Es gibt Entscheidungen, die würde man lieber nicht lesen, man muss es aber (leider). Zu solchen Entscheidungen gehört dieser Beschluss des LG Osnabrück, der aus mehreren Gründen verärgert.
1. Zunächst ist man geneigt zu sagen: Schon wieder das LG Osnabrück, das sich mal wieder in einer für Verteidiger ggf. wichtigen Frage der Staatskasse anschließt. Und zudem: Auch mal wieder die Vertreter der Staatskasse beim LG Osnabrück, die – so habe zumindest ich den Eindruck – in streitigen Fragen immer die für den Verteidiger nachteilige Sicht der Dinge vertreten (wo steht das eigentlich im Gesetz?). So auch hier. Und sie werden dann von einer Kammer unterstützt, die dann auch noch der Auffassung ist, "dass mangels besonderer Schwierigkeit tatsächlicher oder rechtlicher Art und mangels grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache … die Entscheidung nach § 56 Abs. 2 S. 1, § 33 Abs. 8 S. 1 RVG" dem Einzelrichter obliege. Meint man das wirklich ernst bei einer der immer noch/leider wieder höchst umstrittenen Fragen im anwaltlichen Gebührenrecht? Allein der Umstand, dass der entscheidende Einzelrichter zwei gegensätzliche BGH-Beschlüsse zitiert und OLG-Rspr. sowohl für die eine als auch für die andere Auffassung anführt, zeigt m.E., dass das falsch ist. Da ist dann noch nicht berücksichtigt, dass zahlreiche weitere OLG-Entscheidungen sich mit der Frage befassen. Warum die Sache dann keine grundsätzliche Bedeutung haben soll, erschließt sich nicht. Eine (nachvollziehbare) Begründung gibt das LG dann auch lieber nicht.
2. In der maßgeblichen Streitfrage ist in den letzten Jahren viel hin und her geschrieben worden. Man, zumindest ich, hatte gehofft, dass nach der auch vom LG angeführten Entscheidung des 6. Strafsenats des BGH die Problematik erledigt und sich die richtige Auffassung, die von einer Erstreckung ausgeht, durchsetzen würde. Aber leider gefehlt, weil der 5. Strafsenat des BGH in seinem Beschl. v. 8.12.2021 meinte, anders entscheiden zu müssen, ohne sich allerdings mit einem Wort mit der Entscheidung des 6. Strafsenats auseinanderzusetzen, mit Ausnahme des Hinweises, dass eine Anrufung des Großen Senats nicht erforderlich sei. Auf diesen Zug des 5. Strafsenats springt nun das LG auf, wobei es allerdings außer Acht lässt, dass es inzwischen weitere obergerichtliche Rspr. gibt, die die Rechtslage ebenso gesehen hat wie der 6. Strafsenat (vgl. BGH, Urt. v. 30.6.2022 – 1 StR 277/21, NStZ-RR 2022, 336; OLG Brandenburg, Beschl. v. 24.1.2022 – 1 Ws 108/21 (S), AGS 2022, 211).
Ich erspare mir, noch einmal im Einzelnen darzulegen, warum die Auffassung des 5. Strafsenats des BGH und des LG Osnabrück falsch ist. Die Argumente insoweit sind ausgetauscht. Die Argumentation des LG wird auch nicht dadurch richtiger, dass man auf alte/frühere Rspr. des OLG Oldenburg aus dem Jahr 2010 (!) verweist. Denn woher will das LG wissen, ob das OLG diese Auffassung heute noch immer vertritt oder ob es nicht wie das OLG Brandenburg, das früher auch die andere Auffassung vertreten hat (vgl. OLG Brandenburg AGS 2009, 69 = StRR 2009, 3 [Ls.]), die "Seite wechselt" und sich dem 1. und 6. Strafsenat des BGH anschließt. Dass die Auffassung richtig ist, folgt m.E. schon allein daraus, dass die Bewilligung von PKH den Angeklagten zwingt, sich zu den Erfolgsaussichten seiner Verteidigung zu äußeren. Wie soll das im Strafverfahren gehen?
3. Was nun? Nun, man kann auf der Grundlage dieser Rspr. dem Verteidiger nur empfehlen, in den Fällen, in denen ein Adhäsionsantrag gestellt wird, nach wie vor durch entsprechende Anträge auf Klarstellung und/oder Erweiterung der Pflichtverteidigerbestellung zu drängen, damit dann im Vergütungsfestsetzungsverfahren der Einwand der Staatskasse ausgeschlossen ist: Die Pflichtverteidigerbestellung umfasst das Adhäsionsverfahren nicht. Es nutzt nichts, sich auf der BGH-Rspr. auszuruhen und darauf zu vertrauen, dass diese zum eigenen Gunsten angewendet werden wird. Der vorliegende Fall zeigt, dass das ein Fehlschluss sein kann, der erhebliche finanzielle Einbußen zur Folge haben kann. Hier waren es wegen eines offenbar nur geringen Gegenstandswert nur knapp 150,00 EUR, die dem Verteidiger verloren gegangen sind, ggf. kann es sich aber auch um sehr viel höhere Beiträge handeln.
Und unabhängig von der Frage der Erstreckung/des Umfangs der Pflichtverteidigerbestellung: Für einen ggf. abzuschließenden Vergleich muss auf jeden Fall PKH beantragt werden (OLG Jena, AGS 2009, 587 = RVGreport 2010, 106 = StRR 2010, 114 = NJW 2010, 455; ähnlich OLG Hamm, Beschl. v. 7.3.2022 – 1 Ws 579/21, AGS 2022, 554; OLG Nürnberg, RVGreport 2014, 72 = AGS 2014, 18 m. abl. Anm. N. Schneider = StraFo 2014, 37).
Rechtsanwalt Detlef Burhoff, RiOLG a.D., Leer/Augsburg
AGS 1/2023, S. 46 - 48