Einführung
Mehrere Anrechnungen können aufeinander folgen
In verschiedenen Konstellationen kann es vorkommen, dass die vorgerichtliche Geschäftsgebühr auf die nachfolgende Verfahrensgebühr eines gerichtlichen Verfahrens anzurechnen ist und diese Verfahrensgebühr wiederum auf eine weitere Verfahrensgebühr eines gerichtlichen Verfahrens.
Erste Gebühr ist auf zweite Gebühr anzurechnen
In diesem Fall ist die Geschäftsgebühr in vollem Umfang auf die erste entstehende Verfahrensgebühr des gerichtlichen Verfahrens anzurechnen.
Zweite Gebühr ist auf dritte Gebühr anzurechnen
Die Verfahrensgebühr wiederum ist dann in vollem Umfang auf die weitere Verfahrensgebühr anzurechnen. Anzurechnen ist nicht etwa lediglich der nach Anrechnung verbleibende Betrag (BGH AGS 2010, 621 = MDR 2011, 137 = ZfBR 2011, 139 = BRAK-Mitt 2011, 37 = Rpfleger 2011, 180 = JurBüro 2011, 80 = NJW 2011, 1368 = FamRZ 2011, 105 = RVGprof. 2011, 116).
I. Grundfall
Beispiel
Der Anwalt macht für seinen Mandanten außergerichtlich eine Forderung in Höhe von 10.000,00 EUR geltend. Hiernach wird ein Mahnbescheid erwirkt, gegen den der Antragsgegner Widerspruch einlegt, sodass das streitige Verfahren folgt.
Außergerichtlich war eine 1,3-Geschäftsgebühr Nr. 2300 VV aus 10.000,00 EUR angefallen.
Im Mahnverfahren ist eine 1,0-Verfahrensgebühr (Nr. 3305 VV) entstanden, auf die die Geschäftsgebühr hälftig anzurechen ist.
Anrechnung erfolgt in vollem Umfang und nicht nur in Höhe des Restbetrags
Im streitigen Verfahren ist eine 1,3-Verfahrengebühr (Nr. 3100 VV) angefallen, auf die wiederum die Verfahrensgebühr des Mahnverfahrens anzurechnen ist (Anm. zu Nr. 3305 VV), und zwar in voller Höhe und nicht nur in Höhe des verbleibenden Betrags nach Anrechnung.
I. Außergerichtliche Vertretung (Wert: 10.000,00 EUR)
1. |
1,3-Geschäftsgebühr, Nr. 2300 VV |
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631,80 EUR |
2. |
Postentgeltpauschale, Nr. 7002 VV |
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20,00 EUR |
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Zwischensumme |
651,80 EUR |
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3. |
Umsatzsteuer, Nr. 7008 VV |
|
123,84 EUR |
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Gesamt |
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775,64 EUR |
II. Mahnverfahren (Wert: 10.000,00 EUR)
1. |
1,0-Verfahrensgebühr, Nr. 3305 VV |
|
486,00 EUR |
2. |
anzurechnen gem. Vorbem. 3 Abs. 4 VV |
|
|
|
0,65 aus 10.000,00 EUR |
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– 315,90 EUR |
3. |
Postentgeltpauschale, Nr. 7002 VV |
|
20,00 EUR |
|
Zwischensumme |
190,10 EUR |
|
4. |
Umsatzsteuer, Nr. 7008 VV |
|
36,12 EUR |
|
Gesamt |
|
226,22 EUR |
III. Rechtsstreit (Wert: 10.000,00 EUR)
1. |
1,3-Verfahrensgebühr, Nr. 3100 VV |
|
631,80 EUR |
2. |
anzurechnen gem. Anm. zu Nr. 3305 VV, 1,0 aus 10.000,00 EUR |
|
– 486,00 EUR |
3. |
Terminsgebühr, Nr. 3104 VV |
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583,20 EUR |
4. |
Postentgeltpauschale, Nr. 7002 VV |
|
20,00 EUR |
|
Zwischensumme |
749,00 EUR |
|
5. |
Umsatzsteuer, Nr. 7008 VV |
|
142,31 EUR |
|
Gesamt |
|
891,31 EUR |
II. Erste Verfahrensgebühr hat geringeren Gebührensatz
Es kann vorkommen, dass die zunächst entstehende Verfahrensgebühr, auf die die Geschäftsgebühr gem. Vorbem. 3 Abs. 4 VV anzurechnen ist, einen geringeren Gebührensatz aufweist als den hälftigen Gebührensatz der Geschäftsgebühr. Dann geht die Verfahrensgebühr infolge der Anrechnung insgesamt unter.
Differenz aus höherem Gebührensatz ist anzurechnen
Zu beachten ist allerdings, dass der nicht verbrauchte Gebührensatz dann als Übertrag auf das nachfolgende gerichtliche Verfahren anzurechnen ist. Auf die Postentgeltpauschale hat dies allerdings keinen Einfluss. Diese berechnet sich aus dem Gebührenaufkommen vor Anrechnung.
Beispiel
Der Anwalt wehrt außergerichtlich für den Auftraggeber eine Forderung in Höhe von 8.000,00 EUR ab. Die Sache ist umfangreich, aber durchschnittlich. Der Gegner erwirkt daraufhin einen Mahnbescheid, gegen den der Anwalt Widerspruch einlegt. Hiernach kommt es zum streitigen Verfahren, in dem verhandelt wird. Ausgehend von einer 1,5-Geschäftsgebühr wäre diese zu einem Gebührensatz von 0,75 anzurechnen. Da der Anwalt im Mahnverfahren aber nur 0,5 erhält (Nr. 3307 VV), kann nicht mehr angerechnet werden. Der nicht verbrauchte Anrechnungsbetrag i.H.v. 0,25 ist jetzt auf das streitige Verfahren zu "übertragen” und dort anzurechnen. Daneben ist auch die 0,5-Verfahrensgebühr der Nr. 3307 VV anzurechnen."
I. Außergerichtliche Vertretung (Wert: 8.000,00 EUR)
1. |
1,5-Geschäftsgebühr, Nr. 2300 VV |
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618,00 EUR |
2. |
Postentgeltpauschale, Nr. 7002 VV |
|
20,00 EUR |
|
Zwischensumme |
638,00 EUR |
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3. |
19 % Umsatzsteuer, Nr. 7008 VV |
|
121,22 EUR |
|
Gesamt |
|
759,22 EUR |
II. Mahnverfahren (Wert: 8.000,00 EUR)
1. |
0,5-Verfahrensgebühr, Nr. 3307 VV |
|
206,00 EUR |
2. |
gem. Vorbem. 3 Abs. 4 VV anzurechnen, |
|
|
|
0,5 aus 8.000,00 EUR |
|
– 206,00 EUR |
3. |
Postentgeltpauschale, Nr. 7002 VV |
|
20,00 EUR |
|
Zwischensumme |
20,00 EUR |
|
4. |
19 % Umsatzsteuer, Nr. 7008 VV |
|
3,80 EUR |
|
Gesamt |
|
23,80 EUR |
III. Gerichtliches Verfahren (Wert: 8.000,00 EUR)
1. |
1,3-Verfahrensgebühr, Nr. 3100 VV |
|
535,60 EUR |
2. |
gem. Anm. zu Nr. 3307 VV anzurechnen, |
|
|
|
0,5 aus 8.000,00 EUR |
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– 206,00 EUR |
3. |
gem. Vorbem. 3 Abs. 4 VV anzurechnen, |
|
|
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0,75 aus 8.000,00 EUR |
– 309,00 EUR |
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./. bereits angerechnete 0,5 aus 8.000,00 EUR |
206,00 EUR |
|
|
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– 103,00 EUR |
4. |
1,2-Terminsgebühr, Nr. 3104 VV |
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494,40 EUR |
5. |
Postentgeltpauschale, Nr. 7002 VV |
|
20,00 EUR |
|
Zwischensumme |
741,00 EUR |
|
6. |
19 % Umsatzsteuer, Nr. 7008 VV |
|
140,79 EUR |