RVG § 15a Abs. 2 RVG VV Nr. 2300, Vorbem. 3 Abs. 4
Leitsatz
- Eine Anrechnung der Geschäftsgebühr aufgrund eines Gesamtvergleichs kommt nur dann in Betracht, wenn sich aus dem Vergleich unmissverständlich ergibt, in welcher Höhe die Geschäftsgebühr durch die Vergleichssumme mit abgegolten sein soll. Alleine dass die Geschäftsgebühr Gegenstand des Rechtsstreits gewesen ist, reicht für eine Anrechnung nicht aus.
- Dasselbe Verfahren i.S.d. § 15a Abs. 2 RVG wird nicht bereits dadurch begründet, dass im Erkenntnisverfahren eine Geschäftsgebühr klageweise geltend gemacht worden ist und sodann im nachfolgenden Kostenfestsetzungsverfahren die Verfahrensgebühr in Ansatz gebracht wird.
OLG Oldenburg, Beschl. v. 26.10.2010 – 5 W 66/10
1 Sachverhalt
Die Klägerin hatte die Beklagten vor dem LG wegen einer angeblich fehlerhaften ärztlichen Behandlung auf Schadensersatz in Anspruch genommen und beantragt, die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an die Klägerin ein angemessenes Schmerzensgeld – mindestens jedoch 10.000,00 EUR – nebst Zinsen zu zahlen und festzustellen, dass die Beklagten als Gesamtschuldner verpflichtet sind, ihr "sämtliche materiellen und immateriellen Schäden zu ersetzen," die ihr aus der behaupteten fehlerhaften ärztlichen Behandlung "entstanden sind oder noch entstehen werden, soweit diese Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergegangen sind."
Im Verfahren haben die Parteien vor dem LG einen Prozessvergleich geschlossen. Darin haben sich die Beklagten zu 1) und 2) als Gesamtschuldner verpflichtet, an die Klägerin "zur Abgeltung der […] geltend gemachten Forderungen" einen Betrag in Höhe von 12.000,00 EUR zu zahlen“. Weiter wurde vereinbart, dass damit "alle eventuellen Ansprüche aus der betreffenden Operation und der entsprechenden Behandlung" erledigt seien, "auch insoweit wie sie noch nicht erkennbar geworden sind oder in Zukunft erst auftreten". Die Kosten des Rechtsstreits und des Vergleichs haben die Beklagten als Gesamtschuldner zu 2/3 und die Klägerin zu 1/3 übernommen.
Nach Abschluss des Vergleichs hat die Klägerin beantragt, die Kosten gegen die Beklagten festzusetzen. Dabei hat sie eine volle 1,3-Verfahrensgebühr angemeldet. Die Rechtspflegerin hat antragsgemäß festgesetzt. Dagegen haben die Beklagten sofortige Beschwerde erhoben. Sie sind der Auffassung, 0,65 der Geschäftsgebühr hätten auf die Verfahrensgebühr angerechnet werden müssen. Die Rechtspflegerin hat der Beschwerde nicht abgeholfen und die Sache dem OLG zur Entscheidung vorgelegt. Die Beschwerde hatte keinen Erfolg.
2 Aus den Gründen
Die Rechtspflegerin hat es zu Recht abgelehnt, bei der Festsetzung der von den Beklagten zu erstattenden Kosten die Geschäftsgebühr hälftig auf die Verfahrensgebühr des streitigen Verfahrens anzurechnen.
1. Maßgebend ist § 15a RVG. Diese Regelung ist zwar erst in Kraft getreten, nachdem die Klägerin ihren Bevollmächtigten bereits beauftragt hatte, nämlich am 5.8.2009. Doch stellt § 15a RVG eine bloße Klarstellung der schon zuvor bestehenden Rechtslage dar und findet deshalb auch Anwendung, wenn die Auftragserteilung des Erstattungsberechtigten an seinen Prozess- beziehungsweise Verfahrensbevollmächtigten vor dem 5.8.2009 erfolgt war (vgl. BGH, Beschl. v. 3.2.2010 – XII ZB 177/09, JurBüro 2010, 420 [= AGS 2010, 106]; Beschl. v. 17.6.2010 – V ZB 176/09, AGS 2010, 459 f., jeweils m.w.Nachw.).
2. Die Vorschrift des § 15a RVG behandelt in ihrem Abs. 1 lediglich das Innenverhältnis des Rechtsanwalts zu seinem Auftraggeber. Prinzipiell wirkt sich daher die Anrechnung gem. Vorbem. 3 Abs. 4 VV im Verhältnis zu Dritten, also insbesondere im Kostenfestsetzungsverfahren, nicht aus.
Diesen Grundsatz schränkt § 15a Abs. 2 RVG unter bestimmten – abschließend beschriebenen – Voraussetzungen ein, um im Außenverhältnis sicherzustellen, dass ein Dritter nicht über den Betrag hinaus auf Ersatz und Erstattung in Anspruch genommen werden kann, den der Anwalt von seinem Mandanten verlangen kann (vgl. BGH, Beschl. v. 2.9.2009 – II ZB 35/07, NJW 2009, 3101 [= AGS 2009, 466] m.w.Nachw.). Vorgesehen ist eine Anrechnung nur, soweit der Dritte den Anspruch auf eine der beiden Gebühren erfüllt hat, wegen einer dieser Ansprüche gegen ihn ein Vollstreckungstitel besteht oder beide Gebühren in demselben Verfahren gegen ihn geltend gemacht werden.
3. Die vorliegende Konstellation unterfällt keiner dieser drei Fallgruppen:
a) Dass die Beklagten die im Streit befindliche Geschäftsgebühr gezahlt haben, ist weder vorgetragen noch sonst ersichtlich. Ebenso wenig lässt sich der zwischen den Parteien zustande gekommene Vergleich als Erfüllung qualifizieren. Zwar hat das OLG Stuttgart es für möglich gehalten, einen Vergleich "zumindest als Annahme an Erfüllung statt (§ 364 Abs. 1 BGB) einzuordnen mit der Folge, dass § 15a Abs. 2 RVG eingreift (vgl. Beschl. v. 16.7.2010 – 8 W 317/10, AnwBl 2010, 723). Doch ging es dabei um eine Vereinbarung, in der es heißt, die "außergerichtlichen Geschäftsgebühren seien von dem […] Vergleich umfasst und abgegolten.""
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