I. Ausgangslage
Wird nach Verletzung oder gar Tötung einer Person eine laufende Schadenersatzrente nach den §§ 844, 845 BGB geltend gemacht, ergeben sich in der Praxis besondere Streitwertprobleme.
Beispiel
Bei einem Unfall ist der Familienvater im Dezember 2016 tödlich verunglückt. Die hinterbliebene Ehefrau sowie das minderjährige Kind verlangen eine Schadensersatzrente wegen entgangenen Unterhalts und zwar i.H.v. 1.400,00 EUR für die Ehefrau und i.H.v. 400,00 EUR für das Kind. Nachdem die außergerichtlichen Verhandlungen gescheitert sind, wird im Oktober 2017 Klage auf Zahlung der rückständigen Beträge ab Januar 2017 erhoben sowie auf Zahlung der zukünftigen Beträge.
II. Wert der zukünftigen Beträge
Fünffacher Jahresbetrag gilt nicht mehr
Da die spezielle Wertvorschrift des § 41 Abs. 1 GKG a.F., die einen Fünfjahreswert vorsah, mit dem 2. KostRMoG entfallen ist, ist hinsichtlich der Werte der einzelnen Ansprüche auf § 48 Abs. 1 S. 1 GKG i.V.m. § 9 ZPO abzustellen.
Dreieinhalbfacher Jahresbetrag für die Zukunft
Für die zukünftige Leistung ist seit dem 1.8.2009 der dreieinhalbfache Jahresbetrag des geforderten Betrags maßgebend, es sei denn, es wird Zahlung nur für einen geringeren Zeitraum verlangt, was hier nicht der Fall ist. Bei unbestimmter Dauer ist daher auf den dreieinhalbfachen Jahreswert abzustellen, also auf den Betrag für die Dauer von 42 Monaten. Dies ergibt hier folgende Werte:
Antrag Ehefrau: 42 x 1.400,00 EUR |
58.800,00 EUR |
Antrag Kind: 42 x 400,00 EUR |
16.800,00 EUR |
Werte der einzelnen Unterhaltsansprüche werden addiert
Soweit Ehefrau und Kind zukünftige Beträge verlangen, gilt § 39 Abs. 1 GKG, da es sich um verschiedene Streitgegenstände handelt. Die Werte beider Anträge werden zusammengerechnet.
III. Hinzurechnung fälliger Beträge
Fällige Beträge werden hinzugerechnet
Oftmal wird übersehen, dass es nicht bei den zukünftigen Beträgen verbleibt. Auch wenn nach § 48 Abs. 1 S. 1 ZPO auf § 9 ZPO abzustellen ist, gilt ergänzend § 42 Abs. 3 GKG. Danach sind die bei Einreichung der Klage fälligen Beträge hinzuzurechnen.
Die Klage ist hier im Oktober 2017 eingereicht worden, so dass man geneigt ist, die Beträge für Januar 2017 bis Oktober 2017 als fällige Beträge hinzuzurechnen. Dies ergäbe weitere:
Antrag Ehefrau: 10 x 1.400,00 EUR |
14.000,00 EUR |
Antrag Kind: 10 x 400,00 EUR |
4.000,00 EUR |
Gesamt |
18.000,00 EUR |
Insgesamt ergäbe sich dann ein Streitwert i.H.v. |
93.600,00 EUR. |
Rente ist quartalsweise im Voraus zu zahlen
Wer so rechnet, übersieht aber die Vorschriften der §§ 844 Abs. 2, 843 Abs. 2, 760 Abs. 2 S. 1 BGB. Anders als beim Unterhalt (§ 1612 Abs. 3 S. 1 BGB) werden Schadensersatzrenten nicht monatlich im Voraus fällig. Vielmehr ist eine Schadensersatzrente drei Monate im Voraus zu zahlen. Es besteht hier eine dreimonatige vorschüssige Zahlungspflicht. Daraus folgt, dass hier nicht lediglich die Beträge bis einschließlich Oktober bei Klageeinreichung fällig gewesen sind, sondern bereits die Beträge bis einschließlich Dezember 2016. Der Wert der bei Einreichung fälligen Beträge beläuft sich damit also auf weitere:
Antrag Ehefrau: 12 x 1.400,00 EUR |
16.800,00 EUR |
Antrag Kind: 12 x 400,00 EUR |
4.800,00 EUR |
Gesamt |
21.600,00 EUR |
Das führt dann zu einem Gesamtwert i.H.v. |
96.200,00 EUR |
und damit auch zu einem Gebührensprung. |
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IV. Außergerichtliche Vertretung
Alle fälligen Beträge werden hinzugerechnet
Die gleichen Grundsätze gelten auch im Falle einer außergerichtlichen Vertretung, da sich hier der Gegenstandswert gem. § 23 Abs. 1 S. 3 RVG nach dem Wert richtet, der im Falle eines gerichtlichen Verfahrens gelten würde.
Dabei ist zu beachten, dass hinsichtlich der fälligen Beträge nicht auf den Auftrag zur außergerichtlichen Vertretung abzustellen ist, sondern auf die Beendigung der Tätigkeit. Eine dem § 40 GKG vergleichbare Vorschrift kennt das RVG nicht. Hier sind daher Wertveränderungen während des laufenden Mandats zu beachten. Das führt dazu, dass bei einer außergerichtlichen Vertretung jeden Monat – bzw. hier alle drei Monate – weitere fällige Beträge hinzukommen und den Wert erhöhen (OLG Nürnberg AGS 2002, 232 = OLGR 2002, 248). Bei der Ermittlung des Gegenstandswerts der außergerichtlichen Tätigkeit ist also danach zu fragen, welcher Wert gelten würde, wenn am Tage der Beendigung der außergerichtlichen Vertretung Klage eingereicht worden wäre, so dass alle bis dahin fälligen Beträge mit zu bewerten sind.
V. Fazit
Werden Schadensersatzrenten nach den §§ 844, 845 BGB geltend gemacht, so sind bei der Bemessung des Streitwerts oder Gegenstandswert einerseits die zukünftigen Beträge mit dem dreieinhalbfachen Jahreswert zu bewerten, andererseits aber auch alle fälligen Beträge hinzuzurechnen. Dabei ist auf die Besonderheit der §§ 844 Abs. 2, 843 Abs. 2, 760 Abs. 1 S. 1 BGB zu achten, dass Schadensersatzrenten quartalsmäßig im Voraus zu zahlen und damit fällig sind.
AGKompakt 10/2017, S. 106 - 107