten Stelle befindet sich eine über die Autobahn führende Brücke, von der aus die Verkehrsüberwachung mit dem Abstands- und Geschwindigkeitsüberwachungsgerät VIDIT VKS 3.01 erfolgte.
Die Messeinrichtung war zum Tatzeitpunkt geeicht.
Die gefahrene Geschwindigkeit ergibt sich aus der Verlesung der Messdaten.
Das Messverfahren ist vollautomatisiert und menschliche Handhabungsfehler sind praktisch ausgeschlossen. Die Bedingungen seiner Anwendbarkeit und seines Ablaufs sind so festgelegt, dass unter gleichen Voraussetzungen gleiche Ergebnisse zu erwarten sind. Es handelt sich hierbei um ein sog. standardisiertes Messverfahren, vgl. OLG Dresden DAR 2005, 637. In dieser Entscheidung ist die Funktionsweise des Gerätes im Einzelnen beschrieben. Hierauf und auf die Ausführungen im Beschluss des AG Meißen in dieser Sache vom 09.10.2010 wird Bezug genommen.
Die Zuordnung der Messdaten zum Betroffenen ist indes nicht möglich. Der Betroffene hat in der Hauptverhandlung von seinem Recht, sich nicht zur Sache zu äußern, Gebrauch gemacht. Der Verteidiger hat die Fahrereigenschaft bestritten.
Die Hinzuziehung des durch die Messanlage gefertigten Videos zum Zwecke der Fahreridentifikation ist dem Gericht verwehrt. Denn das Video unterliegt einem Beweisverwertungsverbot, da es bereits nicht hätte gefertigt werden dürfen.
Dabei kommt es nicht darauf an, ob der Betroffene oder sein Verteidiger - wie es hier tatsächlich geschehen ist - der Verwertung widerspricht. Denn die Prüfung eines Beweismittels auf deren Verwertbarkeit beinhaltet die Prüfung, ob deren Beschaffung gegen insbesondere Grundrechte verstößt und führt dann, wenn dies der Fall ist, zu deren von Amts wegen zu berücksichtigender Unverwertbarkeit.
Die Videoaufzeichnung verletzt das Recht der betroffenen Fahrzeugführer auf deren Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung als Bestandteil des allgemeinen Persönlichkeitsrechts aus Art. 1 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 2 Abs. 1 GG.
(Video-)aufzeichnungen stellen einen Eingriff in dieses hochrangige Grundrecht dar (BVerfG v. 11.08.2009, 2 BvR 941/08, Rz. 15 f.; BVerfG v. 17.02.2009, 1 BvR 2492/08; BVerfGE 120, 378, 397 ff.), insbesondere im Falle der Vorbereitung hoheitlich belastender Verwaltungsakte (BVerfG NVwZ 2007, 688, 689). Die Eingriffsqualität entfällt auch nicht etwa dadurch, dass lediglich Verhaltensweisen im öffentlichen (Verkehrs-)Raum erhoben wurden, nachdem das allgemeine Persönlichkeitsrecht nicht allein den Schutz der Privat- und Intimsphäre gewährleistet, sondern auch in Gestalt des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung auch den informationellen Schutzinteressen des Einzelnen, der sich in die Öffentlichkeit begibt, Rechnung trägt (BVerfG, 2 BvR 941/08 v. 11.08.2009, Rz. 16 f. m.w.N.)
Das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung kann im überwiegenden Allgemeininteresse eingeschränkt werden. Eine solche Einschränkung bedarf einer gesetzlichen Grundlage, die dem rechtsstaatlichen Gebot der Normenklarheit entspricht und verhältnismäßig ist (vgl BVerfG, a.a.O., ≪401 ff≫).
Nach zwischenzeitlich überwiegender Auffassung kommt als Ermächtigungsgrundlage insbesondere für Videoaufzeichnungen im Straßenverkehr § 100 h Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StP...