I. Fragen
1. Fall 1
Der Angeklagte A übersendet dem ihm aus mehreren anderen Strafverteidigungen bekannten Rechtsanwalt X mit Schreiben vom 1.3. die Anklageschrift des AG Berlin-Tiergarten, in der er eines Ladendiebstahls beschuldigt wird, mit der Bitte um Übernahme der Strafverteidigung. Rechtsanwalt X liest sich die Anlageschrift durch und macht sich einige Notizen für die Strafverteidigung. Außerdem vereinbart Rechtsanwalt X mit A telefonisch einen Besprechungstermin auf den 8.3. In diesem Termin erörtert Rechtsanwalt X mit A die Sach- und Rechtslage und die Grundzüge der beabsichtigten Verteidigungsstrategie. Kurz danach kündigt A das Mandat.
a) Welche Vergütungsberechnung wird Rechtsanwalt X erstellen?
b) Welche Vergütung kann Rechtsanwalt X abrechnen, wenn A das Mandat mit Schreiben vom 4.3., welches nach Durchsicht der Anklageschrift und den Überlegungen über die Verteidigungsstrategie bei Rechtsanwalt X eingeht, kündigt und es zu keiner Vereinbarung eines Besprechungstermins mehr kommt?
2. Fall 2
Rechtsanwalt A hat als Prozessbevollmächtigter in einem Zivilprozess für den Kläger K ein der Klage stattgebendes Urteil erwirkt, in dem dem Beklagten B auch die Kosten des Rechtsstreits auferlegt worden sind. Aufgrund dieser Kostenentscheidung beantragt Rechtsanwalt A die Festsetzung der Kosten gem. §§ 103 ff. ZPO gegen B. B vertritt die Auffassung, er habe den geltend gemachten Kostenerstattungsanspruch in mehreren Teilzahlungen erfüllt.
Was hat der Prozessbevollmächtigte des B, Rechtsanwalt C, im Kostenfestsetzungsverfahren im Hinblick auf diese behaupteten Teilzahlungen vozutragen?
II. Lösungen
1a) Lösung zu Fall 1 – Ausgangsfall
I. Verfahrensgebühr
Rechtsanwalt X ist für das Betreiben des Geschäfts einschließlich der Information (s. Vorbem. 4 Abs. 2 VV) die Verfahrensgebühr für die Vertretung im gerichtlichen Verfahren des ersten Rechtszugs vor dem AG nach Nr. 4106 VV mit einem Gebührenrahmen von 44,00 EUR bis 319,00 EUR (Mittelgebühr: 181,50 EUR) angefallen. Diese Verfahrensgebühr deckt praktisch die gesamte Tätigkeit des Verteidigers im Strafverfahren vor dem AG ab, sofern keine besonderen Gebühren vorgesehen sind. Da Rechtsanwalt X aufgrund der Kündigung des Mandats nur einen Teil der von dem Abgeltungsbereich der Verfahrensgebühr erfassten Tätigkeiten ausgeübt hat, bestimmt er in Ausübung seines ihm gem. § 14 Abs. 1 RVG eingeräumten Ermessens eine Verfahrensgebühr i.H.v. 100,00 EUR.
II. Grundgebühr
Neben der Verfahrensgebühr erhält Rechtsanwalt X die Grundgebühr nach Nr. 4100 VV, die stets neben der Verfahrensgebühr anfällt. Die Grundgebühr ist im Gesetz mit einem Gebührenrahmen von 44,00 EUR bis 39,00 EUR (Mittelgebühr: 220,00 EUR) vorgesehen und gilt die erstmalige Einarbeitung in den Rechtsfall ab.
Durch diese Gebühr werden hier die Durchsicht und erste Prüfung der Anklageschrift sowie die ersten Überlegungen zur Verteidigungsstrategie abgegolten. Die weiteren Tätigkeiten wie die Terminsvereinbarung und die Vorbereitung und Durchführung des Besprechungstermins fallen unter den Abgeltungsbereich der Verfahrensgebühr. Bei sonst durchschnittlichen Umständen bestimmt Rechtsanwalt X die Grundgebühr mit der Mittelgebühr i.H.v. 220,00 EUR. Die Kündigung des Mandats nach Durchführung des Besprechungstermins hat sich auf den Umfang der anwaltlichen Tätigkeit und damit auch auf die Höhe der Grundgebühr nicht ausgewirkt. Rechtsanwalt X hat nämlich mit der erstmaligen Einarbeitung in den Rechtsfall schon vor der Kündigung alle Tätigkeiten entfaltet, die durch die Grundgebühr abgegolten werden.
III. Postentgeltpauschale
Ferner kann Rechtsanwalt X die Postentgeltpauschale nach Nr. 7002 VV berechnen, die für Entgelte für Post- und Telekommunikationsdienstleistungen anfällt. Diese Pauschale ist für das Telefonat mit A zum Zwecke der Terminsvereinbarung angefallen. Die Postentgeltpauschale entsteht nämlich mit jeder Nutzung eines Kommunikationsmediums unabhängig davon, ob das einzelne Gespräch ein besonderes Entgelt auslöst oder durch eine Flatrate abgegolten wird.
IV. Vergütungsberechnung
Rechtsanwalt X erstellt somit folgende Vergütungsberechnung:
1. |
Verfahrensgebühr, Nr. 4106 VV |
100,00 EUR |
2. |
Grundgebühr, Nr. 4100 VV |
220,00 EUR |
3. |
Postentgeltpauschale, Nr. 7002 VV |
20,00 EUR |
4. |
19 % Umsatzsteuer, Nr. 7008 VV |
64,60 EUR |
|
Gesamt |
404,60 EUR |
1b) Lösung zu Fall 1 – Abwandlung
I. Verfahrensgebühr
Auch in der Abwandlung deckt die Verfahrensgebühr das Betreiben des Geschäfts einschließlich der Information ab. Da Rechtsanwalt X jedoch nur wenige Tätigkeiten entfaltet hat, die nicht durch die Grundgebühr abgegolten werden (s. nachfolgend unter II.), bestimmt Rechtsanwalt X die Verfahrensgebühr i.H.d. Mindestgebühr mit 44,00 EUR.
II. Grundgebühr
Auch in der Abwandlung ist Rechtsanwalt X die Grundgebühr angefallen, die stets und damit auch bei vorzeitiger Erledigung des Auftrags neben der Verfahrensgebühr anfällt. Da Rechtsanwalt X vor der Kündigung alle Tätigkeiten entfaltet hat, nämlich die erstmalige Einarbeit...