2.1 Vorstellungsgespräch: Fragerecht nach der Religionszugehörigkeit
Im Bereich des allgemeinen (also nicht Kirchen-)Arbeitsrechts liegt keine Rechtsprechung zu Fragen zur Religionszugehörigkeit vor, die Arbeitgeber in Bewerbungsgesprächen stellten. In Betracht kommen Fragen wie "Halten Sie Gebetszeiten ein?". Derartige Fragen dürften grundsätzlich ein diskriminierungsrelevantes Indiz i. S. v. § 22 AGG begründen, das eine Benachteiligung wegen der Religion vermuten lässt. Privaten (nicht kirchlichen) Arbeitgebern ist es verwehrt, § 9 AGG als Rechtfertigungsgrundlage heranzuziehen.
Kirchliche Körperschaften des öffentlichen Rechts sind keine öffentlichen Arbeitgeber
Das urteilte das BAG Ende Januar 2024. Hieraus ergibt sich, dass auch sie, wie alle anderen kirchlichen Arbeitgeber, nicht gemäß § 165 Satz 3 SGB IX dazu verpflichtet sind, schwerbehinderte Bewerber zu einem Vorstellungsgespräch einzuladen. Das begründete das BAG damit, dass die kirchliche Körperschaft öffentlichen Rechts keine öffentlichen, also staatlichen Aufgaben wahrnehme.
Viele Kirchengemeinden sind Körperschaften öffentlichen Rechts. Das erklärt sich mit Verfassungsrecht, das bereits in der Weimarer Republik galt. Mit der Einführung der Weimarer Reichsverfassung wurde bestimmt, dass Religionsgesellschaften weiterhin Körperschaften öffentlichen Rechts sind, wenn sie das vorher auch waren. Diese Norm ist auch weiterhin Verfassungsrecht gemäß Art. 140 GG. Heutzutage sind häufig evangelische Gemeinden Körperschaften öffentlichen Rechts. Eine Erklärung hierfür liegt darin, dass historisch gesehen die Kirche organisatorisch mit dem jeweiligen Landesherrn verbunden war – "cuius regio eius religio".
Private Arbeitgeber müssen also für eine Rechtfertigung den allgemeinen Rechtfertigungsgrund gemäß § 8 Abs. 1 AGG bedienen. Dieser erlaubt eine Schlechterbehandlung, wenn eine solche aufgrund der wesentlichen und entscheidenden Anforderungen der Tätigkeit nötig ist. Denkbar wäre eine Tätigkeit, die nur sinnvoll ausgeführt werden kann, wenn die Mitarbeiter sie mehrere Stunden am Stück ohne Unterbrechung ausüben. Dann kollidierten möglicherweise die Gebetszeiten mit den Anforderungen an die Tätigkeit. Willkürlich bestimmte Anforderungen können allerdings nicht zur Rechtfertigung herangezogen werden. Es muss sich um objektive Anforderungen handeln, die sich aus der Art der Tätigkeit ergeben.
2.2 Nichteinstellung/Absage wegen fehlender Religionszugehörigkeit
Konflikt mit dem Unionsrecht
Mit dem Urteil vom 11.9.2017 entschied der EuGH, dass die Rechtfertigungsnorm des § 9 AGG es Tendenzbetrieben zu leicht macht, aufgrund der Religion zu diskriminieren.
Zulässige unterschiedliche Behandlung wegen der Religion oder Weltanschauung
§ 9 Abs. 1 AGG: "Ungeachtet des § 8 ist eine unterschiedliche Behandlung wegen der Religion oder der Weltanschauung bei der Beschäftigung durch Religionsgemeinschaften […] auch zulässig, wenn eine bestimmte Religion oder Weltanschauung unter Beachtung des Selbstverständnisses der jeweiligen Religionsgemeinschaft […] im Hinblick auf ihr Selbstbestimmungsrecht [Alt. 1] oder nach der Art der Tätigkeit [Alt. 2] eine gerechtfertigte berufliche Anforderung darstellt."
Alt. 1: Dem Wortlaut nach erlaubt § 9 Abs. 1 Alt. 1 AGG die Ungleichbehandlung aufgrund der Religion durch eine Religionsgemeinschaft, wenn die Ungleichbehandlung in Einklang mit deren Selbstverständnis steht. Für den EuGH bestand das Problem hierin, dass dadurch Tendenzbetriebe grundsätzlich Menschen nicht einstellen dürfen, wenn sie nicht der Religion des Tendenzbetriebs angehören. Ebenso erlaubt es die Norm ihrem Wortlaut nach, Mitarbeitern zu kündigen, wenn diese ihre Religion wechseln.
Alt. 2: Die zweite Rechtfertigungsmöglichkeit des § 9 Abs. 1 AGG ist auf Tätigkeiten beschränkt. Generell gesprochen erlaubt § 9 Abs. 1 Alt. 2 AGG im Einzelfall die Ungleichbehandlung wegen der Religion, wenn die Tätigkeit für den Tendenzbetrieb repräsentativ ist. Der EuGH entschied bezüglich dieser Variante, dass es mit dem Recht auf Diskriminierungsfreiheit des Arbeitnehmers nicht vereinbar ist, wenn einzelne Tätigkeiten generell exklusiv für Religionsmitglieder sind. Dabei ist es nicht per se unzulässig, wenn Tendenzbetriebe eine bestimmte Stelle nur an Religionsmitglieder vergeben, das müssen diese allerdings gut begründen. Es reicht nicht, pauschal darauf zu verweisen, dass die betreffende Tätigkeit repräsentativ ist für den Tendenzbetrieb. Der Tendenzbetrieb muss konkret darlegen, wie sich die Repräsentativität ergibt und darlegen, weshalb nur Religionsmitglieder die Stelle annehmen können, da ansonsten die religiöse Identität des Betriebs gefährdet würde.
Als Reaktion auf die Rechtsprechung des EuGH haben die deutschen Arbeitsgerichte entschieden, dass sie § 9 Abs. 1 Alt. 1 AGG nicht unionsrechtskonform auslegen können und daher nicht anwenden. Unionsrechtskonform auslegen lässt sich hingegen § 9 Abs. 1 Alt. 2 AGG. Im Ergebnis haben Tendenz...