§ 8 Abs. 1 RVG; § 628 Abs. 1 S. 1 BGB
Leitsatz
- Ein Anwalt kann unter dem Gesichtspunkt "Interessenwegfall" seinen Vergütungsanspruch verlieren, wenn er in einem schwierigen Mandatsverhältnis seinem Mandanten bei Nichtzahlung eines Vorschusses vor der Kündigung keine Kündigungsandrohung unter Verdeutlichung der Folgen zukommen lässt.
- Schreiben des Mandanten ohne Einschaltung seines Anwaltes an das Gericht können nur in Ausnahmefällen als schwerwiegende Pflichtverletzungen angesehen werden.
LG Bremen, Urt. v. 29.5.2020 – 4 S 102/19
I. Sachverhalt
Die Parteien streiten um die Bezahlung von Rechtsanwaltshonorar nach Kündigung des Mandatsvertrages durch den klagenden Rechtsanwalt. Der Kläger war vom Beklagten in Zusammenhang mit dessen Pflichtteils- und Pflichtteilsergänzungsansprüchen nach dem Tod der Mutter des Beklagten beauftragt. Es kam zu einem Rechtsstreit des Beklagten mit seinem Bruder, Kernstreitpunkt des Rechtsstreits war der Wert einer Immobilie der Mutter des Beklagten. Im Verlauf dieses Verfahrens äußerte sich der Beklagte dann unmittelbar gegenüber dem Gericht.
Unter dem 22.3.2018 erteilte der Kläger dem Beklagten eine Kostennote über den Betrag von 907,20 EUR, die der Beklagte nicht ausglich. Mit Schreiben vom 17.4.2018 erinnerte der Kläger an den Ausgleich der Vergütungskostennote vom 22.3.2018 und bat um Zahlung bis zum 30.4.2018. Mit Schreiben vom 2.5.2018 an das AG und den Beklagten persönlich legte der Kläger das Mandat im Vorprozess nieder. Mit seiner Klage verfolgt der Kläger den Ausgleich seiner Kostennote vom 2.5.2018 weiter. Das AG hat den Beklagten zur Zahlung von 1.159,60 EUR verurteilt. Die Berufung des Beklagten hatte teilweise Erfolg, danach muss der Kläger nur 234,37 EUR zahlen.
II. Vorzeitige Kündigung
Das LG bejaht einen Anspruch des Rechtsanwalts auf Vergütung aus den §§ 611, 612 Abs. 1, 675 Abs. 1 BGB. Gem. § 8 Abs. 1 RVG werde die Vergütung fällig, wenn der Auftrag erledigt oder die Angelegenheit beendet sei. Für den Fall der vorzeitigen Kündigung werde diese Regelung ergänzt durch § 628 BGB, der durch das RVG nicht ausgeschlossen wird (BGH RVGreport 2012, 238 = NJW-RR 2012, 294 m.w.N. = AGS 2012, 169). § 628 Abs. 1 S. 1 BGB regele, dass im Falle der Kündigung des Dienstverhältnisses nach den §§ 626 BGB oder 627 BGB der Verpflichtete, hier also der beauftragte Rechtsanwalt, einen seinen bisherigen Leistungen entsprechenden Teil der Vergütung verlangen kann. Kündige er, ohne durch vertragswidriges Verhalten des anderen Teiles dazu veranlasst zu sein, oder veranlasst er durch sein vertragswidriges Verhalten die Kündigung des anderen Teiles, so stehe ihm gem. § 628 Abs. 1 S. 2 BGB ein Anspruch auf die Vergütung insoweit nicht zu, als seine bisherigen Leistungen infolge der Kündigung für den anderen Teil kein Interesse haben.
Von einem entsprechenden Interessenwegfall für den Dienstberechtigten sei nach ständiger Rspr. des BGH dann auszugehen, wenn dieser die Leistung nicht mehr wirtschaftlich verwerten kann, sie also für ihn nutzlos geworden ist. Einer entsprechenden Lage sehe sich der Auftraggeber eines Rechtsanwalts gegenüber, wenn er wegen einer von seinem bisherigen Rechtsanwalt grundlos ausgesprochenen Kündigung einen anderen Rechtsanwalt neu bestellen muss, für den die gleichen Gebühren nochmals entstehen. Die Aufwendungen für den zuerst bestellten Rechtsanwalt seien dann für den Auftraggeber nutzlos geworden, der Vergütungsanspruch geht unter (st. Rspr. des BGH, vgl. die Nachweise bei BGH, a.a.O.). Hinsichtlich der Darlegungs- und Beweislast gelte, dass der Dienstpflichtige im Rahmen des Teilvergütungsanspruchs nach Abs. 1 S. 1 darlegen und beweisen müsse, dass und welche Dienstleistungen bis zur Kündigung erfolgt sind.
§ 628 Abs. 1 S. 2 BGB enthalte einen Ausnahmetatbestand gegenüber S. 1 dieser Vorschrift, wonach im Fall der Kündigung der Dienstverpflichtete grds. einen seinen bisherigen Leistungen entsprechenden Teil der Vergütung zu beanspruchen habe. Das Vorliegen dieses Ausnahmetatbestands habe der Dienstberechtigte darzulegen und zu beweisen (BGH NJW 1982, 437, 438; 1997, 188, 189). Der Dienstberechtigte müsse daher nachweisen, dass der Dienstverpflichtete ohne Veranlassung gekündigt habe oder die Kündigung des Dienstberechtigten durch vertragswidriges Verhalten veranlasst habe und dass an den Leistungen infolge der Kündigung für ihn kein Interesse bestehe
III. Schwer wiegende Pflichtverletzung erforderlich
Auf der Grundlage bejaht der BGH zwar grds. einen nach Kündigung des Mandats fälligen (§ 8 RVG) Vergütungsanspruch des Klägers, dieser könne gleichwohl aber i.H.v. 925,23 EUR nicht den Ausgleich seiner Kostennote verlangen. Die Kündigung des Rechtsanwalts könne mit erheblichen finanziellen Folgen für den Mandanten verbunden sein, der – wenn die Kündigung während eines laufenden Prozesses erfolgt – vielfach noch einmal die gleichen (Prozess-)Gebühren an einen anderen Anwalt bezahlen müsse (OLG Karlsruhe MDR 2010, 415). Das freie Kündigungsrecht des Rechtsanwalts korrespondiert daher mit der Regelung in § 628 Abs. 1 S. 2 BGB, wonach der kündigende Rechtsanwalt die verdie...