§§ 33 Abs. 3, 46 Abs. 1, 47 Abs. 1, 56 Abs. 2 RVG

Leitsatz

An der Notwendigkeit der Hinzuziehung eines Privatgutachters fehlt es grundsätzlich, wenn der zu beurteilende Sachverhalt überschaubar ist und das gerichtliche Gutachten die Beweisfrage umfassend beantwortet hat.

OLG Celle, Beschl. v. 14.11.2022 – 14 W 30/22

I. Sachverhalt

Der Kläger, dem Prozesskostenhilfe (PKH) unter Beiordnung seines Prozessbevollmächtigten bewilligt worden war, hat vor dem LG Hannover Ansprüche aus einem Verkehrsunfall geltend gemacht. In dem Rechtsstreit ging es um den Nachweis unfallbedingter Verletzungen und Beeinträchtigungen des Klägers, die er nach seiner Behauptung durch den Verkehrsunfall erlitten hatte. Gegenstand des Rechtsstreits war allein oder neben anderen eine Forderung des Klägers auf Zahlung von Schmerzensgeld, dessen Höhe in den Beschlussgründen nicht mitgeteilt wird. Insoweit hat das LG Hannover Beweis durch Einholung eines schriftlichen Sachverständigengutachtens erhoben, das der Gutachter unter dem 10.7.2022 vorgelegt hat. Hieraufhin beantragte der Prozessbevollmächtigte des Klägers, ihm gem. § 47 Abs. 1 RVG einen Vorschuss für die Einholung eines Privatgutachtens zur Widerlegung bzw. Erschütterung des gerichtlichen Gutachtens zu gewähren. Diesen Antrag hat das LG Hannover durch Beschluss der Einzelrichterin der mit der Sache befassten Zivilkammer zurückgewiesen. Die hiergegen eingelegte Beschwerde des Prozessbevollmächtigten des Klägers hatte beim OLG Celle keinen Erfolg.

II. Vorschussanspruch des PKH-Anwalts

1. Gesetzliche Regelung

Gem. § 47 Abs. 1 S. 1 RVG kann der im Wege der PKH beigeordnete Rechtsanwalt von der Staatskasse einen angemessenen Vorschuss für die entstandenen Gebühren und die entstandenen und voraussichtlich entstehenden Auslagen fordern. Soweit der Vorschuss anwaltliche Auslagen betrifft, besteht ein Anspruch gegen die Staatskasse nur für diejenigen Auslagen, die zur sachgemäßen Durchführung der Angelegenheit erforderlich waren.

2. Privatgutachtenkosten nicht erforderlich

Nach Auffassung des OLG Celle waren hier die Aufwendungen für die Beauftragung eines Privatgutachters, für die der Prozessbevollmächtigte des Klägers aus der Staatskasse einen Vorschuss gefordert hatte, "zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung" nicht erforderlich.

a) Grundsätze für die Erstattungsfähigkeit von Privatgutachtenkosten

Insoweit hat das OLG Celle auf die Rspr. verwiesen, die auf die Erstattungsfähigkeit von Privatgutachtenkosten i.S.v. § 91 Abs. 1 ZPO ergangen ist. Nach Auffassung des BGH sind Kosten für einen Privatgutachter nur dann gem. § 91 Abs. 1 ZPO erstattungsfähig, wenn diese zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung bzw. -verteidigung notwendig waren (BGH AGS 2003, 178 m. Anm. Leupertz = BRAGOreport 2003, 96; BGH AGS 2006, 361 m. Anm. Onderka = RVGreport 2006, 315 [Hansens]). Dies beurteilt sich danach, ob eine verständige und wirtschaftlich vernünftige Partei die kostenauslösende Maßnahme ex ante als sachdienlich hätte ansehen dürfen (BGH AGS 2003, 178; BGH RVGreport 2013, 236 [Hansens] = zfs 2013, 346). Diese Voraussetzungen liegen nach der Rspr. des BGH ausnahmsweise dann vor, wenn ein Beteiligter infolge fehlender Sachkenntnisse zu einem sachgerechten Vortrag ohne Einholung des Privatgutachtens nicht in der Lage ist (BGH, a.a.O.).

b) Einschränkungen bei prozessbegleitend eingeholten Privatgutachten

Nach Auffassung des OLG Celle sind diese Grundsätze hinsichtlich der Erstattungsfähigkeit der Kosten für ein prozessbegleitend eingeholtes Privatgutachten insoweit eingeschränkt, als es Sache des Prozessgerichts ist, Beweiserhebungen durch Einholung von Sachverständigengutachten durchzuführen. Jedoch habe die Rspr. die Erstattungsfähigkeit der Kosten für prozessbegleitende Privatgutachten dann angenommen, wenn es darum gegangen sei, ein gerichtliches Gutachten zu überprüfen, zu widerlegen oder zumindest zu erschüttern (OLG Stuttgart BauR 2002, 665; OLG Stuttgart ZEV 2007, 536; OLG Nürnberg MDR 2001, 1439; OLG Koblenz 2007, 652; OLG Celle BauR 2009, 285).

Ebenso könnten die Kosten für ein prozessbegleitend eingeholtes Privatgutachten dann erstattungsfähig sein, wenn die betreffende Partei auf die Hinzuziehung eines Sachverständigen angewiesen sei, um ihrer Darlegungs- und Beweislast zu genügen, Beweisangriffe abzuwehren oder Beweisen des Gegners entgegentreten zu können (OLG Düsseldorf AGS 1998, 24; OLG Koblenz und OLG Celle, je a.a.O.).

Schließlich hat das OLG Celle auf den Fall verwiesen, dass die Einholung des Gutachtens der Wiederherstellung der Waffengleichheit dienen solle (OLG Hamm AGS 2013, 348 = RVGreport 2013, 307 [Hansens]).

c) Die Umstände im Fall des OLG Celle

Nach Auffassung des OLG Celle ist bei Anlegung dieser Maßstäbe die Einholung eines prozessbegleitenden Privatgutachtens nicht erforderlich, um das gerichtlich eingeholte Gutachten des Gerichtssachverständigen vom 10.7.2022 zu überprüfen, zu widerlegen oder zumindest zu erschüttern. Der Prozessbevollmächtigte des Klägers habe – so das OLG – in seiner Beschwerde keine Gründe für eine Ausnahme dargetan. Er habe l...

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