Da der Anwalt die Vergütung in jeder Angelegenheit nur einmal fordern kann (§ 15 Abs. 2 RVG), kommt der Abgrenzung der einzelnen Angelegenheiten für die anwaltliche Vergütung eine große Bedeutung zu. Gesetzliche Regelungen finden sich hierzu in §§ 15 ff. RVG, die aber selbstverständlich nicht jeden Einzelfall erfassen können. Liegen verschiedene Angelegenheiten vor, entstehen die Gebühren gesondert – eventuelle Anrechnungsvorschriften sind zu beachten – und auch die Postpauschale fällt separat an. Handelt es sich hingegen tatsächlich nur um dieselbe Angelegenheit, können gesonderte Gebühren und Auslagen nicht verlangt werden.
Der BGH hat zur Frage der Abgrenzung der Angelegenheiten in jüngerer Zeit zwei wichtige Entscheidungen getroffen, welche die Einlegung von wechselseitigen Nichtzulassungsbeschwerden und die Fertigung mehrerer Abmahnungen wegen Urheberrechtsverletzungen betreffen.
2.1 Wechselseitige Nichtzulassungsbeschwerden
Für die nach § 544 ZPO einzulegende Nichtzulassungsbeschwerde hat der BGH entschieden, dass es sich um dieselbe Angelegenheit i.S.d. § 15 Abs. 2 RVG handelt, wenn das Verfahren wechselseitige Nichtzulassungsbeschwerden zum Gegenstand hat.
Regelmäßig sei das gerichtliche Verfahren in einem Rechtszug eine Angelegenheit. Auch aus § 17 Nr. 9 RVG folge nichts anderes, da dieser nur das Verhältnis der Nichtzulassungsbeschwerde zum nachfolgenden Revisionsverfahren betreffe. Unerheblich sei auch, dass mit den Nichtzulassungsbeschwerden unterschiedliche Sachgegenstände und Zulassungsgründe geltend gemacht werden. Ebenso hat der BGH zu Recht darauf verwiesen, dass auch die Anrechnungsregelung der Anm. zu Nr. 3506 VV zu keinem anderen Ergebnis führt. Denn das Ziel der Anrechnung erfordere es nicht, die dem Revisionsverfahren vorausgehende Nichtzulassungsbeschwerde im Verhältnis zu anderen in dem gleichen Verfahren Nichtzulassungsbeschwerden als selbstständige Angelegenheit zu behandeln.
Beispiel
Gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Berufungsgerichts legen beide Parteien Beschwerde ein. Beide Beschwerden werden bei dem BGH unter einem gemeinsamen Aktenzeichen geführt. Die Nichtzulassungsbeschwerde der Beklagten wird zurückgewiesen, jedoch auf die Beschwerde der Klägerin hin die Revision zugelassen. Der Gegenstandswert wird für die Nichtzulassungsbeschwerde auf insgesamt 85.000,00 EUR (Beschwerde der Klägerin: 50.000,00 EUR; Beschwerde der Beklagten: 35.000,00 EUR) und für das Revisionsverfahren auf 50.000,00 EUR festgesetzt.
Der Anwalt der Klägerin kann folgende Vergütung geltend machen:
I. Nichtzulassungsbeschwerde |
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1. |
2,3-Verfahrensgebühr, Nr. 3508 VV |
3.261,40 EUR |
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(Wert: 85.000,00 EUR) |
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2. |
Postpauschale, Nr. 7002 VV |
20,00 EUR |
3. |
Umsatzsteuer, Nr. 7008 VV |
623,47 EUR |
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Gesamt |
3.904,87 EUR |
II. Revisionsverfahren |
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1. |
2,3-Verfahrensgebühr, Nr. 3208 VV |
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2.674,90 EUR |
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(Wert: 50.000,00 EUR) |
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2. |
gem. Anm. zu Nrn. 3506, 3508 VV anzurechnen |
– 2.674,90 EUR |
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3. |
1,5-Terminsgebühr, Nr. 3210 VV |
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1.744,50 EUR |
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(Wert: 50.000,00 EUR) |
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4. |
Postpauschale, Nr. 7002 VV |
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20,00 EUR |
5. |
Umsatzsteuer, Nr. 7008 VV |
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335,26 EUR |
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Gesamt |
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2.099,76 EUR |
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Gesamt I. + II. |
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6.004,63 EUR |
2.2 Mehrere Abmahnungen durch denselben Anwalt
Der BGH hat in seiner Entscheidung vom 6.6.2019 entschieden, dass verschiedene Abmahnungen wegen einer Urheberrechtsverletzung eine Angelegenheit i.S.d. § 15 Abs. 2 RVG darstellen können. Das gilt auch dann, wenn der Rechtsinhaber gegenüber unterschiedlichen, rechtlich oder wirtschaftlich nicht verbundenen Unternehmen oder Personen in engem zeitlichem Zusammenhang getrennte, im Wesentlichen gleichlautende Abmahnungen wegen des rechtswidrigen Vertriebs von Vervielfältigungsstücken derselben Werke ausspricht.
In dem konkreten Fall hatte die Klägerin als Inhaberin der ausschließlichen Nutzungsrechte an drei verschiedenen Filmen die Beklagte wegen eines im Dezember 2016 erfolgten Vertriebs solcher DVDs abmahnen lassen. Im Dezember 2016 und Januar 2017 wurden weitere 12 Unternehmen bzw. Personen abgemahnt und insgesamt 42 Rechtsverletzungen abgemahnt. In jedem dieser Abmahnschreiben wurden Anwaltskosten geltend gemacht, die jeweils nach einem Gegenstandswert von 15.000,00 EUR berechnet waren.
Der BGH ist hier von einer einheitlichen Angelegenheit ausgegangen. Es könne dann von einer Angelegenheit ausgegangen werden, wenn zwischen den anwaltlichen Tätigkeiten ein innerer Zusammenhang besteht und sie sowohl inhaltlich als auch in der Zielsetzung so weitgehend übereinstimmen. Unerheblich sei, dass der Anwalt zur Wahrnehmung der Rechte des Geschädigten verschiedene, in ihren Voraussetzungen voneinander abweichende Anspruchsgrundlagen zu prüfen oder mehrere getrennte Prüfungsaufgaben zu erfüllen hat. Dabei kann eine Angelegenheit durchaus mehrere Gegenstände umfassen. Eine Angelegenheit kann auch vorliegen, wenn ein dem Rechtsanwalt zunächst erteilter Auftrag vor dessen Beendigun...