Entscheidungsstichwort (Thema)
Bedeutung der Freigabeerklärung im Zwangsvollstreckungsrecht
Leitsatz (amtlich)
1. Der Insolvenzschuldner bedarf für das Betreiben der Zwangsvollstreckung auch aus vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens titulierten Forderungen einer Freigabeerklärung des Insolvenzverwalters.
2. An die Bestimmtheit der Freigabeerklärung sind hohe formale Anforderungen zu stellen, da sie die Rechtsnachfolgeklausel des § 727 ZPO ersetzen soll.
3. Eine ohne Bezeichnung der konkreten Forderung und ohne Datum erteilte Freigabeerklärung erfüllt das Bestimmtheitserfordernis nicht und genügt den Anforderungen des § 750 ZPO für die Einleitung von Zwangsvollstreckungsmaßnahmen nicht.
Leitsatz (redaktionell)
1. Durch die formwechselnde Umwandlung hat der Rechtsträger eine andere Rechtsform erhalten und es bedarf keiner Rechtsnachfolgeklause gem. § 727 ZPO.
2. Durch die Erklärung des Insolvenzverwalters, dasss eine bestimmte Forderung aus dem Insolvenzbeschlag freigegeben wird, erhält der Insolvenzschuldner seine Verfügungsbefugnis am freigegebenen Vermögensgegenstand zurück.
3. Die Freigabeerklärung ist eine Ausnahme von dem strengen Formerfordernis des § 727 Abs. 1 ZPO.
4. Unklarheiten über die Berechtigung, die Zwangsvollstreckung aus einem Titel zu betreiben, die zu Gunsten einer anderen Person ergangen sind, gehen grundsätzlich zu Lasten der Forderungsgläubigerin und führen dazu, dass das Betreiben der Zwangsvollstreckung unzulässig ist.
Normenkette
ZPO §§ 727, 750 Abs. 1, § 766; InsO §§ 80, 148 Abs. 1
Tenor
1. Die Erinnerung der Vollstreckungsgläubigerin wird
zurückgewiesen.
2. Diese Entscheidung ergeht gerichtsgebührenfrei.
Außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.
Tatbestand
I.
Die Vollstreckugsgläubigerin betreibt die Zwangsvollstreckung aus einem Vollstreckungsbescheid des Amtsgerichts Coburg vom 29.01.2002.
Als Titelinhaberin ist die … AG, … im Vollstreckungstitel genannt.
Der Vollstreckungstitel ist nicht mit einer Rechtsnachfolgeklausel gem. § 727 ZPO versehen.
Die Vollstreckungsgläubigerin hat durch Vorlage eines Handelsregisterauszuges des Amtsgerichts … in unbeglaubigter Kopie glaubhaft gemacht, dass die … GmbH durch formwechselnde Umwandlung der … Aktiengesellschaft mit dem Sitz in … gemäß Umwandlungsbeschluss vom 13.12.2005 entstanden ist.
Über das Vermögen der … GmbH wurde, was offenkundig ist, am 01.09.2009 das Insolvenzverfahren eröffnet. Zum Insolvenzverwalter der Vollstreckungsgläubigerin ist Herr Rechtsanwalt Dr. …, …, bestellt.
Die Vollstreckungsgläubigerin hat am 23.04.2010 der als ihre Bevollmächtigte auftretenden … GmbH Vollmacht erteilt zur „Einziehung ihrer offenen, titulierten Forderungen, resultierend aus Warenlieferungen des Versandhauses … an die jeweiligen Forderungsschuldner”. Weiter hat die Vollstreckungsgläubigerin vorgelegt eine Erklärung des Insolvenzverwalters über das Vermögen der Vollstreckungsgläubigerin, „dass sich die von dieser Inkassovollmacht betroffenen Forderungen im freien Vermögen der Firma … GmbH (befinden). Die Forderungszuständigkeit bezüglich der genannten Forderung als insolvenzfreiem Vermögen liegt deshalb bei der Geschäftsführung der … GmbH, die für Verfügungen über die Forderungen nicht der Zustimmung oder Mitwirkung des Insolvenzverwalters bedürfen”. Die schriftliche Erklärung des Insolvenzverwalters, die in notariell beglaubigter Fotokopie vorgelegt wurde, ist zwar unterschrieben, jedoch nicht mit einem Datum versehen.
Nachdem der Zwangsvollstreckungsauftrag am 08.01.2010 beim Gerichtsvollzieher des Amtsgerichts Waiblingen eingegangen war, hat dieser mit Schreiben vom selben Tag eine Vollmacht angefordert und darauf hingewiesen, dass aufgrund der ihm bekannten Eröffnung des Insolvenzverfahrens es erforderlich sei, den beiliegenden Vollstreckungstitel mit einer Rechtsnachfolgeklausel (§ 727 ZPO) für den Insolvenzverwalter versehen zu lassen. Hierauf reagierte die Vertreterin der Vollstreckungsgläubigerin mit Schreiben vom 17.02.2011, dem sie als Anlage die beglaubigte Fotokopie der Inkassovollmacht und der Freigabeerklärung beigefügt hat.
In diesem Schreiben hat sie darum gebeten, die Angelegenheit dem Amtsrichter zur Entscheidung vorzulegen, wenn der Durchführung der Zwangsvollstreckung seitens des Gerichtsvollziehers weitere Bedenken entgegenstehen sollten.
Dieses Schreiben hat der Gerichtsvollzieher des Amtsgerichts Waiblingen als Erinnerung gem. § 766 ZPO ausgelegt und zusammen mit einer Nichtabhilfeverfügung dem Vollstreckungsgericht zur Entscheidung vorgelegt.
Entscheidungsgründe
II.
Die Vollstreckungserinnerung ist gem. § 766 Abs. 2 ZPO zulässig, in der Sache jedoch nicht begründet.
Der zuständige Gerichtsvollzieher hat die Durchführung der Zwangsvollstreckung aufgrund der vorgelegten Unterlagen zu Recht abgelehnt, da die Voraussetzungen des § 750 Abs. 1 ZPO für den Beginn der Zwangsvollstreckung aus den vorgelegten Unterlagen nicht mit der erforderlichen Sicherheit festgestellt werden können.
Dies ergibt sich aus den folgenden Überlegungen:
1.
Gemäß § 750 ...