Leitsatz
Der neu eingeführte § 15a RVG beinhaltet keine Gesetzesänderung, sondern lediglich eine Klarstellung, dass die Anrechnungsvorschrift der Vorbem. 3 Abs. 4 VV nicht im Verhältnis zu Dritten gilt und daher im Kostenfestsetzungsverfahren grundsätzlich die volle Verfahrensgebühr festzusetzen ist.
OLG Düsseldorf, Beschl. v. 14.12.2009 – 18 W 79/09
I. Der Fall
Nach Klageabweisung hatte der Beklagte beantragt, seine Kosten festzusetzen, darunter eine volle 1,3-Verfahrensgebühr. Das Gericht hat lediglich 0,65 der Verfahrensgebühr festgesetzt. Dies hat es damit begründet, dass der Anwalt des Beklagten bereits außergerichtlich tätig gewesen sei, so dass im gerichtlichen Verfahren unter Berücksichtigung der Anrechnung nach Vorbem. 3 Abs. 4 VV lediglich eine von vornherein um 0,65 verminderte Verfahrensgebühr angefallen sei. Die dagegen erhobene sofortige Beschwerde hatte Erfolg.
II. Die Entscheidung
Das OLG folgt der Auffassung des Beklagten, dass die gem. Nr. 2300 VV entstandene 1,3-fache Geschäftsgebühr im Kostenfestsetzungsverfahren zu Unrecht angerechnet worden sei. Dies folge aus der Entscheidung des BGH v. 2.9.2009 – II ZB 35/07, wonach durch die am 5.8.2009 in Kraft getretene Regelung des § 15a Abs. 2 RVG das RVG nicht geändert, sondern lediglich rückwirkend klargestellt worden sei, dass sich die Anrechnungsvorschrift der Vorbem. 3 Abs. 4 VV grundsätzlich nicht im Verhältnis zu Dritten und damit insbesondere nicht im Kostenfestsetzungsverfahren auswirke. Das wiederum habe zur Folge, dass im Kostenfestsetzungsverfahren eine Verfahrensgebühr – von den in § 15a Abs. 2 RVG geregelten Ausnahmen abgesehen – stets auch dann in der geltend gemachten Höhe festgesetzt werden müsse, wenn für den Bevollmächtigten des Erstattungsberechtigten eine Geschäftsgebühr entstanden sei.
III. Der Praxistipp
In allen „Neufällen“ ist unstrittig § 15a Abs. 2 RVG anzuwenden
Unstrittig ist, dass die Regelung des § 15a RVG in allen neuen Fällen anzuwenden ist, also in allen Fällen, in denen der Anwalt erstmals nach dem 4.8.2008 beauftragt worden ist. Im Übrigen ist die Rechtslage strittig. Im Wesentlichen werden in der obergerichtlichen Rechtsprechung drei Auffassungen vertreten:
1. Auffassung: § 15a RVG beinhaltet eine Gesetzesänderung und ist auf Altfälle nicht anwendbar
§ 15a Abs. 2 RVG beinhaltet Gesetzesänderung, auf die § 60 RVG anzuwenden ist
Nach einem Teil der Rechtsprechung beinhaltet § 15a RVG eine echte Gesetzesänderung, auf die § 60 RVG anzuwenden sei, so dass die Anrechnung in den „Altfällen“ nach wie vor noch zu berücksichtigen sei; nur in den neuen Fällen sei nach § 15a RVG zu verfahren.
Danach kommt es auf die Auftragserteilung an, wobei die Rechtsprechung nicht klar zum Ausdruck bringt, von welcher Auftragserteilung sie ausgeht.
Abzustellen sein dürfte wohl auf den Auftrag zur gerichtlichen Tätigkeit, nicht auf denjenigen zur außergerichtlichen Tätigkeit. Die Anrechnung der Geschäftsgebühr wirkt sich im gerichtlichen Verfahren aus, so dass dies dafür spricht, im Rahmen des § 60 RVG, sofern man ihn anwendet, auf die Auftragserteilung zum gerichtlichen Verfahren abzustellen. Danach ist es also unerheblich, wann der Auftrag zur außergerichtlichen Tätigkeit erteilt worden ist:
- Ist der Auftrag für das gerichtliche Verfahren nach dem 4.8.2008 erteilt, bleibt die Anrechnung nach § 15a RVG grundsätzlich außer Ansatz.
- Ist dagegen der Auftrag für das gerichtliche Verfahren vor dem 5.8.2008 erteilt worden, bleibt es bei der grundsätzlichen Anrechnung der Geschäftsgebühr.
Diese Auffassung wird vertreten von
- BGH (10. Senat) AGS 2009, 540 = WRP 2009, 1554 = AnwBl 2009, 876 = BRAK-Mitt 2009, 295 = BGHReport 2009, 1290 = NJW-Spezial 2009, 748 = RVGreport 2009, 474,
- OLG Celle OLGR 2009, 749 = NdsRpfl 2009, 356 = JurBüro 2009, 584 = VRR 2009, 398 = RVGreport 2009, 389; OLGR Celle 2009, 930 = RVGreport 2009, 473,
- OLG Frankfurt/M. RVGreport 2009, 392 = JurBüro 2009, 586,
- KG (2. Senat) KGR 2009, 926 = RVGreport 2009, 391 = Rpfleger 2009, 647 = JurBüro 2009, 586,
- KG (22. Senat) RVGprof. 2009, 202 = RVGreport 2009, 472,
- KG (27. Senat) ZIP 2009, 2124 = RVGreport 2009, 431 = VRR 2009, 403 = Rpfleger 2009, 648,
- OVG Lüneburg, Beschl. v. 17. 11. 2009 – 10 OA 166/09; NdsRpfl 2009, 438 = AnwBl 2009, 880,
- LAG Hessen, Beschl. v. 26.10.2009 – 13 Ta 530/09,
- BayVGH RVGreport 2009, 470,
- OLG Düsseldorf (20. Senat) AGS 2009, 444 = JurBüro 2009, 586 = RVGreport 2009, 354,
- OLG Hamm AGS 2009, 445 = RVGreport 2009, 352; RVGreport 2009, 458.
2. Auffassung: § 15a RVG beinhaltet eine Gesetzesänderung; § 60 RVG ist jedoch nicht anwendbar
§ 15a Abs. 2 RVG beinhaltet Gesetzesänderung, § 60 RVG ist jedoch nicht anwendbar
Nach anderer Auffassung beinhaltet § 15a RVG zwar eine Gesetzesänderung. Diese betreffe jedoch nicht die Gebühren selbst, sondern die Kostenerstattung. Da § 60 RVG eine Übergangsregelung aber nur für die Gebühren enthalte, nicht für die Kostenerstattung, sei die Vorschrift ab dem 5.8.2008 uneingeschränkt anzuwenden, und zwar auch auf Altfälle.
Diese Auffassung wird vertreten von
- OLG Braunschweig NdsRpfl 2009, 358 = OLGR...