Erlässt eine Behörde mehrere gesonderte Bescheide, so wird hiergegen in der Regel auch gesondert Widerspruch oder Einspruch eingelegt. Dies gilt jedenfalls dann, wenn die Bescheide zeitversetzt ergehen. Solche Konstellationen kommen insbesondere im Steuerrecht vor, wenn jährliche Steuerbescheide ergehen, die dann innerhalb der jeweiligen Frist mit Einspruch angefochten werden.
Geschäftsgebühren entstehen gesondert
Der Anwalt erhält dann für die einzelnen Widerspruchs- bzw. Einspruchsverfahren jeweils gesonderte Geschäftsgebühren.
Werden die Widersprüche oder Einsprüche in einer gemeinsamen Entscheidung von der Behörde beschieden, ändert dies an den einmal verdienten Gebühren des Anwalts nichts mehr. Die Gebühren bleiben gesondert bestehen.
Der Rechtsanwalt erhält bei zusammengefasster Einspruchsentscheidung über mehrere Einsprüche mehrere Geschäftsgebühren. Dem steht nicht entgegen, dass gegen die zusammengefasste Einspruchsentscheidung eine Klage erhoben wurde, so dass sich im Gerichtsverfahren nur eine Angelegenheit ergeben hat, für die ein Gesamtstreitwert zu bilden war. Die Bildung eines Gesamtstreitwerts für das Vorverfahren scheidet aus.
FG Köln, Beschl. v. 12.7.2012 – 10 Ko 4029/11, AGS 2012, 524 = EFG 2012, 2159 = DStRE 2013, 120 = StE 2012, 602 = NJW-Spezial 2013, 61
Gegen den Mandanten sind zwei getrennte Einkommenssteuerbescheide über 5.000,00 EUR (Veranlagungsjahr 2016) und über 8.000,00 EUR (Veranlagungsjahr 2017) ergangen. Der Anwalt hatte gegen beide Bescheide gesondert Einspruch eingelegt. Die Behörde entscheidet über die Einsprüche durch einen einheitlichen Bescheid. Hiergegen wird sodann eine einheitliche Anfechtungsklage geführt.
Ungeachtet der gemeinsamen Einspruchsentscheidung erhält der Anwalt für jedes Einspruchsverfahren eine gesonderte Geschäftsgebühr nach Nr. 2300 VV, wobei hier von der Mittelgebühr ausgegangen werden soll. Abzurechnen ist danach wie folgt:
I. Einspruch gegen Einkommenssteuerbescheid 2016 |
1. |
1,5-Geschäftsgebühr, Nr. 2300 VV |
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454,50 EUR |
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(Wert: 5.000,00 EUR) |
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2. |
Postentgeltpauschale, Nr. 7002 VV |
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20,00 EUR |
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Zwischensumme |
474,50 EUR |
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3. |
19 % Umsatzsteuer, Nr. 7008 VV |
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90,16 EUR |
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Gesamt |
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564,66 EUR |
II. Einspruch gegen Einkommenssteuerbescheid 2017 |
1. |
1,5-Geschäftsgebühr, Nr. 2300 VV |
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684,00 EUR |
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(Wert: 8.000,00 EUR) |
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2. |
Postentgeltpauschale, Nr. 7002 VV |
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20,00 EUR |
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Zwischensumme |
704,00 EUR |
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3. |
19 % Umsatzsteuer, Nr. 7008 VV |
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133,76 EUR |
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Gesamt |
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837,76 EUR |
Verfahrensgebühr nur einmal aus Gesamtwert
Wird allerdings jetzt Klage erhoben, dann handelt es sich um eine einzige Angelegenheit, da nunmehr ein einheitlicher Beschluss angefochten wird. Maßgebend ist nunmehr der Gesamtwert (§ 23 Abs. 1 S. 1 RVG i.V.m. § 39 Abs. 1 GKG).
Beide Geschäftsgebühren sind anzurechnen
Im gerichtlichen Verfahren entsteht nur eine Verfahrensgebühr. Darauf sind jetzt gem. Vorbem. 3 Abs. 4 VV beide Geschäftsgebühren hälftig anzurechnen, höchstens jedoch zu 0,75. Insoweit ergibt sich das Problem, wie die Anrechnung vorzunehmen ist, also ob das Anrechnungsaufkommen zu begrenzen ist oder ob sämtliche Geschäftsgebühren in voller Höhe anzurechnen sind.
Verwaltungsgerichtsbarkeit begrenzt die Anrechnung
In der Verwaltungsgerichtsbarkeit wird die Auffassung vertreten, dass das Gebührenaufkommen der anzurechnenden Beträge zu begrenzen ist auf einen Betrag nach dem höchsten anzurechnenden Gebührensatz aus dem Gesamtwert.
Die Geschäftsgebühr für das vorgerichtliche Widerspruchsverfahren ist auf die Verfahrensgebühr für das gerichtliche Verfahren nach einem fiktiven einheitlichen Gegenstand und dem hierfür festgesetzten Gesamt-Streitwert hälftig anzurechnen, wenn für das Widerspruchsverfahren tatsächlich mehrere einzelne Geschäftsgebühren von Teilen des späteren gerichtlichen Streitgegenstandes entstanden sind (Vorbem. 3 Abs. 4 S. 5 VV).
OVG Nordrhein-Westfalen, Beschl. v. 17.7.2017 – 19 E 614/16, AGS 2017, 497 = AnwBl 2017, 1006 = NJW-Spezial 2017, 540 = RVGreport 2017, 381
III. Rechtsstreit |
1. |
1,6-Verfahrensgebühr, Nr. 3200 VV |
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966,40 EUR |
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(Wert: 13.000,00 EUR) |
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2. |
gem. Vorbem. 3 Abs. 4 VV anzurechnen, |
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0,75 aus 5.000,00 EUR |
– 227,25 EUR |
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3. |
gem. Vorbem. 3 Abs. 4 VV anzurechnen, |
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0,75 aus 8.000,00 EUR |
– 342,60 EUR |
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analog § 15 Abs. 3 RVG nicht mehr als |
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– 453,00 EUR |
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0,75 aus 13.000,00 EUR |
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4. |
1,2-Terminsgebühr, Nr. 3202 VV |
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724,80 EUR |
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(Wert: 13.000,00 EUR) |
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5. |
Postentgeltpauschale, Nr. 7002 VV |
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20,00 EUR |
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Zwischensumme |
1.258,20 EUR |
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6. |
19 % Umsatzsteuer, Nr. 7008 VV |
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239,06 EUR |
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Gesamt |
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1.497,26 EUR |
Nach BGH unbegrenzte Anrechnung
Nach der Rspr. des BGH (AGS 2017, 170 u. 498 = AnwBl 2017, 558 = MDR 2017, 670 = JurBüro 2017, 245 = NJW 2017, 1821 = BRAK-Mitt 2017, 133 = FamRZ 2017, 990 = Rpfleger 2017, 483 = NJW-Spezial 2017, 315 = RVGreport 2017, 220 = RVGprof. 2017, 96 = ErbR 2017, 361) ist eine solche Kürzung dagegen nicht vorzunehmen. Danach wäre wie folgt zu rechnen:
III. Rechtsstreit (Abrechnung nach BG... |