Leitsatz
Der Gebührenstreitwert für eine Klage auf Zahlung künftiger Nutzungsentschädigungen bis zum – ungewissen – Zeitpunkt der Räumung richtet sich nicht nach § 9 ZPO, sondern nach § 3 ZPO und beläuft sich damit auf die geforderten Nutzungsentschädigungen für die voraussichtliche Dauer vom Zeitpunkt der Einreichung der Klage bis zur tatsächlichen Räumung. Regelmäßig kann von einer Zeitspanne von einem Jahr ausgegangen werden.
OLG Dresden, Beschl. v. 2.8.2012 – 5 W 745/12
1 I. Der Fall
Die Vermieterin hatte nach Kündigung des Mietvertrages Klage auf Räumung und Herausgabe der vermieteten Gewerberäume, auf Zahlung fälliger Mieten und Nutzungsentschädigungen sowie auf Zahlung künftiger Nutzungsentschädigungen bis zur tatsächlichen Räumung des Objekts erhoben. Vor dem Termin hat sie ihren Antrag insoweit sprachlich umgestellt, als sie die bis zum Termin zwischenzeitlich weiteren fällig gewordenen Nutzungsentschädigungen beziffert und nur noch im Übrigen auf zukünftige Leistung geklagt hat. Im Verfahren schlossen die Parteien sodann einen Vergleich, in dem sich die Beklagte zur Räumung verpflichtete. Das LG setzte daraufhin den Gebührenstreitwert für die zukünftigen Nutzungsentschädigungen auf den sechsfachen Monatsbetrag fest. Dagegen legten die Prozessbevollmächtigten der Klägerin Beschwerde ein und beantragten, den Wert für den Antrag auf Zahlung künftiger Nutzungsentschädigung mit dem Jahreswert anzusetzen. Das LG hat der Beschwerde nicht abgeholfen, da Verfahren über eine Räumungsklage erfahrungsgemäß lediglich eine Dauer von sechs Monaten aufwiesen.
Die Beschwerde hatte Erfolg.
2 II. Die Entscheidung
Gebührenstreitwert richtet sich nach § 3 ZPO
Das OLG geht mit dem LG davon aus, dass sich der Gebührenstreitwert für eine Klage auf Zahlung künftiger Nutzungsentschädigungen bis zum – unbekannten – Zeitpunkt der Räumung nicht nach § 9 ZPO, sondern nach § 3 ZPO richte. Abzustellen ist daher nicht auf den dreieinhalbfachen Jahreswert, sondern auf die voraussichtliche Zeit bis zur Räumung des Objekts. Das Gericht beruft sich dabei insbesondere auf OLG Stuttgart (AGS 2011, 245 = MDR 2011, 513 = JurBüro 2011, 198 = Justiz 2011, 159 = NJW-Spezial 2011, 221 = MietRB 2011, 112 = Info M 2011, 84 = RVGprof. 2011, 75). Die Höhe des Streitwertes ist dabei gem. § 3 ZPO nach freiem Ermessen unter besonderer Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalles zu bestimmen.
Abzustellen ist auf die voraussichtliche Dauer des Verfahrens zuzüglich Vollstreckung
Sachgerecht ist danach der Ausgangspunkt des LG, wonach es auf den voraussichtlichen Zeitraum von Einreichung der Klage bis zur tatsächlichen Räumung ankommt. Entgegen der Auffassung des LG ist allerdings dieser Zeitraum mit sechs Monaten zu knapp bemessen. Vielmehr ist regelmäßig für die Dauer eines zivilprozessualen Erkenntnisverfahrens zuzüglich der Dauer eines eventuell erforderlich werdenden Vollstreckungsverfahrens von einem Jahr auszugehen.
Tatsächlich kürzerer Verlauf ist unerheblich
Dass sich das Verfahren hier durch einen Vergleich bereits nach vier Monaten erledigt hatte, ist unerheblich, da es gem. § 40 GKG auf die Vorstellungen zu Beginn des Rechtsstreits ankommt.
Umstellung des Klageantrags ist unerheblich
Ebenso war unerheblich, dass vor dem Termin die bis dahin aufgelaufenen fälligen Beträge beziffert worden sind. Maßgeblich ist auch insoweit § 40 GKG, wonach es auf die Umstände bei Einreichung der Klage ankommt und spätere Veränderungen unerheblich sind.
3 III. Der Praxistipp
Entscheidung entspricht der einhelligen OLG-Rechtsprechung
Die Entscheidung des OLG Dresden entspricht der ganz einhelligen Rechtsprechung der Oberlandesgerichte:
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OLG Nürnberg NZM 2006, 540 = OLGR 2006, 318 = GuT 2006, 83 = MietRB 2006, 128 = Info M 2006, 155; |
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OLG Düsseldorf AGS 2007, 46 = ZMR 2006, 517 = GE 2006, 387 = NZM 2006, 583; AGS 2012, 144 = Info M 2011, 344 = MietRB 2012, 106; |
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KG NZM 2007, 600 = GE 2007, 292 = ZMR 2007, 366 = KGR 2007, 420 = MDR 2007, 645 = WE 2007, 189 u. 261 = NJW-RR 2007, 1579 = MietRB 2007, 117; GE 2011, 1616; |
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OLG Stuttgart AGS 2011, 245 = MDR 2011, 513 = JurBüro 2011, 198 = Justiz 2011, 159 = NJW-Spezial 2011, 221 = MietRB 2011, 112 = Info M 2011, 84 = RVGprof. 2011, 75; |
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OLG Naumburg Info M 2011, 446 = MietRB 2012, 71; |
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OLG Frankfurt OLGR 2004, 201. |
Soweit das OLG Hamm (FamRZ 2008, 1208 = OLGR 2008, 366 = FamRZ 2008, 1208 = AGS 2008, 358 = NJW-Spezial 2008, 349) mit gegenteiliger Auffassung zitiert wird, ist dies unzutreffend. Im Fall des OLG Hamm war zwar auch eine "Nutzungsentschädigung" verlangt worden, allerdings nicht eine solche gem. § 546a BGB nach Kündigung des Mietverhältnisses. Dort hatte der geschiedene Ehemann von seiner geschiedenen Ehefrau eine Nutzungsentschädigung nach § 745 Abs. 2 BGB verlangt, da sie eine den geschiedenen Eheleuten gemeinsam gehörende Wohnung weiterhin alleine nutzte. Dieses Nutzungsverhältnis war nicht gekündigt oder befristet, sodass es auf unbestimmte Zeit lief und daher der Ansatz von dreieinhalb Jahren gem. § 9 ZPO zutreffend war.