§§ 103 ff. ZPO; §§ 11 Abs. 4, 23 Abs. 1 S. 1, 33 Abs. 1 RVG; § 148 ZPO
Leitsatz
Beanstandet eine Partei die Streitwertfestsetzung für die Gerichtsgebühren oder beruft sie sich darauf, die Rechtsanwaltsgebühren seien aus einem anderen Gegenstandswert als die Gerichtsgebühren zu bemessen (Antrag gem. § 33 Abs. 1 RVG; ggf. konkludent gestellt), so ist vor der Kostenfestsetzung zunächst eine diesbezügliche richterliche Entscheidung herbeizuführen (vgl. BGH, Beschl. v. 27.3.2014 – IX ZB 52/13, NJW-RR 2014, 892).
OLG München, Beschl. v. 16.10.2020 – 11 W 1436/20
I. Sachverhalt
Der Kläger hatte beim LG Traunstein eine Stufenklage zur Durchsetzung von Pflichtteilsansprüchen erhoben. Nachdem die Beklagte am 29.11.2017 den Auskunftsanspruch anerkannt hatte, zahlte sie 50.000 EUR an den Kläger. Nach zeitweiligem Ruhen des Verfahrens erging am 5.4.2018 ein Teilurteil gegen die Beklagte. Im Anschluss hieran kam es zu Auseinandersetzungen der Parteien über die Auskunftserteilung und ein Zwangsgeld. Nach deren Beendigung erklärte der Kläger mit Schriftsätzen vom 6.2. und 5.3.2020 den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt. Das LG Traunstein erlegte der Beklagten die Kosten des Rechtsstreits gem. § 91a Abs. 1 ZPO auf und setzte den Streitwert auf 58.567,35 EUR fest. Allein gegen die Kostenentscheidung legte die Beklagte sofortige Beschwerde ein, die erfolglos blieb.
In seinem Kostenfestsetzungsantrag machte der Kläger seine Anwaltskosten auf der Grundlage des auf 58.567,35 EUR festgesetzten Streitwertes geltend. Die hierzu angehörte Beklagte hat mit Schriftsatz vom 26.5.2020 eingewandt, der Gegenstandswert für die Einigungs- und die Terminsgebühr müsse die erfolgte Zahlung von 50.000 EUR berücksichtigen, sodass diese beiden Gebühren sich nach einem Gegenstandswert von nur 8.567,35 EUR berechneten. Der Kläger hat demgegenüber eingewandt, die Beklagte habe die Festsetzung des Streitwertes in dem Beschluss des LG Traunstein vom 18.3.2020 nicht angefochten.
Die Rechtspflegerin des LG Traunstein legte der Festsetzung der Anwaltsgebühren in ihrem von der Beklagten angefochtenen Kostenfestsetzungsbeschluss den gerichtlich festgesetzten Streitwert i.H.v. 58.567,35 EUR zugrunde. Mit ihrer hiergegen gerichteten sofortigen Beschwerde hat die Beklagte geltend gemacht, sowohl die Terminsgebühr als auch die Einigungsgebühr dürften nicht nach dem gerichtlich festgesetzten Streitwert berechnet werden, da sie bereits vor Anfall dieser Gebühren den Betrag von 50.000 EUR bezahlt habe.
Die sofortige Beschwerde hatte beim OLG München in der Sache Erfolg.
II. Bindung des Rechtspflegers an die gerichtliche Streitwertfestsetzung
1. Grundsätze
Das OLG München hat zunächst darauf hingewiesen, dass der Rechtspfleger im Kostenfestsetzungsverfahren grds. an den gerichtlich bestimmten Streitwert gebunden ist. Die anwaltlichen Gebühren würden sich gem. § 23 Abs. 1 RVG grds. nach den Wertvorschriften bestimmen, die für die Gerichtsgebühren gelten. Folglich sei im Grundsatz eine Festsetzung des Streitwertes für die Gerichtsgebühren auch für die Bemessung der Anwaltsgebühren maßgebend.
2. Ausnahmen
Von diesem Grundsatz gibt es nach den weiteren Ausführungen des OLG München jedoch Ausnahmen. Dies betreffe diejenigen Fälle, in denen der für die Tätigkeit des Rechtsanwalts maßgebende Gegenstand anders sei als derjenige für die Gerichtsgebühren. Als Beispiele hierfür hat das OLG München darauf verwiesen, dass eine Klage während des Rechtsstreits teilweise zurückgenommen worden ist und anschließend noch ein gerichtlicher Termin stattfindet. In einem solchen Fall bestimme sich die gerichtliche Verfahrensgebühr immer nach dem höheren Wert. Dieser gelte auch für die Verfahrensgebühr des Rechtsanwalts. Jedoch sei der maßgebliche Gegenstandswert für die anwaltliche Terminsgebühr in einem solchen Fall geringer (OLG München AGS 2017, 336; LG Mainz AGS 2018, 571 m. Anm. N. Schneider; KG AGS 2018, 344 m. Anm. Volpert; Gerold/Schmidt/Müller-Rabe, RVG, 24. Aufl., § 32 Rn 7 ff.). Entsprechendes kann nach Auffassung des OLG München auch bei einer (teilweisen) Erledigterklärung gelten, wie sie hier vorgelegen hat.
III. Festsetzung des Gegenstandswertes
1. Antrag auf Festsetzung des Gegenstandswertes
Nach den weiteren Ausführungen des OLG München ist das Prozessgericht nicht gehalten, von sich aus neben der Festsetzung des Streitwertes für die Gerichtsgebühren auch die – möglicherweise unterschiedlichen – Gegenstandswerte für die Bemessung der Anwaltsgebühren zu bestimmen. Es sei vielmehr Sache der Partei, die sich auf ein Auseinanderfallen von Gerichts- und Anwaltsgebühren beruft, ggf. einen Antrag auf gesonderte Festsetzung des Gegenstandswertes nach § 33 Abs. 1 RVG zu stellen. Über einen solchen Antrag habe dann das Prozessgericht zu befinden.
Nach Auffassung des OLG München lag hier ein Fall, in dem sich die Gerichtsgebühren nach einem anderen Streitwert berechnen als die Anwaltsgebühren, vor. Es handele sich nämlich um eine Stufenklage mit späterer Erledigungserklärung durch den Kläger (s. hierzu OLG Koblenz AGS 2019, 286 m. Anm. N. Schneider; OLG Brandenburg AGS 2014, 65; AnwKomm-RVG/Thiel, 8. Aufl., § 33 Rn 4 u...