1. Die gesetzlichen Regelungen
Verfahren kann gesonderte Angelegenheit sein
Hinsichtlich der Berechnung der Anwaltsvergütung erscheint das RVG auf den ersten Blick widersprüchlich zu sein, da es einerseits in § 19 Abs. 1 S. 2 Nr. 9 RVG anordnet, dass die Tätigkeit des Anwalts im Verfahren auf Vollstreckbarerklärung eines Urteils zum Rechtszug gehört und somit durch die Gebühren der Nrn. 3100 ff. VV abgegolten wird, andererseits in Nr. 3329 VV ein eigener Gebührentatbestand hierfür vorgesehen ist. Ein Widerspruch zwischen § 19 Abs. 1 S. 2 Nr. 9 RVG und Nr. 3329 VV besteht jedoch nur scheinbar. Obwohl das Verfahren auf Vollstreckbarerklärung prozessual stets zum Berufungsverfahren gehört (OLG München AGS 1993, 12 = MDR 1992, 1087 = OLGR 1992, 205 = Rpfleger 1993, 215 = JurBüro 1993, 156) und unter dem dortigen Aktenzeichen bearbeitet wird, kann das Verfahren gebührenrechtlich je nach Fallgestaltung zum Rechtsmittelverfahren zählen oder eine eigene Angelegenheit i.S.d. § 15 RVG darstellen.
2. Umfang der Angelegenheit
a) Selbstständige Angelegenheit oder Teil des Rechtsmittelverfahrens?
Eine gesonderte Angelegenheit, die nach Nr. 3329 VV zu vergüten ist, liegt immer dann vor, wenn der Anwalt hinsichtlich des nicht angegriffenen Teils des Urteils nicht mit der Berufung oder deren Abwehr beauftragt war und damit aus diesem Gegenstand nicht die Gebühren der Nrn. 3200 ff. VV verdient hat.
Dagegen zählt das Verfahren auf Vollstreckbarerklärung als Teil des Rechtsmittelverfahrens, wenn für den Anwalt der für vorläufig vollstreckbar zu erklärende Anspruch zu irgendeinem Zeitpunkt Gegenstand des Rechtsmittelverfahrens war. Nur dann gilt für ihn § 19 Abs. 1 S. 2 Nr. 9 RVG, so dass seine Tätigkeit auf Vollstreckbarerklärung durch die Gebühren der Nrn. 3200 ff. VV abgegolten wird.
b) Die Fälle der Zugehörigkeit zum Rechtsmittelverfahren
Die Tätigkeit des Anwalts gehört in folgenden Fällen zum Rechtsmittelverfahren, so dass nach § 19 Abs. 1 S. 2 Nr. 9 RVG eine einzige Angelegenheit vorliegt.
aa) Das ursprünglich unbeschränkt eingelegte Rechtsmittel wird nachträglich beschränkt
Nachträgliche Beschränkung
Wird ein Rechtsmittel zunächst uneingeschränkt eingelegt und dann erst später beschränkt, hat der Anwalt die Vergütung nach den Nrn. 3200 ff. VV bereits aus dem Gesamtwert verdient, so dass das anschließende Verfahren auf vorläufige Vollstreckbarerklärung nach § 19 Abs. 1 S. 2 Nr. 9 RVG mit zum Berufungsrechtszug zählt und keine gesonderten Gebühren mehr auslösen kann.
Beispiel
Der Beklagte ist verurteilt worden, 10.000,00 EUR zu zahlen. Sein Anwalt legt auftragsgemäß gegen das Urteil Berufung ein und beantragt, das Urteil abzuändern und die Klage abzuweisen. In der mündlichen Verhandlung nimmt er die Berufung teilweise zurück und wehrt sich nur noch gegen seine Verurteilung, soweit diese über 6.000,00 EUR hinausgeht. Der Kläger beantragt daraufhin, den nicht angegriffenen Teil des Urteils vorläufig für vollstreckbar zu erklären.
Die gesamten 10.000,00 EUR waren für beide Prozessbevollmächtigte anfangs Gegenstand des Berufungsverfahrens. Die spätere Teilrücknahme der Berufung ändert daran nichts mehr. Es liegt daher nach § 19 Abs. 1 S. 2 Nr. 9 RVG nur eine Angelegenheit vor. Zu rechnen ist für die beiden Anwälte wie folgt:
1. |
1,6-Verfahrensgebühr, Nr. 3200 VV |
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892,80 EUR |
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(Wert: 10.000,00 EUR) |
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2. |
1,2-Terminsgebühr, Nr. 3202 VV |
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669,60 EUR |
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(Wert: 10.000,00 EUR) |
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3. |
Postentgeltpauschale, Nr. 7002 VV |
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20,00 EUR |
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Zwischensumme |
1.582,40 EUR |
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4. |
19 % Umsatzsteuer, Nr. 7008 VV |
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300,66 EUR |
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Gesamt |
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1.883,06 EUR |
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Wäre die Berufung vor dem Termin zurückgenommen und der Antrag auf Vollstreckbarerklärung vor dem Termin gestellt und beschieden worden, wäre die Terminsgebühr nur nach 6.000,00 EUR angefallen.
Zu dieser Fallgruppe zählt für den Anwalt des Rechtsmittelklägers auch der Fall, dass er den Auftrag erhält, uneingeschränkt Rechtsmittel einzulegen, er aber dann von einem uneingeschränkten Rechtsmittel abrät und dieses dann nur noch beschränkt durchgeführt wird.
Beispiel
Der Beklagte ist verurteilt worden, 10.000,00 EUR zu zahlen. Der Beklagte beauftragt seinen Anwalt, gegen das Urteil uneingeschränkt Berufung einzulegen. Nach rechtlicher Prüfung rät der Anwalt dem Beklagten, die Berufung nur durchzuführen, soweit er zu mehr als 6.000,00 EUR verurteilt worden ist. Die Berufung wird auch nur entsprechend begründet. Auf Antrag des Prozessbevollmächtigten des Klägers wird daraufhin vom Berufungsgericht der nicht angegriffene Teil des Urteils für vorläufig vollstreckbar erklärt.
Für den Anwalt des Beklagten waren die gesamten 10.000,00 EUR Gegenstand des Berufungsverfahrens. Die spätere Beschränkung ändert daran nichts mehr (BGH AGS 2018, 60 = ZInsO 2018, 347 = MDR 2018, 367 = NJW-Spezial 2018, 124 = FamRZ 2018, 522). Es liegt daher für ihn nach § 19 Abs. 1 S. 2 Nr. 9 RVG nur eine Angelegenheit vor. Die Verfahrensgebühr der Nr. 3200 VV deckt jetzt für ihn auch das Verfahren auf Vollstreckbarerklärung mit ab.
Zu rechnen ist für den Anwalt des Beklagten wie folgt:
1. |
1,6-Verfahrensgebühr, Nr. 3200 VV |
|
|
892,80 EUR |
|
(Wert: 10.000,00 EUR) |
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2. |
1,2-Terminsgebühr, Nr. 3202 VV |
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|
669,60 EUR |
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(Wert: 6.000,00 EUR) |
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3. |
Postentgeltpauschale, Nr. 7002 VV |
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20,00 EUR |
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Zwischensumme |
1.58... |