§§ 103 ff. ZPO; Nr. 7003 VV RVG
Leitsatz
- Die erstattungsberechtigte Partei kann die Nachfestsetzung von Terminsreisekosten ihres Prozessbevollmächtigten dann erfolgreich beantragen, wenn ihr aufgrund geänderter Rechtsprechung des BGH höhere Terminsreisekosten zustehen, als sie in ihrem ersten Kostenfestsetzungsantrag geltend gemacht hat und ihr im Kostenfestsetzungsbeschluss zugesprochen wurden.
- Der Einwand der Verwirkung des Kostenerstattungsanspruchs ist – ebenso wie andere materiell-rechtliche Einwendungen – im Kostenfestsetzungsverfahren regelmäßig nicht zu prüfen.
OLG Karlsruhe, Beschl. v. 9.6.2023 – 15 W 20/22
I. Sachverhalt
Die in Forbach in der Nähe von Baden-Baden wohnhafte Klägerin hat vor dem LG Baden-Baden gegen den Träger des Kreiskrankenhauses und die behandelnden Ärzte Schadensersatzansprüche geltend gemacht. Sie hat sich in beiden Instanzen durch Fachanwälte für Medizinrecht mit Kanzlei in Bonn vertreten lassen. Diese sind zu den Verhandlungsterminen am 22.2.2002 und 2.4.2004 vor dem LG Baden-Baden und am 28.9.2005 im Berufungsverfahren vor dem OLG Karlsruhe von Köln zu den jeweiligen Gerichten angereist. Der Rechtsstreit endete durch das Berufungsurteil des OLG Karlsruhe vom 26.10.2005, in dem die Beklagten u.a. im Wege der Feststellung auch zum Ersatz künftigen materiellen Schadens verurteilt wurden. Von den Kosten des Rechtsstreits hat das OLG Karlsruhe der Klägerin 1/13 und den Beklagten als Gesamtschuldner 12/13 auferlegt. Mit ihrem Antrag vom 6.12.2005 hat die Klägerin die Ausgleichung ihrer Kosten beantragt. Anstelle der weit höheren tatsächlich angefallenen Fahrtkosten ihrer Bonner Prozessbevollmächtigten hat die Klägerin für die Wahrnehmung der drei Verhandlungstermine entsprechend der seinerzeit maßgeblichen Rspr. lediglich fiktive Terminsreisekosten von Forbach nach Baden-Baden bzw. Karlsruhe geltend gemacht. Die Rechtspflegerin des LG Baden-Baden hat in ihren Kostenausgleichungsbeschlüssen vom 10.2.2006 für die zweite Instanz und vom 17.3.2006 für die erste Instanz diese Terminsreisekosten antragsgemäß berücksichtigt.
Am 17.5.2021, berichtigt am 17.7.2021, hat die Klägerin – soweit hier von Interesse – die Nachfestsetzung von 12/13 der Terminsreisekosten ihrer Bonner Prozessbevollmächtigten beantragt. Diesen Antrag hat sie damit begründet, wegen der Änderung der Rspr. seien die Terminsreisekosten ihrer Prozessbevollmächtigten bis zur größtmöglichen Entfernung innerhalb des Gerichtsbezirks erstattungsfähig. Die jeweiligen Differenzbeträge hat sie zur Nachfestsetzung angemeldet.
Die hierzu gehörten Beklagten haben dem Nachfestsetzungsantrag die Einrede der Verwirkung entgegengehalten.
Durch Beschl. v. 28.12.2021 hat die Rechtspflegerin des LG Baden-Baden diesen Nachfestsetzungsantrag mit der Begründung zurückgewiesen, der nunmehr geltend gemachte Kostenerstattungsanspruch sei verwirkt. Die hiergegen eingelegte sofortige Beschwerde der Klägerin hatte – soweit dies die Terminsreisekosten ihrer Prozessbevollmächtigten betraf – überwiegend Erfolg.
II. Zulässigkeit der Nachfestsetzung
1. Grundsätze
Nach Auffassung des OLG Karlsruhe war die Nachfestsetzung zulässig. Die Rechtskraft der beiden Kostenfestsetzungsbeschlüsse vom 10.2. und 17.3.2006 stehe dem nicht entgegen. Diese Rechtskraft beziehe sich nämlich nur auf die mit den ursprünglichen Kostenausgleichungsanträgen geforderten und in den Kostenausgleichungsbeschlüssen beschiedenen Beträge. Folglich hindere eine Nachforderung eines bislang nicht geltend gemachten Teils des Kostenerstattungsanspruchs bezüglich desselben Postens die Nachfestsetzung nicht (BGH AGS 2010, 580 = zfs 2011, 101 m. Anm. Hansens = RVGreport 2011, 28 [Hansens]). Soweit die Beträge nicht bereits mit den Kostenfestsetzungsbeschlüssen vom 10.2. und 17.3.2006 festgesetzt oder rechtskräftig aberkannt worden seien, hindere deshalb die Rechtskraft dieser Beschlüsse eine Nachfestsetzung nicht.
2. Terminsreisekosten in diesem Umfang bisher nicht beantragt
Das OLG Karlsruhe hat darauf hingewiesen, dass die Prozessbevollmächtigten der Klägerin mit ihrem ursprünglichen Kostenfestsetzungsantrag nur – fiktive – Reisekosten der Prozessbevollmächtigten der Klägerin von deren Wohnsitz in Forbach nach Baden-Baden geltend gemacht hätten. Demgegenüber seien aufgrund der geänderten Rspr. die Terminsreisekosten des Prozessbevollmächtigten bis zur höchstmöglichen Entfernung innerhalb des Gerichtsbezirks erstattungsfähig (s. BGH AGS 2018, 310 = zfs 2018, 524 m. Anm. Hansens = RVGreport 2018, 341 [Hansens]). Danach ist zwar die Hinzuziehung eines auswärtigen Rechtsanwalts zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung grds. nicht notwendig i.S.v. § 91 Abs. 2 S. 1 Hs. 2 ZPO. Dies führt jedoch lediglich dazu, dass die Mehrkosten, die gegenüber der Beauftragung eines im Gerichtsbezirk ansässigen Prozessbevollmächtigten entstanden sind, nicht zu erstatten sind. Folglich sind die tatsächlich angefallenen Terminsreisekosten der auswärtigen Prozessbevollmächtigten der Klägerin – hier von Bonn nach Baden-Baden bzw. Karlsruhe – insoweit erstattungsfähig, als sie auch da...