Wechselseitige Berufungen bei Haftungsquote
Wechselseitige Berufungen in Verkehrssachen kommen regelmäßig vor: Das erstinstanzliche Gericht geht von beiderseitigem Mitverschulden aus und trifft eine Haftungsquote, wonach es der Klage teilweise zuspricht und sie i.Ü. abweist. Keine der Parteien ist damit einverstanden, sodass jede in Berufung geht. Die eine Partei will die Haftung zu 100 % durchsetzen. Die andere Partei will die vollständige Abweisung der Klage erreichen. Nach Abschluss des Verfahrens entsteht dann Streit über die Berechnung des Streitwerts.
Beispiel
Aufgrund eines Verkehrsunfalls erhebt der Kläger Klage gegen den Beklagten auf Zahlung seines Schadens i.H.v. 10.000,00 EUR, ausgehend von einer Haftung des Beklagten zu 100 %. Der Beklagte beantragt Klageabweisung. Das Gericht geht davon aus, dass beide Parteien für den Unfall verantwortlich seien, wobei allerdings den Beklagten ein höheres Verschulden treffe, nämlich 60 %. Es spricht dem Kläger daraufhin unter Abweisung der Klage i.Ü. 6.000,00 EUR zu. Daraufhin legt der Kläger Berufung ein, mit der er die Zahlung der vollen 10.000,00 EUR, also weiterer 4.000,00 EUR, verfolgt. Der B legt ebenfalls Berufung ein und verfolgt seinen Antrag auf Abweisung der Klage weiter, also auf Abweisung der vom Gericht zugesprochenen 6.000,00 EUR.
Maßgebend ist der jeweilige Berufungsantrag
Der Wert einer Berufung richtet sich nach den gestellten Anträgen, hilfsweise nach dem Wert der Beschwer (§ 47 Abs. 1 GKG). Hier waren Anträge gestellt, sodass es auf diese ankommt.
Unstrittig ist, dass der Wert der Berufung des Klägers 4.000,00 EUR beträgt. Der Kläger beantragt eine Abänderung des Urteils von 6.000,00 EUR auf 10.000,00 EUR, also um 4.000,00 EUR. Der Wert der Berufung des Beklagten beträgt 6.000,00 EUR. Er beantragt eine Herabsetzung von 6.000,00 EUR auf 0,00 EUR, also um 6.000,00 EUR.
Die entscheidende Frage ist die, ob die Werte der beiden Berufungen zu addieren sind. Das wiederum ergibt sich aus § 45 Abs. 2 GKG.
§ 45 Klage und Widerklage, Hilfsanspruch, wechselseitige Rechtsmittel, Aufrechnung
(1) In einer Klage und in einer Widerklage geltend gemachte Ansprüche, die nicht in getrennten Prozessen verhandelt werden, werden zusammengerechnet. ... Betreffen die Ansprüche im Fall des Satzes 1 oder 2 denselben Gegenstand, ist nur der Wert des höheren Anspruchs maßgebend.
(2) Für wechselseitig eingelegte Rechtsmittel, die nicht in getrennten Prozessen verhandelt werden, ist Absatz 1 Satz 1 und 3 entsprechend anzuwenden.
Die Frage ist also, ob den beiden Berufungen derselbe Gegenstand zugrunde liegt oder ob es sich um verschiedene Gegenstände handelt.
Auffassung OLG Celle
Nach std. Rspr. des OLG Celle liegt in solchen Fällen derselbe Gegenstand vor:
Schließen sich die Begehren der Parteien im Berufungsverfahren dergestalt gegenseitig aus, dass der Erfolg des einen Rechtsmittels zwangsläufig den Misserfolg der anderen Berufung zur Folge hat, so ist für die Streitwertbemessung lediglich der höhere der beiden Werte maßgebend. Eine Zusammenrechnung findet nicht statt.
OLG Celle, Beschl. v. 31.1.2014 – 14 U 113/13, AGS 2014, 128
Schließen sich die Begehren der Parteien im Berufungsverfahren dergestalt gegenseitig aus, dass der Erfolg des einen Rechtsmittels zwangsläufig den Misserfolg der anderen Berufung zur Folge hat, so ist für die Streitwertbemessung lediglich der höhere der beiden Werte maßgebend. Eine Zusammenrechnung findet nicht statt.
OLG Celle, Beschl. v. 6.6.2007 – 14 U 64/07, AGS 2008, 39 = NdsRpfl. 2008, 20
Eine Zusammenrechnung der jeweiligen Rechtsmittelwerte gem. § 45 Abs. 2 u. 1 GKG hat nur dann zu erfolgen, wenn durch das Nebeneinander der gegenläufigen Anträge eine wirtschaftliche Werthäufung entsteht, die aber nur dann vorliegt, wenn die gegenseitigen Ansprüche nicht in der Weise nebeneinander stehen können, dass das Gericht unter Umständen beiden stattgeben kann, hingegen nicht, wenn die Verurteilung nach dem einen Antrag notwendigerweise die Abweisung des andern Antrags nach sich zieht.
OLG Celle, Urt. v. 23.1.2008 – 14 U 98/07, OLGR 2008, 313
Danach würde nur der höhere Wert der Berufung des Beklagten gelten, also 6.000,00 EUR.
Zutreffenderweise ist zu addieren
Nach zutreffender Auffassung sind die Werte der Berufungen jedoch zu addieren.
Danach sind die Werte der wechselseitigen Berufungen zu addieren. Der Wert beträgt 10...