§§ 12a, 46 ArbGG; §§ 91 ff. ZPO; § 15 Abs. 1 AGG
Leitsatz
- Wer die Kosten der Rechtsverfolgung zu tragen hat, regelt sich im arbeitsgerichtlichen Verfahren allein nach § 12a ArbGG und § 91 ff. ZPO.
- 15 Abs. 1 AGG gewährt keinen Anspruch auf Ersatz gerichtlicher Rechtsverfolgungskosten entgegen den Regelungen des § 12a ArbGG und der §§ 91 ff. ZPO.
- § 12a ArbGG schließt nicht nur den prozessualen Kostenerstattungsanspruch, sondern auch einen materiell-rechtlichen Kostenerstattungsanspruch, der als Schadensersatz entstanden ist, und damit auch vorgerichtliche Rechtsverfolgungskosten aus.
- § 12a ArbGG gilt uneingeschränkt auch für Klagen nach dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz.
LAG Berlin-Brandenburg, Urt. v. 19.10.2022 – 4 Sa 413/22
I. Sachverhalt
Die Klägerin, die mit einem Grad der Behinderung von 60 schwerbehindert ist, ist selbstständige Parlamentsstenographin und selbstständige Rechtsanwältin. Viele Jahre lang arbeitete sie bei verschiedenen Landesparlamenten als angestellte Parlamentsstenographin. Seit rund zwanzig Jahren war sie als freiberufliche Parlamentsstenographin im Wesentlichen in Landesparlamenten tätig, auch acht Jahre lang im Deutschen Bundestag.
Die Beklagte schrieb für den stenographischen Dienst in der Verwaltung des Deutschen Bundestages mit Bewerbungsschluss 28.2.2020 Stellen als Stenographin aus. Auf diese Ausschreibung bewarb sich die Beklagte und füge als Nachweis für die zwingend geforderten stenographischen Fertigkeiten mehrere Urkunden und Unterlagen bei. Hierzu gehörte offenbar auch der Nachweis ihrer Behinderung.
Nach der ersten Auswahlentscheidung erteilte die Beklagte der Klägerin eine Absage, ohne sie zuvor zu einem Vorstellungsgespräch zu laden.
Mit ihrer beim ArbG Berlin erhobenen Klage machte die Klägerin gegen die Beklagte einen Anspruch auf Entschädigung gem. § 15 Abs. 2 AGG geltend, dessen Höhe sie in das Ermessen des Arbeitsgerichts stellte, das jedoch über drei Bruttomonatsgehälter der infrage stehenden Tarifstufe liegen sollte. Ferner beantragte die Klägerin festzustellen, dass die Beklagte der Klägerin als Schadensersatz nach § 15 Abs. 1 AGG sämtliche ihr entstehenden Kosten der Rechtsverfolgung im Zusammenhang mit ihrer Bewerbung zu zahlen hat.
Das ArbG Berlin hat die Klage durch Urt. v. 17.11.2021 abgewiesen. Die hiergegen gerichtete Berufung der Klägerin hatte beim LAG Berlin-Brandenburg teilweise Erfolg.
II. Anspruch nach § 15 Abs. 2 AGG
Das LAG Berlin-Brandenburg hat der Klägerin einen Entschädigungsanspruch nach § 15 Abs. 2 AGG i.H.v. 7.236,90 EUR zuerkannt. Das LAG hat u.a. festgestellt, dass die Klägerin unstreitig die zwingenden Qualifikationserfordernisse der Stellenausschreibung erfüllt habe. Die Klägerin habe auch eine Benachteiligung i.S.v. § 7 Abs. 1 AGG i.V.m. § 3 Abs. 1 AGG wegen eines Grundes nach § 1 AGG erfahren, indem sie bei der Beklagten nicht eingestellt worden sei. Dabei ist das LAG davon ausgegangen, dass die Klägerin auch wegen des Merkmals der Schwerbehinderung nicht eingestellt worden sei. Hierzu hat das LAG auf die st. Rspr. des BAG verwiesen, wonach ein Verstoß des Arbeitgebers gegen Vorschriften, die Verfahrens- und/oder Förderpflichten zugunsten schwerbehinderter Menschen aufstellen, grds. die – vom Arbeitgeber widerlegbare – Vermutung i.S.v. § 22 AGG begründet, dass der erfolglose schwerbehinderte Bewerber die unmittelbare Benachteiligung i.S.v. § 3 Abs. 1 AGG wegen der Schwerbehinderung erfahren hat. Der Sache nach hat das LAG Berlin-Brandenburg der Beklagten vorgehalten, sie habe die Klägerin auf ihre Bewerbung entgegen § 165 SGB IX nicht zu einem Vorstellungsgespräch, das vor der ersten Auswahlentscheidung hätte stattfinden müssen, eingeladen.
III. Ersatz vorprozessualer Kosten der Rechtsverfolgung
Demgegenüber hat das LAG Berlin-Brandenburg einen Anspruch der Klägerin auf den Ersatz sämtlicher ihr entstehender Kosten der Rechtsverfolgung im Zusammenhang mit der Bewerbung versagt. Wer die Kosten der Rechtsverfolgung zu tragen habe, bestimme sich nach den prozessualen Vorschriften des § 12a ArbGG und der §§ 91 ff. ZPO. Diese Vorschriften würden in ihrem Anwendungsbereich eine abschließende Regelung enthalten.
Der von der Klägerin geltend gemachte Anspruch auf Ersatz vorgerichtlicher Rechtsverfolgungskosten sei nach § 12a ArbGG ausgeschlossen. Das LAG Berlin-Brandenburg hat darauf hingewiesen, dass § 12a ArbGG nicht nur den prozessualen Kostenerstattungsanspruch, sondern auch einen materiell-rechtlichen Kostenerstattungsanspruch, der als Schadensersatzanspruch entstanden ist, und damit auch vorgerichtliche Rechtsverfolgungskosten und Beitreibungskosten ausschließt (so auch BAG NZA 2020, 465).
1. Erstattungsausschluss auch für Verfahren nach dem AGG
Nach den weiteren Ausführungen des LAG Berlin-Brandenburg gilt der in § 12a ArbGG geregelte Ausschluss der Kostenerstattung auch für das Klageverfahren nach dem AGG. Nach Auffassung des LAG ergibt sich – bezogen auf eine Benachteiligung wegen einer Behinderung – Gegenteiliges auch nicht aus der RL 2000/78/EG. Auch eine europarechtskonforme Auslegung ergebe, dass das Prozessrecht von dem Geltungsbereich von diese...