§§ 91, 103 ff. ZPO; § 362 BGB
Leitsatz
- Im Kostenfestsetzungsverfahren sind materiell-rechtliche Einwendungen des Erstattungspflichtigen grundsätzlich nicht zu berücksichtigen.
- Dies gilt auch dann, wenn der Erstattungspflichtige den Erstattungsbetrag in zwei Teilzahlungen geleistet hat, der Prozessbevollmächtigte des Erstattungsberechtigten die Zahlungen mangels Tilgungsbestimmung auf die Hauptforderung verrechnet hat.
LG Berlin, Beschl. v. 4.8.2021 – 80 T 233/21
I. Sachverhalt
In dem vor dem AG Berlin-Mitte geführten Rechtsstreit hatten sich die Kläger gegen eine – unter Vorbehalt gezahlte – Mieterhöhung mit dem erfolgreichen Begehren der Feststellung einer monatlichen Mietminderung i.H.v. 39,97 EUR ab März 2020 gewandt. Die Kosten des Rechtsstreits hatte das AG der Beklagten auferlegt. Nach Erlass der Kostengrundentscheidung zahlte die Beklagte in zwei Teilbeträgen im Dezember 2020 und im Januar 2021 ohne Zweckangabe an die Prozessbevollmächtigten der Kläger, insgesamt 229,12 EUR. Diese kehrten den Betrag in der Annahme der Erfüllung eines materiell-rechtlichen Anspruchs an die Kläger aus.
Im Kostenfestsetzungsverfahren beantragten die Kläger die Festsetzung von Gerichts- und Anwaltskosten, die die Rechtspflegerin des AG im Kostenfestsetzungsbeschluss vom 20.4.2021 i.H.v. 229,12 EUR berücksichtigte. Dabei ließ die Rechtspflegerin den im Hinblick auf die vorgenannten Teilzahlungen erhobenen Einwand der Beklagten, der Erstattungsbetrag sei durch die beiden Teilzahlungen erfüllt, nicht gelten. Die hierzu gehörten Kläger hatten vorgebracht, sie hätten die Zahlungen der Erstattungsforderung nicht zuordnen können.
Die hiergegen gerichtete sofortige Beschwerde der Beklagten hatte keinen Erfolg.
II. Berücksichtigung materiell-rechtlicher Einwendungen
1. Grundsatz
Das LG Berlin hat darauf hingewiesen, dass materiell-rechtliche Einwendungen im Kostenfestsetzungsverfahren grds. nicht zu berücksichtigen sind. Dies habe seine Grundlage darin, dass das Kostenfestsetzungsverfahren auf eine formale Prüfung der Kostentatbestände und auf die Klärung einfacher Fragen des Kostenrechts zugeschnitten sei und aus diesem Grunde auf den Rechtspfleger übertragen worden sei. Deshalb sei die Klärung von zwischen den Parteien streitigen Tatsachen in diesem Verfahren nicht vorgesehen und mangels der dafür notwendigen verfahrensrechtlichen Instrumente auch nicht sinnvoll (BGH RVGreport 2010, 152 [Hansens] = JurBüro 2010, 252: Anrechnung eines unstreitigen Prozesskostenhilfevorschusses bei Quotelung; BGH RVGreport 2007, 110 [Ders.]: Einrede der Verjährung).
2. Ausnahmen
Eine Ausnahme von diesem Grundsatz gilt nach den weiteren Ausführungen des LG Berlin nur dann, wenn es um materiell-rechtliche Einwendungen geht, die keine Tatsachenaufklärung erfordern und die sich mit den im Kostenfestsetzungsverfahren zur Verfügung stehenden Mitteln ohne Weiteres klären lassen. Dies sei etwa dann der Fall, wenn die tatsächlichen Voraussetzungen feststehen, weil sie unstreitig seien oder vom Rechtspfleger im Kostenfestsetzungsverfahren ohne Schwierigkeiten aus den Akten ermittelt werden könnten (BGH NJW-Spezial 2014, 412). Jedoch liegt nach den weiteren Ausführungen des LG Berlin ein solcher Ausnahmefall dann nicht vor, wenn zur Berücksichtigung des streitigen Erfüllungseinwands eine weitere Sachaufklärung bzw. eine weitere materiell-rechtliche Prüfung erfolgen müsste.
3. Die Umstände im Fall des LG Berlin
Vorliegend waren zwar die Zahlungen der Beklagten als solche unstreitig. Das LG Berlin hat darauf hingewiesen, dass dies jedoch nicht auch für die Erfüllungswirkung gelte. Deren Feststellung bedürfe nämlich einer materiell-rechtlichen Prüfung anhand der – mangels Tilgungsbestimmung eingreifenden – gesetzlichen Tilgungsreihenfolge nach den §§ 366, 367 BGB. Die Kläger hätten nämlich die Mieterhöhung im Hinblick auf die streitige Minderung unter Vorbehalt gezahlt. Deshalb stünde ihnen i.H.d. festgestellten monatlichen Mietminderung ein Rückzahlungsanspruch gegen die Beklagte zu. Dieser sei gegenüber dem prozessualen Kostenerstattungsanspruch unsicherer und als älterer Anspruch vorrangig zu tilgen. Das LG Berlin hat darauf hingewiesen, dass diese Frage ggfs. weiterer Sachaufklärung und materiell-rechtlicher Beurteilung bedürfe. Dies könne jedoch im Kostenfestsetzungsverfahren nicht erfolgen.
III. Bedeutung für die Praxis
1. Berücksichtigung des Erfüllungseinwandes
Der Entscheidung des LG Berlin ist im Grundsatz zuzustimmen. Materiell-rechtliche Einwendungen sind in der Tat im Kostenfestsetzungsverfahren grds. nicht zu berücksichtigen, weil dieses Verfahren zur Klärung streitiger Fragen nicht vorgesehen und auch nicht geeignet ist (BGH RVGreport 2007, 110 [Hansens]; BGH RVGreport 2006, 223 [Ders.] = AGS 2007, 219; OLG Celle RVGreport 2017, 159 [Ders.] = AGS 2018, 39: Nichtigkeit des Anwaltsvertrages).
2. Tilgungsbestimmung aus den Umständen
Jedoch stellt sich die Frage, ob hier im Kostenfestsetzungsverfahren die als solche unstreitige Zahlung nicht doch hätte berücksichtigt werden können. Umstritten war hier allein die Erfüllungswirkung. Das LG Berlin weist zu Recht darauf hin,...