§ 91 Abs. 2 ZPO; Nrn. 7003 ff. VV RVG
Leitsatz
Bei der Berechnung der höchstmöglichen Entfernung im Amtsgerichtsbezirk Pinneberg bleibt die im Gerichtsbezirk liegende Insel Helgoland außer Betracht.
AG Pinneberg, Beschl. v. 6.10.2022 – 86 C 38/21
I. Sachverhalt
Die in Pinneberg ansässige Partei hatte für ein Verfahren vor dem AG Pinneberg Anwälte aus Reinbek (einfache Entfernung 54 km) beauftragt. Nach Abschluss des Verfahrens meldete sie die Kosten ihrer Anwälte einschließlich deren Fahrtkosten zur Festsetzung an. Sie berief sich dabei auf die Rspr. des BGH, wonach die Kosten eines nicht im Gerichtsbezirk niedergelassenen Anwalts erstattungsfähig seien bis zur höchstmöglichen Entfernung im Gerichtsbezirk, also der Entfernung bis zu dem am weitesten vom Gericht entfernten Ort des Gerichtsbezirks. Dies sei hier die Insel Helgoland. Das AG hat die angefallenen Reisekosten nur i.H.d. Entfernung Pinneberg-Ellenau berücksichtigt.
II. Keine Notwendigkeit des auswärtigen Anwalts
Eine Notwendigkeit der in Pinneberg ansässigen Partei, Anwälte in Reinbek zu beauftragen, bestand nicht und ist auch nicht vorgetragen. Reisekosten eines nicht im Gerichtsbezirk ansässigen Prozessbevollmächtigten sind für die im Gerichtsbezirk ansässige Partei daher nur insoweit als erstattungsfähig i.S.d. § 91 Abs. 2 S. 1 ZPO anzusehen, als sie die fiktiven Reisekosten eines Rechtsanwalts mit Kanzleisitz an dem innerhalb des Gerichtsbezirks am weitesten vom Gericht entfernten Ort nicht übersteigen (BGH AGS 2018, 319 = NJW 2018, 2572; AGS 2019, 42 = NJW 2019, 681).
III. Nur höchstmögliche Entfernung an Land
Soweit sich die Klageseite darauf beruft, dass Helgoland der weitest entfernte Ort im Gerichtsbezirk sei, greift dies nicht. Die Klägerin muss sich vielmehr mit dem am weitest entfernten Ort an Land begnügen. Helgoland ist die einzige Hochseeinsel, die zum Staatsgebiet der Bundesrepublik Deutschland gehört, und stellt damit notwendigerweise einen Sonderfall dar, sodass die Begründung aus BGH (AGS 2018, 319 = NJW 2018, 2572) nicht einfach auf diese Konstellation übertragen werden kann. Die in der hier streitigen Konstellation obsiegende Partei soll nicht schlechter gestellt werden als jene Partei, die ihren Prozessbevollmächtigten innerhalb des Gerichtsbezirks beauftragt hat und damit immer ihre Kosten erstattet bekommt und daher bis zum weitest entfernten Ort im Gerichtsbezirk abrechnen darf (vgl. auch OLG Schleswig AGS 2015, 487 = NJW 2015, 3311).
Umgekehrt darf die Anwendung der Begründung aus BGH (AGS 2018, 319 = NJW 2018, 2572) aber auch nicht zur Schlechterstellung aller unterlegenen Parteien am AG Pinneberg führen, die in der hier streitigen Konstellation Verfahren verlieren und aufgrund des Sonderfalles Helgoland ihren Gegnern jeweils Fahrtkosten für deren Prozessbevollmächtigten bis zu einer einfachen Entfernung von Pinneberg bis nach Helgoland von 161 km ersetzen müssten.
Zudem ist auch zu beachten, dass der Kfz-Verkehr auf Helgoland gem. § 50 StVO verboten ist und es weiterhin auch schlechterdings unmöglich ist, mit einem Kfz von Helgoland nach Pinneberg zu fahren.
Abzustellen war daher auf Ellerau – das ist der innerhalb des Amtsgerichtsbezirks Pinneberg am weitesten von dem Gericht entfernte Ort auf dem Festland. Für einen Anwalt aus Ellerau wären nach Nrn. 7003, 7005 VV Reisekosten i.H.v. 42,60 EUR angefallen. Die erstattungsfähigen Kosten für die Anreise beschränken sich auf diesen Betrag.
IV. Bedeutung für die Praxis
Der "Fall Pinneberg" mit seiner Hochseeinsel Helgoland ist ein kurioser Sonderfall, der nicht recht in das Erstattungskonzept passt. Die Lösung des AG Pinneberg ist jedenfalls vertretbar. Auswärtige Anwälte werden damit leben können.
Rechtsanwalt Norbert Schneider, Neunkirchen
AGS 1/2023, S. 28