1. Überblick
In verschiedenen Konstellationen kann es vorkommen, dass die erste Gebühr nicht voll angerechnet werden kann. Das wiederum kann darauf beruhen, dass der an sich anzurechnende Gebührensatz über der Gebühr liegt, auf die anzurechnen ist oder auch darauf, dass der Wert der nachfolgenden Angelegenheit geringer ist.
Kommt danach die Anrechnung der ersten Gebühr auf die Gebühr der unmittelbar nachfolgenden Angelegenheit nicht voll zum Tragen, kommt es dann aber zu einer nachnachfolgenden Angelegenheit, auf die anzurechnen ist, so wird der bisher nicht angerechnete Restbetrag nunmehr angerechnet, wenn die nachnachfolgende Gebühr hoch genug ist.
2. Die nachfolgende Angelegenheit hat einen geringeren Gebührensatz
Kommt die Anrechnung der Geschäftsgebühr bei dem ersten nachfolgenden gerichtlichen Verfahren nicht voll zum Tragen, weil der Gebührensatz der ersten nachfolgenden Angelegenheit unterhalb der Hälfte des anzurechnenden Gebührensatzes liegt, so ist der nicht verbrauchte Anrechnungsbetrag auf ein anschließendes weiteres Verfahren anzurechnen, wenn die Verfahrensgebühr des nachfolgenden Verfahrens auf die des weiteren Verfahrens ihrerseits anzurechnen ist (OLG Köln AGS 2009, 476 = OLGR Köln 2009, 853 = NJW-Spezial 2009, 716).
Beispiel
Der Anwalt wehrt außergerichtlich für den Auftraggeber eine Forderung in Höhe von 8.000,00 EUR ab. Die Sache ist umfangreich, aber durchschnittlich. Der Gegner erwirkt daraufhin einen Mahnbescheid, gegen den der Anwalt Widerspruch einlegt. Hiernach kommt es zum streitigen Verfahren, in dem verhandelt wird.
Ausgehend von einer 1,5-Geschäftsgebühr wäre diese zu einem Gebührensatz von 0,75 anzurechnen. Da der Anwalt im Mahnverfahren aber nur 0,5 erhält (Nr. 3307 VV), kann nicht mehr angerechnet werden. Der nicht verbrauchte Anrechnungsbetrag i.H.v. 0,25 ist jetzt auf das streitige Verfahren zu "übertragen” und dort anzurechnen. Daneben ist auch die 0,5-Verfahrensgebühr der Nr. 3307 VV anzurechnen."
I. Außergerichtliche Vertretung (Wert: 8.000,00 EUR)
1. |
1,5-Geschäftsgebühr, Nr. 2300 VV |
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684,00 EUR |
2. |
Postentgeltpauschale, Nr. 7002 VV |
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20,00 EUR |
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Zwischensumme |
704,00 EUR |
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3. |
19 % Umsatzsteuer, Nr. 7008 VV |
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133,76 EUR |
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Gesamt |
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837,76 EUR |
II. Mahnverfahren (Wert: 8.000,00 EUR)
1. |
0,5-Verfahrensgebühr, Nr. 3307 VV |
|
228,00 EUR |
2. |
gem. Vorbem. 3 Abs. 4 VV anzurechnen, 0,5 aus 8.000,00 EUR |
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-228,00 EUR |
3. |
Postentgeltpauschale, Nr. 7002 VV |
|
20,00 EUR |
|
Zwischensumme |
20,00 EUR |
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4. |
19 % Umsatzsteuer, Nr. 7008 VV |
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3,80 EUR |
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Gesamt |
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23,80 EUR |
III. Gerichtliches Verfahren (Wert: 8.000,00 EUR)
1. |
1,3-Verfahrensgebühr, Nr. 3100 VV |
|
592,80 EUR |
2. |
gem. Anm. zu Nr. 3307 VV anzurechnen, 0,5 aus 8.000,00 EUR |
|
-228,00 EUR |
3. |
gem. Vorbem. 3 Abs. 4 VV anzurechnen, |
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0,75 aus 8.000,00 EUR |
-342,00 EUR |
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./. bereits angerechneter 0,5 aus 8.000,00 EUR |
228,00 EUR |
|
|
|
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-114,00 EUR |
4. |
1,2-Terminsgebühr, Nr. 3104 VV |
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547,20 EUR |
5. |
Postentgeltpauschale, Nr. 7002 VV |
|
20,00 EUR |
|
Zwischensumme |
818,00 EUR |
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6. |
19 % Umsatzsteuer, Nr. 7008 VV |
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155,42 EUR |
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Gesamt |
|
973,42 EUR |
3. Die nachfolgende Angelegenheit hat einen geringeren Gegenstandswert
Kommt die Anrechnung der ersten Gebühr auf die der unmittelbar nachfolgenden Angelegenheit nicht voll zum Tragen, weil der Gegenstandswert der nachfolgenden Angelegenheit geringer ist, kommt es dann aber zu einer nachfolgenden Angelegenheit, auf die auch anzurechnen ist und in der der Wert wieder höher ist, so wird der bisher nicht angerechnete Restbetrag nunmehr angerechnet (so im Ergebnis OLG München AGS 2009, 438 m. Anm. N. Schneider = NJW-Spezial 2009, 588 = JurBüro 2009, 475).
Beispiel
Der Anwalt wird zunächst nach einem Wert von 12.000,00 EUR außergerichtlich tätig. Anschließend wird ein selbstständiges Beweisverfahren über einen Teilbetrag in Höhe von 6.000,00 EUR geführt, da nur insoweit Beweisbedürftigkeit bestand. Im Rechtsstreit werden wiederum die vollen 12.0000,00 EUR geltend gemacht.
Für die außergerichtliche Vertretung ist eine Geschäftsgebühr nach Nr. 2300 VV angefallen.
Im selbstständigen Beweisverfahren ist eine Verfahrensgebühr nach Nr. 3100 VV entstanden. Darauf ist die vorangegangene Geschäftsgebühr hälftig anzurechnen (Vorbem. 2.3 Abs. 4 S. 1 VV), allerdings nur nach einem Wert von 6.000,00 EUR (Vorbem. 2.3 Abs. 4 S. 4 VV).
Die Verfahrensgebühr des selbstständigen Beweisverfahrens wiederum ist auf die Verfahrensgebühr des nachfolgenden Rechtsstreits anzurechnen (Vorbem. 3 Abs. 5 VV). Der nach Anrechnung im Beweisverfahren verbliebene Restbetrag der Geschäftsgebühr ist anschließend im Rechtsstreit anzurechnen.
I. Außergerichtliche Vertretung (Wert: 12.000,00 EUR)
1. |
1,3-Geschäftsgebühr, Nr. 2300 VV |
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785,20 EUR |
2. |
Postentgeltpauschale, Nr. 7002 VV |
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20,00 EUR |
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Zwischensumme |
805,20 EUR |
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3. |
19 % Umsatzsteuer, Nr. 7008 VV |
|
152,99 EUR |
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Gesamt |
|
958,19 EUR |
II. Selbstständiges Beweisverfahren (Wert: 6.000,00 EUR)
1. |
1,3-Verfahrensgebühr, Nr. 3100 VV |
|
460,20 EUR |
2. |
anzurechnen gem. Vorbem. 3 Abs. 4 VV, 0,65 aus 6.000,00 EUR |
|
-230,10 EUR |
3. |
Postentgeltpauschale, Nr. 7002 VV |
|
20,00 EUR |
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Zwischensumme |
250,10 EUR |
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4. |
19 % Umsatzsteuer, Nr. 7008 VV |
|
47,52 EUR |
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Gesamt |
|
297,62 EUR |
III. Rechtsstreit
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