RVG § 56 Abs. 1 S. 1; SGG § 86
Leitsatz
Die Anwendung des niedrigeren Gebührenrahmens ist auch im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes gerechtfertigt, wenn der Rechtsanwalt mit der Sache bereits vertraut war, da er bereits im Widerspruchsverfahren tätig geworden ist.
SG Bremen, Beschl. v. 28.8.2009 – S 4 E 1189/09
Sachverhalt
Die Antragstellerin ließ durch ihren Prozessbevollmächtigen – den Erinnerungsführer – einen Eilantrag beim SG Bremen stellen, mit dem sie die Feststellung begehrte, dass ein vom Erinnerungsführer für sie eingelegter Widerspruch gegen einen Aufhebungsbescheid aufschiebende Wirkung habe. Dem Antrag wurde teilweise stattgegeben und der Antragstellerin Prozesskostenhilfe unter Beiordnung des Erinnerungsführers gewährt.
Dieser beantragte daraufhin die Festsetzung folgender Gebühren für das Eilverfahren:
Verfahrensgebühr, Nr. 3102 VV |
275,00 EUR |
Auslagenpauschale, Nr. 7002 VV |
20,00 EUR |
Umsatzsteuer, Nr. 7008 VV |
56,05 EUR |
Gesamt |
351,05 EUR |
Der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle setzte die aus der Staatskasse zu zahlenden Gebühren und Auslagen für das Eilverfahren auf 202,30 EUR fest. Zur Begründung führte er aus, es sei eine Verfahrensgebühr nach Nr. 3103 VV in Höhe von 150,00 EUR in Ansatz zu bringen, da eine Tätigkeit des Rechtsanwalts im Widerspruchsverfahren vorausgegangen sei.
Dagegen wendet sich der Erinnerungsführer. Im Eilverfahren sei nicht der Gebührenrahmen aus Nr. 3103 VV, sondern aus Nr. 3102 VV anwendbar. Die Erinnerung hatte insoweit keinen Erfolg.
Aus den Gründen
Für das Eilverfahren ist wegen der vorangegangenen Tätigkeit des Erinnerungsführers im Widerspruchsverfahren die Verfahrensgebühr nach Nr. 3103 VV anstelle der vollen Verfahrensgebühr nach Nr. 3102 VV in Ansatz zu bringen. Durch den geringeren Gebührenrahmen wird dem Umstand Rechnung getragen, dass der Rechtsanwalt durch seine Tätigkeit im Verwaltungsverfahren oder im Vorverfahren mit der Materie bereits vertraut ist und deshalb die Vorbereitung des Sozialgerichtsverfahrens für ihn weniger arbeitsaufwendig ist als für einen Anwalt, der erstmals mit der Materie befasst wird (Riedel/Sußbauer, RVG, 9. Aufl., VV Teil 3 Abschnitt 1 Rn 43). Dies ergibt sich ausdrücklich aus der Begründung des Gesetzesentwurfes zu Nr. 3103 VV (BT-Drucks 15/1971, S. 212). Der niedrigere Gebührenrahmen der Nr. 3103 VV ist auch im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes gerechtfertigt. Die Tätigkeit des Rechtsanwalts in einem sozialgerichtlichen Eilverfahren wird regelmäßig dadurch erleichtert, dass er in derselben Sache bereits im Verwaltungs- oder Widerspruchsverfahren tätig geworden ist. Zwar gilt im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes ein anderer Maßstab als für das Hauptsacheverfahren. So genügt für den Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 86b Abs. 2 S. 2 SGG, dass der Antragsteller das Vorliegen eines Anordnungsanspruches und eines Anordnungsgrundes glaubhaft macht. Der Vortrag des Rechtsanwaltes zur Begründung des Anordnungsanspruches entspricht inhaltlich regelmäßig der Widerspruchsbegründung. In beiden Fällen sind die Voraussetzungen für das Vorliegen des materiell-rechtlichen Anspruches vorzutragen. Lediglich hinsichtlich der Glaubhaftmachung des Anordnungsgrundes ist im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes im Verhältnis zum Widerspruchsverfahren ein weiterer eigenständiger Vortrag notwendig. Dieser erschöpft sich in Verfahren, in denen es um laufende Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II geht, regelmäßig auf den Hinweis, dass es sich hierbei um existenzsichernde Leistungen handelt (vgl. SG Aurich, Beschl. v. 9.5.2006 – S 25 SF 20/05 AS; Bay. LSG, Beschl. v. 18.1.2007 – L 15 B 224/0624/06 AS).
Der Gebührentatbestand der Nr. 3103 VV bezieht sich nicht nur auf solche Verwaltungs- bzw. Widerspruchsverfahren, die einem Hauptsacheverfahren vorgelagert sind (vgl. SG Oldenburg, Beschl. v. 15.8.2005 – S 47 AS 169/05 ER). Wie im Hauptsacheverfahren setzt auch die einstweilige Anordnung nach § 86b Abs. 2 SGG die fristgerechte Einlegung eines Widerspruchs gegen den ablehnenden Bescheid voraus, da es hier anderenfalls regelmäßig am Rechtsschutzbedürfnis fehlt. Im Übrigen wird weder bei dem Gebührentatbestand der Nr. 3102 VV noch bei Nr. 3103 VV zwischen einem Klageverfahren und einem Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes differenziert. Beide Gebührentatbestände gelten vielmehr insgesamt für das sozialgerichtliche Verfahren. In Sozialgerichtsverfahren wird die für ein Tätigwerden des Rechtsanwalts im Vorverfahren anfallende Geschäftsgebühr nach Nr. 2400 VV oder Nr. 2401 VV nicht hälftig auf die Verfahrensgebühr angerechnet; die Vorbem. 3 Abs. 4 VV gilt nur für die in verwaltungsgerichtlichen Verfahren anfallende Geschäftsgebühr (vgl. hierzu VG Bremen, Beschl. v. 15.8.2008–4 E 823/08). Die mit dem vorprozessualen Tätigwerden regelmäßig verbundene Arbeitsersparnis wird in Sozialgerichtssachen, in denen Betragsrahmengebühren anfallen, durch den geringeren Gebührenrahmen der Nr. 3103 VV berücksichtigt. Die Nr. 3103 VV ist gegenüber Nr. 3102 VV eine...