§ 48 RVG; Nr. 4143 VV RVG
Leitsatz
Die Pflichtverteidigerbestellung erstreckt sich nicht auf das Adhäsionsverfahren.
LG Osnabrück, Beschl. v. 5.9.2022 – 18 KLs 5/22
I. Sachverhalt
Der Rechtsanwalt war dem Verurteilten in einem Verfahren mit dem Vorwurf des besonders schweren Raubes u.a. als Pflichtverteidiger beigeordnet. Mit Schreiben vom 15.2.2020 beantragte der Geschädigte, den Angeklagten im Wege des Adhäsionsverfahrens zur Zahlung eines Schmerzensgeldes zu verurteilen. In dem Hauptverhandlungstermin vom 15.7.2021 schlossen der Angeklagte und der Geschädigte A einen entsprechenden Vergleich. Der Angeklagte hatte weder einen Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe (PKH) zur Verteidigung gegen die Schmerzensgeldklage gestellt, noch hat er beantragt, die Verteidigerbestellung auf das Adhäsionsverfahren zu erstrecken. Auch von Amts wegen erfolgte keine Erweiterung der bereits erfolgten Pflichtverteidigerbestellung auf das Adhäsionsverfahren.
Nach Beendigung des Verfahrens hat der Pflichtverteidiger die Festsetzung seiner gesetzlichen Vergütung beantragt. Die Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle hat die geltend gemachte Verfahrensgebühr Nr. 4143 VV für das Adhäsionsverfahren i.H.v. 98,00 EUR nebst Umsatzsteuer und eine Einigungsgebühr i.H.v. 49,00 EUR nebst Umsatzsteuer nicht festgesetzt. Sie hat sie damit begründet, dass keine Beiordnung des Pflichtverteidigers für das Adhäsionsverfahren erfolgt sei. Die dagegen gerichtete Erinnerung des Pflichtverteidigers hatte keinen Erfolg.
II. Zulässigkeit
Die Kammer hat über die Erinnerung durch den Einzelrichter entschieden, weil hier keine besondere Schwierigkeit tatsächlicher oder rechtlicher Art vorgelegen habe und die und die Rechtssache auch keine grundsätzliche Bedeutung habe (§ 56 Abs. 2 S. 1, § 33 Abs. 8 S. 1 RVG). Nach dessen Auffassung war die Erinnerung des Pflichtverteidigers zulässig (§ 56 Abs. 1 und Abs. 2 RVG i.V.m. den dort aufgeführten Vorschriften des § 33 RVG).
III. Umfang der Bestellung
In der Sache hat das LG die Erinnerung als nicht begründet angesehen. Zwar sei für die Teilnahme am Adhäsionsverfahren eine Gebühr angefallen. Der Pflichtverteidiger könne deren Erstattung indessen nicht aus der Landeskasse beanspruchen. PKH gem. § 404 Abs. 5 StPO, § 114 ZPO sei dem Angeklagten mangels entsprechender Antragstellung nicht bewilligt worden, sodass ein Gebührenanspruch des Verteidigers gegen die Landeskasse hieraus ausscheide. Ein Erstattungsanspruch ergebe sich auch nicht daraus, dass der Erinnerungsführer dem Angeklagten als Verteidiger bestellt worden sei.
1. Streitfrage
Die Frage, ob bei bereits bestehender Pflichtverteidigung – automatisch – PKH für das Adhäsionsverfahren gewährt und der Verteidiger insoweit beigeordnet wird, sei umstritten. Während einerseits angenommen werde, die Pflichtverteidigung umfasse auch die Vertretung im Adhäsionsverfahren (vgl. u.a. OLG Rostock StraFo 2011, 378 = RVGreport 2011, 423 = AGS 2011, 486 = StRR 2011, 441 = StV 2011, 656 = AGS 2011, 540; OLG Köln StraFo 2005, 394 = AGS 2005, 436 = RVGreport 2005, 316; OLG Hamm StraFo 2001, 361 = AGS 2002, 110 = JurBüro 2001, 531; OLG Schleswig NStZ 1998, 101; KK-StPO/Willnow, 8. Aufl., 2019, § 140 Rn 4; jeweils m.w.N.), werde andererseits eine gesonderte Beiordnung für erforderlich gehalten (vgl. KG RVGreport 2011, 142 = JurBüro 2011, 254 [Ls.]), OLG Bamberg StRR 2009, 3 [Ls.] = NStZ-RR 2009, 114 [Ls.]; OLG Dresden JurBüro 2013, 134; MüKo StPO/Grau, 2019, § 404 Rn 8; v. Heintschel-Heinegg/Bockemühl, in: Kleinknecht/Müller/Reitberger, StPO, 2020, § 404 Rn 29; Schöch, in: Satzger/Schluckebier/Widmaier, StPO, 4. Aufl., 2020, § 404 Rn 19; Schneider/Volpert/Stollenwerk, Gesamtes Kostenrecht, 3. Aufl., 2021, VV RVG Nrn. 4141–4147 Rn 53, jeweils m.w.N.).
Der BGH habe diese Frage bislang nicht einheitlich entschieden: Während der 6. Strafsenat die Auffassung vertrete, dass die Bestellung eines Pflichtverteidigers auch die Vertretung im Adhäsionsverfahren umfasst (BGH AGS 2021, 431 = StraFo 2021, 473 = NJW 2021, 2901), habe der 5. Strafsenat in seinem Beschl. v. 8.12.2021 – 5 StR 162/21 dargelegt, dass die Beiordnung des Verteidigers für das Adhäsionsverfahren nach § 404 Abs. 5 S. 2 StPO die Bewilligung von PKH und damit einen entsprechenden Antrag unter Beifügung einer Erklärung über die wirtschaftlichen Verhältnisse voraussetze (§ 405 Abs. 5 S. 1 StPO i.V.m. § 117 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 S. 1, § 119 Abs. 1 S. 1 ZPO).
2. Die Auffassung des LG Osnabrück
Letzterer Ansicht hat sich das LG angeschlossen, unter Hinweis auf Rechtsauffassung des OLG Oldenburg (vgl. Beschl. v. 22.4.2010 – 1 Ws 178/10, AGS 2010, 427 = StraFo 2010, 306). Danach werde die Vertretung im Adhäsionsverfahren von der Pflichtverteidigerbestellung nicht erfasst. Nach § 404 Abs. 5 StPO könne dem Angeschuldigten nur auf Antrag und nur unter den Voraussetzungen der §§ 114 ff. ZPO – und zwar unabhängig vom Antragsteller – PKH gewährt werden. Dass dies nur dann gelten solle, wenn der Angeschuldigte keinen beigeordneten Verteidiger habe, könne weder dem Wortlaut der Vorschrift noch ihrer Entstehungsgesc...