ZPO § 91 Abs. 1 S. 1
Leitsatz
- Wenn der Berufungsbeklagte nach Rücknahme der bereits begründeten Berufung einen Schriftsatz einreicht, der Sachanträge oder Sachvortrag enthält, ist die dadurch entstandene volle Verfahrensgebühr erstattungsfähig, wenn weder ihm noch seinem Prozessbevollmächtigten zum Zeitpunkt der die Gebühr auslösenden Tätigkeit bekannt war oder bekannt sein musste, dass das Rechtsmittel bereits zurückgenommen worden war.
- Die Rechtsbeschwerde zum BGH wird zugelassen.
OLG München, Beschl. v. 22.10.2010 – 11 W 1560/ 09
1 Sachverhalt
Der Kläger hatte gegen das seine Klage abweisende Endurteil des LG mit Schriftsatz seiner Prozessbevollmächtigten vom 10.12.2008 Berufung eingelegt. Die Berufungsbegründung vom 22.12.2008 ist den Prozessbevollmächtigten der Beklagten am 30.12.2008 zugestellt worden.
Das Berufungsgericht hat mit Verfügung vom 5.1.2009 der Beklagten eine Frist zur Erwiderung auf die Berufungsbegründung bis zum 5.2.2009 gesetzt und die Parteien unter anderem darauf hingewiesen, dass der vom Kläger geltend gemachte Anspruch – wie bereits vom LG entschieden – verjährt sein dürfte.
Mit Schriftsatz vom 12.1.2009, der den Prozessbevollmächtigten der Beklagten am 16.1.2009 zugestellt worden ist, hat der Kläger seine Berufung zurückgenommen. Mit Beschluss hat das OLG dem Kläger die Kosten des Berufungsverfahrens auferlegt.
Mit Schriftsatz vom 13.1.2009, der am 15.1.2009 bei dem OLG eingegangen ist, haben die Prozessbevollmächtigten der Beklagten mitgeteilt, dass sie diesen auch in der Berufungsinstanz vertreten und in der mündlichen Verhandlung die Zurückweisung der Berufung beantragen würden. Zur Begründung haben sie auf die Hinweise des Berufungsgerichts Bezug genommen.
Im Kostenfestsetzungsverfahren hat die Beklagte Anwaltskosten in Höhe von 737,80 EUR geltend gemacht, darunter eine 1,6-Verfahrensgebühr nach Nr. 3200 VV. Das LG lediglich eine 1,1-Verfahrensgebühr festgesetzt und dies damit begründet, mit dem Schriftsatz des Beklagtenvertreters vom 13.1.2009 sei der Antrag auf Zurückweisung der Berufung lediglich angekündigt worden.
Hiergegen wendet sich die Beklagte mit ihrer sofortigen Beschwerde. Zur Begründung wird ausgeführt, der Rechtspfleger habe zu Unrecht an Stelle der beantragten 1,6-Verfahrensgebühr nur eine 1,1-Verfahrensgebühr gem. der Nr. 3201 VV festgesetzt. Die 1,6-Verfahrensgebühr gem. der Nr. 3200 VV entstehe dann, wenn der Rechtsanwalt einen Schriftsatz bei Gericht einreiche, der Sachvortrag oder einen Sachantrag enthalte. Dies treffe auf den Schriftsatz der Beklagtenvertreter vom 13.1.2009 zu. Die Ermäßigung von einer 1,6-Gebühr auf eine 1,1-Gebühr gem. der Nr. 3201 VV würde voraussetzen, dass eine vorzeitige Beendigung des Auftrags vorgelegen habe. Dies sei hier vor der Einreichung des Schriftsatzes vom 13.1.2009, der Sachanträge enthalte, nicht der Fall gewesen. Wenn der Auftrag des Rechtsanwalts – wie hier – auf andere Weise als durch Kündigung oder Mandatsniederlegung beendet werde, sei auf die Kenntnis des Rechtsanwalts abzustellen. Die Beklagtenvertreter hätten erst mit der Zustellung am 16.1.2009 Kenntnis von der Rücknahme der Berufung und dem Beschluss des OLG vom 14.1.2009 erlangt. Die 1,6-Verfahrensgebühr sei auch erstattungsfähig, da die Berufung zum Zeitpunkt der Ankündigung der Sachanträge bereits begründet gewesen sei. Die sofortige Beschwerde hatte Erfolg.
2 Aus den Gründen
1. Mit der Einreichung des Schriftsatzes v. 13.1.2009 ist für die Prozessbevollmächtigten des Beklagten die 1,6-Verfahrensgebühr nach der Nr. 3200 VV angefallen. Wie sich nämlich aus der Anm. Nr. 1 zu Nr. Nr. 3201 VV ergibt, erhält der Rechtsanwalt die volle Verfahrensgebühr, wenn er einen Schriftsatz eingereicht hat, der einen Sachantrag oder Sachvortrag enthält. Diese Voraussetzung ist hier erfüllt.
a) Der Schriftsatz der Beklagtenvertreter v. 13.1.2009 enthält den Sachantrag auf Zurückweisung der Berufung des Klägers. Dies gilt entgegen der Auffassung des Rechtspflegers unabhängig davon, dass dieser Antrag nur angekündigt worden ist. Die von den Prozessbevollmächtigten der Beklagten verwendete Formulierung entspricht einer weit verbreiteten Praxis und trägt der Tatsache Rechnung, dass die Anträge, sofern nicht im schriftlichen Verfahren entschieden wird, grundsätzlich in der mündlichen Verhandlung zu stellen sind (§§ 525, 297 ZPO; vgl. Reichold in Thomas/Putzo, ZPO, 31. Aufl., § 528 Rn 1). Deshalb ist es sachgerecht, in vorbereitenden Schriftsätzen nur darauf hinzuweisen, welche Anträge die Partei in der Sitzung zu stellen beabsichtigt (§ 130 Nr. 2 ZPO).
b) Daneben enthält der Schriftsatz der Prozessbevollmächtigten der Beklagten auch eine kurze Stellungnahme zur Berufungsbegründung des Klägers und damit auch Sachvortrag.
Es war den Beklagtenvertretern nicht verwehrt, sich dabei auf die Äußerung zu beschränken, das Berufungsvorbringen sei nicht geeignet, eine Abänderung der erstinstanzlichen Entscheidung zu rechtfertigen, und zur Begründung dieser Annahme auf die vom Berufungsgericht erteilten Hinweise zu verweisen.
c) Im Übrigen hätt...