§ 29a OWiG

Leitsatz

Der im Rahmen eines selbstständigen Einziehungsverfahren nach § 29a OWiG tätige gewordene Rechtsanwalt, der als Verteidiger allein im Einziehungsverfahren tätig wird, verdient, wenn eine Geldbuße nicht festgesetzt worden ist, neben der Gebühr Nr. 5116 VV zusätzlich zum einen die Grundgebühr nach Nr. 5100 VV, aber auch die weitere Vergütung nach den Nrn. 5101–5114 VV. Gebühren für Tätigkeiten im gerichtlichen Verfahren entstehen hingegen nicht.

LG Hamburg, Beschl. v. 18.10.2021 – 612 Qs 100/20

I. Sachverhalt

Gegen die Betroffene erging am 2019 wegen Verstößen ihrer Mitarbeiter gegen die FZV, StVG, StVO und StVZO bei der Fahrt eines Mobilkrans auf öffentlichen Straßen eine selbstständige Einziehungsanordnung nach § 29a Abs. 1, Abs. 2 S. 1 Nr. 1, Abs. 5, § 87 Abs. 3, Abs. 6 OWiG über 1.784,00 EUR nebst Auslagen. Ein Bußgeldbescheid wurde nicht erlassen. Der Rechtsanwalt zeigte mit Schreiben vom 10.5.2019 die Vertretung der Betroffenen an, legte einen unbegründeten Einspruch gegen den Einziehungsbescheid ein und beantragte Akteneinsicht. Mit Beschl. v. 2.1.2020 hat das AG das Verfahren gem. § 46 Abs. 1 OWiG, § 206a StPO wegen Vorliegen des Verfahrenshindernisses Verjährung eingestellt und legte die Kosten des Verfahrens sowie die notwendigen Auslagen der Betroffenen der Staatskasse auf.

Mit seinem Kostenfestsetzungsantrag beantragte der Verteidiger u.a. Festsetzung der Grundgebühr Nr. 5100 VV, der Verfahrensgebühr für das vorbereitende Nr. 5103 VV, der Verfahrensgebühr vor dem AG Nr. 5109 VV, und zwar jeweils i.H.d. Mittelgebühr. Geltend gemacht wurde außerdem eine Verfahrensgebühr bei Einziehung Nr. 5116 VV i.H.v. 150,00 EUR sowie Auslagen.

Das AG hat nur die Verfahrensgebühr Nr. 5116 VV i.H.v. 150,00 EUR und eine Postentgeltpauschale Nr. 7002 VV i.H.v. 20,00 EUR festgesetzt. Die dagegen gerichtete sofortige Beschwerde hatte – teilweise – Erfolg.

II. Erstattungsanspruch der Betroffenen

Nach Auffassung des LG hat die Betroffene nicht nur einen Anspruch auf Erstattung der Verfahrensgebühr bei Einziehung und verwandten Maßnahmen nach Nr. 5116 VV, sondern auch auf Erstattung der Grundgebühr nach Nr. 5110 VV und der Verfahrensgebühr für vorbereitendes Verfahren Nr. 5103 VV. Ein Anspruch auf Erstattung der Verfahrensgebühr im gerichtlichen Verfahren nach Nr. 5109 VV bestehe hingegen nicht.

1. Verfahrensgebühr Nr. 5116 VV

Aufgrund der anwaltlichen Tätigkeit des Verteidigers im Einziehungsverfahren vor dem Gericht des ersten Rechtzugs sei die Verfahrensgebühr Nr. 5116 Abs. 1 VV entstanden. Diese Gebühr habe das AG zu Recht festgesetzt.

2. Übrige Gebühren

a) Allgemeines

Die Frage, ob im Rahmen eines selbstständigen Einziehungsverfahren nach § 29a OWiG, bei dem der Verteidiger allein im Einziehungsverfahren tätig wird und eine Geldbuße nicht festgesetzt worden ist, neben dem Gebührentatbestand der Nr. 5116 VV zusätzlich zum einen die Grundgebühr nach Nr. 5100 VV, aber auch die weitere Vergütung nach den Nrn. 5101–5114 VV anfallen kann, wird sowohl in Rspr. als auch Lit. uneinheitlich beurteilt, und zwar wie folgt:

Nach einer Ansicht soll für die anwaltliche Tätigkeit in diesen Fällen allein die Verfahrensgebühr nach Nr. 5116 VV entstehen (OLG Karlsruhe AGS 2013, 173 = RVGreport 2012, 301 = StRR 2012, 279 = VRR 2012, 319 m. jew. abl. Anm. Burhoff; LG Kassel RVGreport 2019, 343; LG Koblenz AGS 2018, 494 = RVGreport 2018, 386; Krumm, in: Mayer/Kroiß, RVG, 8. Aufl., 2021, Vorbemerkung 5 Rn 38).
Nach anderer Ansicht sollen sowohl die Grundgebühr nach Nr. 5100 VV als auch die Gebühren Nrn. 5101–5114 VV anfallen (LG Karlsruhe AGS 2013, 230 = VRR 2013, 238 = RVGreport 2013, 234 = DAR 2013, 358 = RVGprofessionell 2013, 119 = StRR 2013, 310; LG Oldenburg AGS 2014, 65 = JurBüro 2013, 135 = RVGreport 2013, 62 = VRR 2013, 159 = StRR 2013, 314 = RVGprofessionell 2013, 153; LG Stuttgart RVGreport 2020, 347 = DAR 2020, 358 = RVGprofessionell 2020, 131; LG Trier, RVGreport 2016, 385 = VRR 10/2016,20; Gerold/Schmidt/Burhoff, 25. Aufl., 2021, RVG, W 5116 Rn 1; BeckOK RVG/Knaudt, 53. Ed. 1.9.2021, RVG VV Vorbemerkung 5 Rn 5.1).
Nach einer vermittelnden Ansicht können neben der Verfahrensgebühr Nr. 5116 VV auch die Grundgebühr nach Nr. 5100 VV, nicht aber die weiteren Gebühren für anwaltliche Tätigkeiten im Verwaltungsverfahren und gerichtlichen Verfahren nach Nrn. 5101–5114 VV geltend gemacht werden (LG Freiburg AGS 2020, 122 = StRR 6/2020, 31 = JurBüro 2020, 130 = RVGprofessionell 2020, 69 = RVGreport 2020, 461).

b) Die Auffassung des LG Hamburg

Das LG Hamburg geht für diese Fälle nun davon aus, dass neben der Verfahrensgebühr nach Nr. 5116 VV sowohl die Grundgebühr (Nr. 5100 VV) als auch die Gebühren für das Verfahren vor der Verwaltungsbehörde (Nrn. 5101–5106 VV) anfallen können, nicht hingegen die Gebühren für das gerichtliche Verfahren im ersten Rechtszug nach Nrn. 5107–5114 VV.

aa) Grundgebühr Nr. 5100 VV

Das Entstehen der Grundgebühr Nr. 5100 VV begründet das LG mit der Systematik des Teils 5 VV, dem Wortlaut der maßgeblichen Bestimmungen und dem Regelungszweck der Nr. 5116 VV im Ein...

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