Dr. Julia Bettina Onderka
Vertragsbeendigung vor Erledigung
Wird der Anwaltsvertrag vor Erledigung der Angelegenheit einvernehmlich aufgehoben, gekündigt oder seine Erfüllung unmöglich, gilt ebenfalls zunächst § 15 Abs. 4 RVG, wonach der Anwalt die bereits entstandenen Gebühren dem Grunde nach fordern kann. In welcher Höhe ihm die Gebühren zustehen, ergibt sich daraus, auf welche Umstände das vorzeitige Ende des Auftrags zurückzuführen ist.
1. Einvernehmliche Aufhebung
Gebühren richten sich nach Aufhebungsvereinbarung
Heben Anwalt und Mandant den Vertrag einvernehmlich auf, so ist in erster Linie die Aufhebungsvereinbarung entscheidend. Enthält diese keine Regelung, können die bisher angefallenen Gebühren in voller Höhe verlangt werden.
Da sich eine solche Aufhebungsvereinbarung nur auf die bereits entstandenen Gebühren bezieht und damit die gesetzliche Vergütung nicht überschritten werden kann, ist sie nicht an die Formvorschriften des § 3a RVG gebunden.
2. Kündigung durch den Anwalt
Volle Gebühren bei berechtigter Kündigung des Anwalts
Wird der Vertrag durch den Anwalt aufgrund eines vertragswidrigen Verhaltens des Mandanten gekündigt (z.B. wegen ausbleibender Vorschusszahlung, vorsätzlicher Falschinformation, Geltendmachung unbegründeter Ansprüche gegen den Anwalt), so können die bisher angefallenen Gebühren in voller Höhe geltend gemacht werden. Als vertragswidriges Verhalten des Mandanten kommen in Betracht:
- ausbleibende Zahlung eines Vorschusses trotz Ankündigung der Mandatsniederlegung (OLG Düsseldorf AGS 1993, 74),
- vorsätzliche Falschinformation des Anwalts (OLG Düsseldorf AGS 1993, 74),
- Geltendmachung unbegründeter Ansprüche gegen den Anwalt (OLG Karlsruhe AnwBl. 1994, 522),
- unzumutbaren Forderungen, z.B. im Hinblick auf die Prozessführung (OLG Hamm AGS 1996, 16).
Liegt aber kein vertragswidriges Verhalten des Mandanten vor, kann der Vergütungsanspruch nach § 628 Abs. 1 S. 2 BGB insoweit nicht mehr geltend gemacht werden, als die bisherige Tätigkeit des Anwalts für den Mandanten nicht mehr von Interesse ist. Dies gilt insbesondere in den Fällen, in denen ein zweiter Anwalt beauftragt werden muss, der das Mandat (gebührenpflichtig) zu Ende führt.
3. Kündigung durch den Mandanten
Volle Gebühren bei vertragsgemäßem Verhalten des Anwalts
Spricht der Mandant die Kündigung aus, weil sich der Anwalt vertragswidrig verhält (z.B. unzureichende Aufklärung über einen drohenden Interessenkonflikt, unberechtigte Honorarforderung, grobe Pflichtverletzung), erlischt der Vergütungsanspruch des Anwalts, soweit seine Leistung für den Mandanten nicht mehr von Interesse ist (§ 628 Abs. 1 S. 2 BGB). Darüber hinaus ist der Anwalt nach § 628 Abs. 2 BGB schadensersatzpflichtig, wobei der Schaden insbesondere in den Kosten für die Erhebung einer aussichtslosen Klage liegen kann. In diesen Fällen kann der Anwalt überhaupt keine Vergütung verlangen. Ein vertragswidriges Verhalten des Anwalts kann z.B. sein:
- unzureichende Aufklärung über einen drohenden Interessenkonflikt (BGH NJW 1985, 41),
- unberechtigte Honorarforderungen (LG Karlsruhe MDR 1991, 548),
- grobe Pflichtverletzungen (BGH NJW 1982, 437; OLG München MDR 1974, 753).
Liegt dagegen kein vertragswidriges Verhalten des Anwalts vor, so kann dieser die bereits angefallenen Gebühren verlangen. Dieser Anspruch steht ihm auch bei Beauftragung eines zweiten Anwalts zu. Darüber hinaus kann er vom Mandanten die Zahlung derjenigen Gebühren verlangen, die ohne eine Kündigung des Auftrags voraussichtlich angefallen wären (§ 628 Abs. 2 BGB).
Am Vortag der mündlichen Verhandlung kündigt M seinem Anwalt A ohne Angabe von Gründen das Mandat. In diesem Fall kann A neben der bereits entstandenen Verfahrensgebühr auch noch die Terminsgebühr abrechnen. Denn ohne eine Kündigung des Auftrages wäre diese Gebühr nach dem Verlauf des Verfahrens bzw. der bereits erfolgten Terminierung durch das Gericht ebenfalls entstanden.
4. Unmöglichkeit
Wird die Vertragserfüllung unmöglich (z.B. Tod des Anwalts, Verlust der Zulassung), erlischt der Erfüllungsanspruch des Mandanten nach § 275 Abs. 1 BGB. Ob der Anwalt seinen Anspruch auf die Gegenleistung (Vergütung) behält, richtet sich gemäß § 326 BGB danach, welche Partei die Unmöglichkeit zu vertreten hat:
Unmöglichkeit von keiner Partei zu vertreten
Hat keine der Parteien den Umstand, der zur Unmöglichkeit führte, zu vertreten (z.B. bei Aufgabe der Zulassung aufgrund plötzlicher Krankheit), so behält der Anwalt nach § 326 Abs. 1 S. 1 BGB i.V.m. § 15 Abs. 4 RVG den Anspruch auf die bereits entstandenen Gebühren. Weitere Gebühren kann er nicht verlangen. Umstritten ist die Frage, ob der Anwalt seinen Anspruch auf die bisherigen Gebühren verliert, wenn er die Zulassung aus sog. achtenswerten Gründen (Wechsel in den öffentlichen Dienst, Umzug aus beruflichen oder persönlichen Gründen etc.) aufgibt (vgl. OLG Hamburg JurBüro 1993, 351; OLG Koblenz MDR 1991, 1098; OLG Hamm NJW-RR 1996, 1343). Das OLG Naumburg (Beschl. v. 30.12.2004 – 12 W 105/04) und das OLG München (AGS 2002, 174) dagegen rechnen die freiwillige Aufgabe der Zulassung dem Verantwortungsbereich des Anwalts zu, weshalb ...