"Iudex non calculat" – dieser altrömische Rechtssatz bestätigt sich trotz allgemeiner Benutzung des Taschenrechners immer wieder, so auch in der Entscheidung des AG München.

Die von dem beklagten Strafverteidiger für das Vorverfahren vereinbarte Vergütung von 3.000,00 EUR neben der gesetzlichen Vergütung wird vom AG als unangemessen angesehen und das Verteidigerhonorar auf die für angemessen angesehene gesetzliche Vergütung gestutzt. Nicht zuletzt unter dem Druck der Generaldirektion Wettbewerb der Europäischen Union[1] hatte sich der Gesetzgeber mit Einführung des RVG entschlossen, für Vergütungsvereinbarungen einen größeren Raum zu geben – ja, er hatte mit dem ab dem 1.7.2006 geltenden § 34 RVG den Anwalt sogar zum Abschluss von Vergütungsvereinbarungen im Beratungsbereich verpflichten wollen.

Nun tut dies der Münchner Strafverteidiger und scheitert beim AG München, weil dieses nicht nur die Rspr. des BGH[1] missversteht, sondern auch das BVerfG[1] unrichtig interpretiert, wie durch spätere Entscheidung des BGH[1] belegt.

Für die verfehlte Berechnung der angeblich unangemessenen Gebühr bietet der BGH[1] die Grundlage, als dort nämlich die Grenze der Unangemessenheit sprachlich unkorrekt mal mit dem Fünffachen der gesetzlichen Gebühr, mal mit der fünffach überhöhten gesetzlichen Gebühr – also das Sechsfache! – gezogen wird; die Gebührenreferentenkonferenz der Rechtsanwaltskammern hat darauf mit Recht hingewiesen.[1] Vergütungsvereinbarungen, die das Fünf- bis Sechsfache der gesetzlichen Höchstgebühr nicht überschreiten, sind nicht unangemessen – damit wäre die Prüfung abzuschließen gewesen.[1]

Diese Überlegungen verfolgt das AG München durchaus, kommt aber aufgrund eines fehlerhaften Rechenansatzes zu dem Ergebnis, dass die Unangemessenheitsgrenze überschritten sei. Das AG vergleicht Äpfel mit Birnen: Unter 2d) errechnet das AG die gesetzliche Höchstgebühr für die Tätigkeiten des Verteidigers ohne Postpauschale, ohne Fotokopiekosten, ohne Reisekosten und ohne Abwesenheitsgeld (Nrn. 7000, 7002, 7005 VV) mit 818,12 EUR und stellt dem das vereinbarte Pauschalhonorar von 3.000,00 EUR sowie die vom Verteidiger vereinbarungsgemäß berechneten gesetzlichen Vorverfahrensgebühren zuzüglich Reisekosten, Abwesenheitsgeld, Postpauschale und Kopierkosten mit insgesamt EUR 4.338,15 EUR gegenüber, um zu dem – gedanklich und sprachlich falschen – Ergebnis zu kommen, dass eine 5,3-fache Überschreitung vorläge, tatsächlich handelt es sich um das 5,3-fache von 818,12 EUR, damit um eine 4,3-fache Überschreitung.

Hätte das Gericht Äpfel mit Äpfeln verglichen, dann hätten den von ihm errechneten gesetzlichen Höchstgebühren in Höhe von 818,12 EUR lediglich (3.000,00 EUR + EUR 243,00 + 205,50 EUR =) 3.448,50 EUR + 19 % Mehrwertsteuer 655,22 EUR, mithin 4.103,72 EUR gegenübergestanden, also das 5,02-fache der gesetzlichen Höchstgebühr: Die Angemessenheitsprüfung wäre damit auch nach der alten BGH-Rspr. entfallen.

Aber auch bei Feststellung einer vermeintlichen Unangemessenheit der vereinbarten Gebühren hat das AG gegen § 4 Abs. 4 RVG a.F. verstoßen, als eine Herabsetzung auf den angemessenen Betrag bis zur Höhe der gesetzlichen Vergütung erfolgen kann. Das bedeutet nicht, dass generell die Herabsetzung auf die gesetzliche Vergütung, wie sie im Gutachten der Rechtsanwaltskammer München bei hier unbekannter Fragestellung des Gerichts als angemessen angesehen wurde, zu erfolgen hat: Dies gilt zwingend nur für eine sittenwidrige Vergütungsvereinbarung,[1] von der hier beim besten Willen nicht ausgegangen werden kann und das AG selber auch nicht ausgeht.

Unter Berücksichtigung des erheblichen Zeitaufwandes des Verteidigers – man errechnet zwanglos mindestens zwölf Stunden – und unter Berücksichtigung der allgemeinen Auffassung, dass ein Stundensatz von 250,00 EUR netto nicht unangemessen ist,[1] wäre also das zurückgeforderte Honorar von 3.000,00 EUR durchaus nicht unangemessen und "haltbar" gewesen, denn nur dieser Betrag wurde bislang gezahlt. Darüber hinausgehende Ansprüche hat der beklagte Rechtsanwalt erkennbar nicht geltend gemacht.

"Iudex non calculat = Iudex non cogit"?

Rechtsanwalt Klaus Winkler, Kenzingen

[1] Mayer/Kroiß-Teubel § 3a Rn 5.
[1] BGHZ 162, 98 = AGS 2005, 378 m. Anm. Madert, Henke und N. Schneider = AnwBl 2005, 582 m. Anm. Henke = BRAK-Mittl. 2005, 244 = MDR 2005, 1255 = NJW 2005, 2142, rez. Lutje, NJW 2005, 2490.
[1] AGS 2009, 423 = AnwBl 2009, 650 = NJW–RR 2010, 259.
[1] AGS 2010, 267 = NJW 2010, 1364.
[1] BGHZ 162, 98 = AGS 2005, 378 m. Anm. Madert, Henke und N. Schneider = AnwBl 2005, 582 m. Anm. Henke = BRAK-Mittl. 2005, 244 = MDR 2005, 1255 = NJW 2005, 2142, rez. Lutje, NJW 2005, 2490.
[1] Ebert, BRAK-Mitteilungen 2005, 271; v. Seltmann, RVGreport 2005, 406; BRAK-Information Heft 5 "Thesen zur Vergütungsvereinbarungen", 28.
[1] Mayer/Kroiß-Teubel § 3a Rn 179.
[1] BGH AnwBl 2003, 721 = NJW 2003, 3486 (17-fach); kritisch hierzu OLG Celle AGS 2010, 5.
[1] BGH AGS 2010, 267 = NJW 2010, 1364 Rn 93; OLG Koblenz AGS 2010, 282; OLG Mü...

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