Leitsatz
1. Wird eine Klage teilweise zurückgenommen, dann aber im weiteren Verlauf des Verfahrens um neue Positionen erweitert, bestimmen sich die gerichtliche und die anwaltliche Verfahrensgebühr gem. § 39 Abs. 1 GKG nach dem Gesamtwert aller im Verlaufe des Rechtsstreits anhängig gewordener Gegenstände.
2. Für die Terminsgebühr gilt das Gleiche; allerdings ist hier nur die Summe derjenigen Gegenstände maßgebend, über die ein Termin i.S.d. Vorbem. 3 Abs. 3 VV stattgefunden hat.
AG Siegburg, Beschl. v. 29.3.2010 – 118 C 192/09
I. Der Fall
Der Kläger hatte aufgrund eines Verkehrsunfalls zunächst nur die anfallenden Reparaturkosten, die Kosten des Sachverständigen sowie die allgemeine Kostenpauschale geltend gemacht (insgesamt 3.770,00 EUR). Nachdem im Verlauf des Rechtsstreits der Kaskoversicherer die Reparaturkosten abzüglich der Selbstbeteiligung von 300,00 EUR zahlte, nahm der Kläger die Klage teilweise zurück. Gleichzeitig erweiterte er die Klage um weitere Positionen in Höhe von 318,27 EUR. Das Gericht setzte daraufhin den Streitwert gem. § 63 GKG wie folgt fest: „Bis zur teilweisen Klagerücknahme 3.770,00 EUR; danach 1.480,27 EUR.“
Der Prozessbevollmächtigte wies darauf hin, dass diese Streitwertfestsetzung nicht dem Gesetz entspreche und unbrauchbar sei, da sich aus ihr nicht ergebe, nach welchem Wert die Verfahrensgebühr abzurechnen sei. Daraufhin setzte das Gericht den Streitwert für die Verfahrensgebühr auf 4.088,27 EUR fest und für die Terminsgebühr auf 1.480,27 EUR.
II. Die Entscheidung
Sämtliche während des Verfahrens anhängige Gegenstände sind zusammenzurechnen
In Fällen von teilweiser Klagerücknahme und anschließender Klageerweiterung sind für die Verfahrensgebühren die Werte des bisherigen und des neuen Anspruchs zu addieren. Dass es für eine Addition der zeitgleichen Anhängigkeit der Streitgegenstände bedürfe, ist weder den §§ 39 ff. GKG zu entnehmen, noch würde dies zu tragfähigen Ergebnissen führen. Vielmehr berechnen sich die gerichtlichen und anwaltlichen Verfahrensgebühren nach der Summe der Werte des bisherigen und künftigen Streitgegenstandes. Voraussetzung für die Wertaddition ist nicht, dass die zu bewertenden Ansprüche nebeneinander geltend gemacht werden, sondern dass sie nebeneinander bestehen können.
Für die anwaltliche Terminsgebühr ist die Zusammenrechnung dagegen nur dann vorzunehmen, wenn über den bisherigen und den neuen Anspruch in vollem Umfang mündlich verhandelt worden ist. Ist dies nicht der Fall, ist eine Streitwertfestsetzung nach Zeitabschnitten erforderlich, da alle bis zur Teilklagerücknahme entstandenen Gebühren nach dem ursprünglichen und alle nachfolgenden nach dem verminderten Streitwert zu berechnen sind. Die dabei auf den zurückgenommenen oder den erledigten Teil des Verfahrens entfallenden Kosten bleiben dabei unberücksichtigt.
III. Der Praxistipp
Wertaddition entspricht ganz h.M.
In der Sache ist die Entscheidung zutreffend. Es ist ganz überwiegende Auffassung, dass die Werte verschiedener Gegenstände für den Gebührenstreitwert zusammenzurechnen sind, unabhängig davon, ob sie zeitgleich oder nacheinander geltend gemacht worden sind.
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OLG Koblenz AGS 2007, 151 = WuM 2006, 45 = DWW 2006, 72 = MietRB 2006, 268 = GuT 2006, 88; |
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OLG Hamm AGS 2007, 516 = OLGR 2007, 324; |
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KG AGS 2008 = MDR 2008, 173 = JurBüro 2008, 148 = KGR 2008, 216, 188; |
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OLG Celle AGS 2008, 466 = OLGR 2008, 630 = NJW-Spezial 2008, 668; |
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a.A. OLG Dresden OLGR 2007, 470 = JurBüro 2007, 315. |
Streitwertfestsetzung nach Zeitabschnitten ist unbrauchbar
Der Fall ist aber auch ein Schulbeispiel dafür, wie unsinnig Streitwertfestsetzungen nach Zeitabschnitten sind. Nach § 63 Abs. 2 S. 1 GKG hat das Gericht den Wert „für die zu erhebenden Gebühren durch Beschluss“ festzusetzen. Hier steht nichts von Zeitabschnitten oder Ähnlichem. Das Gericht hat einen einzigen Wert festzusetzen, nach dem der Kostenbeamte dann problemlos anhand der Gebührentabelle des GKG die anfallende Gerichtsgebühr für das Verfahren im Allgemeinen festsetzen kann. Eine Wertfestsetzung nach Zeitabschnitten ist wenig aussagekräftig, wie dieser Fall zeigt. Aufgrund der ersten Streitwertfestsetzung wären drei Varianten in Betracht gekommen:
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1. Variante: Der Betrag in Höhe von 1.480,27 EUR ist in dem Betrag von 3.770,00 EUR in vollem Umfang enthalten. Dann wäre nur dieser Betrag maßgebend gewesen. Der Wert des Verfahrens hätte sich auf 3.770,00 EUR belaufen. |
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2. Variante: Es handelt sich um völlig verschiedene Gegenstände. Dann wären die Werte von 3.770,00 EUR und 1.480,27 EUR zusammenzurechnen gewesen. Es hätte sich dann ein Gesamtwert in Höhe von 5.250,27 EUR ergeben. |
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3. Variante: Die Gegenstände, die den Wertfestsetzungen von 1.480,27 EUR und 3.770,00 EUR zugrunde liegen, sind teilweise identisch. Dann liegt der Streitwert irgendwo zwischen 1.480,27 EUR und 3.770,00 EUR. |
Letzterer Fall war hier gegeben, so dass der Kostenbeamte gar nicht in der Lage gewesen wäre, eine ordnungsgemäße Gerichtskostenrechnung zu erstellen. Nach teilweiser Klagerücknahme waren nämlich von der ursprünglichen Hauptford...