RVG §§ 7 Abs. 1, Abs. 2 S. 1, 15 Abs. 2 S. 1; ZPO § 91 Abs. 1 S. 1; BGB § 426 Abs. 1 S. 1
Leitsatz
- Ein Parteiwechsel innerhalb eines gerichtlichen Verfahrens rechtfertigt nur die einmalige Erhebung der in dem Rechtszug anfallenden Gebühren (§§ 7 Abs. 1, 15 Abs. 2 S. 1 RVG) unabhängig davon, ob der gemeinsame Rechtsanwalt gleichzeitig oder nacheinander für mehrere Auftraggeber in derselben Angelegenheit tätig wird.
- Der Festsetzung eines Mehrvertretungszuschlags (Nr. 1008 VV) setzt einen entsprechenden Antrag gem. § 103 Abs. 2 S. 1 ZPO voraus.
- Bei der Kostenfestsetzung nach der Durchbrechung des Grundsatzes der Einheitlichkeit der Kostenentscheidung beim vorzeitigen Ausscheiden eines Streitgenossen durch Parteiwechsel ist zu beachten, dass der ausgeschiedene obsiegende Streitgenosse von dem unterlegenen Gegner nur in Höhe des seiner Beteiligung am Rechtsstreit entsprechenden Bruchteils und nicht entsprechend seinem Haftungsanteil nach § 7 Abs. 2 S. 1 RVG Erstattung seiner außergerichtlichen Kosten verlangen kann.
OLG Stuttgart, Beschl. v. 20.11.2009–8 W 459/09
Sachverhalt
Die Klägerin hatte zunächst den Beklagten zu 1) auf Zahlung i.H.v. 54.800,00 EUR verklagt. Später bemerkte sie, dass die Klage zutreffend gegen die Beklagte zu 2) hätte gerichtet werden müssen. Im Wege des Parteiwechsels nahm sie daraufhin die Klage gegen den Beklagten zu 1) zurück und richtete sie nunmehr gegen die Beklagte zu 2). Für diese bestellte sich derselbe Rechtsanwalt, der zuvor schon den Beklagten zu 1) vertreten hatte. Durch gesonderten Beschluss wurden der Klägerin entsprechend § 269 Abs. 3 S. 2 ZPO vorab die außergerichtlichen Kosten des ausgeschiedenen Beklagten zu 1) auferlegt.
Daraufhin beantragte der Beklagte zu 1), die ihm entstandenen außergerichtlichen Kosten festzusetzen, und zwar eine volle 1,3-Verfahrensgebühr nebst Auslagen und Umsatzsteuer. Die Rechtspflegerin hat antragsgemäß festgesetzt. Die dagegen erhobene sofortige Beschwerde der Klägerin hatte teilweise Erfolg.
Aus den Gründen
Entsprechend der Kostengrundentscheidung des LG waren die beim Beklagten zu 1) angefallenen und erstattungsfähigen außergerichtlichen Kosten gem. § 91 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 S. 1 ZPO auf seinen Antrag gegenüber der Klägerin festzusetzen – unabhängig vom Ausgang des Rechtsstreits zwischen ihr und der jetzigen Beklagten zu 2).
Die Rechtspflegerin hat jedoch zu Unrecht die vom Beklagtenvertreter in Ansatz gebrachten Gebühren und Auslagen als Erstattungsbetrag zugunsten des aus dem Rechtsstreit ausgeschiedenen Beklagten zu 1) in voller Höhe berücksichtigt. Denn richtig hätte die Festsetzung nur zu einem Bruchteil von 1/2 erfolgen dürfen.
Die Klägerin weist zu Recht darauf hin, dass bei der Abrechnung der auf Beklagtenseite entstandenen Anwaltsgebühren trotz des Parteiwechsels nur eine Angelegenheit zugrunde gelegt werden kann.
Nach der Rspr. des BGH (NJW 2007, 769 [= AGS 2006, 538]; vgl. auch Beschl. d. Senats v. 11.11.2008–8 W 467/08, sowie Müller-Rabe, in: Gerold/Schmidt, RVG, 18. Aufl. 2008, Nr. 1008 VV Rn 98 und 99; je m. w. Nachw.) führt ein Parteiwechsel innerhalb eines gerichtlichen Verfahrens nie dazu, dass zwei Angelegenheiten vorliegen. Es bleibt eine Angelegenheit, die nur die einmalige Erhebung der in dem Rechtszug anfallenden Gebühren (§§ 7 Abs. 1, 15 Abs. 2 S. 1 RVG) rechtfertigt und zwar unabhängig davon, ob der Rechtsanwalt gleichzeitig oder nacheinander für mehrere Auftraggeber in derselben Angelegenheit tätig wird.
Zu berücksichtigen ist dabei zum Ausgleich des Mehraufwandes und des erhöhten Haftungsrisikos des Anwalts bei der Verfahrens- bzw. Geschäftsgebühr der Mehrvertretungszuschlag (Nr. 1008 VV) – sofern ein entsprechender Antrag gem. § 103 Abs. 2 S. 1 ZPO als unerlässliche Verfahrensvoraussetzung (Herget, in: Zöller, ZPO, 27. Aufl. 2009, § 104 Rn 3 m. w. Nachw.) gestellt wurde, an dem es vorliegend jedoch fehlt.
Da es nicht darauf ankommt, ob der Rechtsanwalt zeitweilig beide Parteien gleichzeitig oder nur nacheinander vertreten hat, sind sie kostenrechtlich als Streitgenossen zu behandeln.
Bei der Beauftragung eines gemeinsamen Rechtsanwalts durch Streitgenossen kann der obsiegende Streitgenosse von dem unterlegenen Gegner nur in Höhe des seiner Beteiligung am Rechtsstreit entsprechenden Bruchteils und nicht entsprechend seinem Haftungsanteil nach § 7 Abs. 2 S. 1 RVG Erstattung seiner außergerichtlichen Kosten verlangen (BGH NJW-RR 2003, 1217; BGH VersR 2006, 808; BGH NJW-RR 2006, 1508 [= AGS 2006, 306]; OLG Koblenz AGS 2007, 544; Beschl. d. Senats v. 4.5.2007–8 W 172/07 u. v. 24.10.2007–8 W 437/07; je m. w. Nachw.). Denn im Innenausgleich ist die gesetzliche Auslegungsregel des § 426 Abs. 1 S. 1 BGB zu beachten, wonach die Kostentragung die beiden Beklagten zu gleichen Teilen trifft, so dass für den obsiegenden Beklagten zu 1) notwendige Kosten i.S.v. § 91 Abs. 1 S. 1 ZPO nur in Höhe seines Kopfteils, also der Hälfte der Anwaltsvergütung entstanden sind.
Im Einzelnen wird verwiesen auf die ausführliche Begründung in den zuvor zitierten Beschlüssen des BGH.
Die beiden...