Nr. 4102 VV RVG

Leitsatz

Hat sich der Beschuldigte in einem Termin nach § 115 StPO zur Sache eingelassen und hat der Verteidiger einen Antrag zur Fortdauer der Untersuchungshaft gestellt, liegt ein Verhandeln i.S.d. Nr. 4102 Nr. 3 VV vor.

LG Augsburg, Beschl. v. 23.11.2023 – 8 Qs 307/23

I. Sachverhalt

Die Staatsanwaltschaft führte gegen den Verurteilten zunächst nur ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts der vorsätzlichen Körperverletzung. In diesem Verfahren wurde ihm auf Antrag seiner Verteidigerin diese als Pflichtverteidigerin bestellt.

Auf Antrag der Staatsanwaltschaft erließ das AG dann am 15.7.2022 gegen den Verurteilten u.a. wegen des dringenden Tatverdachts des tätlichen Angriffs auf Vollstreckungsbeamte in Tateinheit mit versuchter Körperverletzung einen Haftbefehl. Das AG führte in dem Haftbefehl aus, dass der Haftgrund der Flucht bestünde, da der Verurteilte flüchtig sei bzw. sich verborgen halte. Er sei ohne festen Wohnsitz und unbekannten Aufenthalts.

Nach Ergreifung des Verurteilten – der sich zwischenzeitlich in Strafhaft in anderer Sache befand – fand am 4.8.2022 die Vernehmung des Beschuldigten nach Ergreifung aufgrund eines bereits bestehenden Haftbefehls durch den zuständigen Richter (§ 115 StPO) vor dem AG statt. In diesem Termin gab die Pflichtverteidigerin für den Beschuldigten eine Einlassung zur Sache ab und stellte den Antrag, nach Aktenlage zu entscheiden. Diese Erklärung wurde seitens des Beschuldigten ausdrücklich genehmigt. Daraufhin erließ das AG einen Beschluss, wonach der Haftbefehl aufrechterhalten und in Vollzug gesetzt wurde. Zusätzlich wurde Überhaft angeordnet.

Inzwischen ist das später gegen den Verurteilten ergangene Urteil des AG rechtskräftig. Die Pflichtverteidigerin hat die Festsetzung ihrer Gebühren beantragt und hat u.a. auch für die Teilnahme an dem Termin vom 4.8.2022 eine Gebühr nach Nrn. 4102, 4103 VV begehrt. Das AG hat diese Gebühr zunächst nicht festgesetzt. Auf die Erinnerung der Pflichtverteidigerin ist die Gebühr dann festgesetzt worden. Dagegen hat die Staatskasse Beschwerde eingelegt, die beim LG keinen Erfolg hatte.

II. Verhandeln im Termin?

1. Verhandeln erforderlich

Das LG teilt die Auffassung des AG, dass die (Vernehmungs-)Terminsgebühr Nrn. 4103, 4102 Nr. 3 VV festzusetzen ist. Nr. 4102 Nr. 3 VV sehe eine Terminsgebühr für Termine außerhalb der Hauptverhandlung vor, in denen über die Anordnung oder Fortdauer der Untersuchungshaft oder der einstweiligen Unterbringung verhandelt worden sei. Bei der am 4.8.2022 erfolgten Vernehmung des (damaligen) Beschuldigten nach Ergreifung aufgrund eines bereits bestehenden Haftbefehls durch den zuständigen Richter (§ 115 StPO) vor dem AG Augsburg habe es sich um einen solchen Termin gehandelt.

Wie seitens der Staatskasse zutreffend ausgeführt werde, sei für das Entstehen dieser Gebühr ein "Verhandeln" erforderlich (vgl. Gerold/Schmidt/Burhoff, RVG, 26. Aufl., 2023, VV 4102 Rn 13). Mit diesem Erfordernis habe der Gesetzgeber erreichen wollen, dass die häufig nur sehr kurzen reinen Haftbefehlsverkündungstermine nicht von diesem Gebührentatbestand erfasst werden und die Teilnahme des Rechtsanwalts an derartigen Terminen nicht gesondert honoriert werde (vgl. OLG Saarbrücken, Beschl. v. 25.6.2014 – 1 Ws 85/14, StraFo 2014, 350 = RVGreport 2014, 428 = StRR 2014, 517). Entgegen der Auffassung der Staatskasse habe ein solches "Verhandeln" im Termin vom 4.8.2022 stattgefunden. Aus den von der Staatskasse angeführten Entscheidungen des OLG Saarbrücken (a.a.O.) und des OLG Bamberg (Beschl. v. 19. 1.2021 – 1 Ws 692/20, AGS 2021, 169 = JurBüro 2021, 241) folge nichts anderes. Es seien die jeweiligen Besonderheiten des Einzelfalls in den Blick zu nehmen, zudem liege diesen Entscheidungen ein gänzlich anderer Sachverhalt zugrunde.

2. OLG-Rechtsprechung

a) OLG Bamberg

Der Entscheidung des OLG Bamberg (a.a.O.) sei ein Haftbefehlseröffnungstermin voraus gegangen, nachdem das LG nach Anklageerhebung gegen den später Verurteilten einen neuen, an die Anklage angepassten Haftbefehl erlassen habe. Der darauffolgende Termin zur Verkündung und Eröffnung des neuen Haftbefehls habe in Anwesenheit des Pflichtverteidigers stattgefunden. Nach der Vereidigung des Dolmetschers und der Feststellung der Personalien des zum damaligen Zeitpunkt Angeschuldigten sei diesem eine Haftbefehlsabschrift überreicht worden. Anschließend sei die Sitzung kurz unterbrochen worden. Nach Fortsetzung der Sitzung habe der Angeschuldigte erklärt, dass er den Haftbefehl erhalten habe, dieser ihm vom Dolmetscher vorgelesen worden sei und er ihn verstanden habe. Er habe bestätigt, die im Haftbefehl benannte Person zu sein. Nach gerichtlicher Belehrung des Angeschuldigten über dessen Rechte habe der Verteidiger erklärt, dass eine Einlassung zur Person und zur Sache bis zur Hauptverhandlung zurückgestellt werde. Dies habe der Angeschuldigte bestätigt. Anschließend habe das LG den neuen Haftbefehl "bestätigt". Ersichtlich sei in diesem Haftprüfungstermin gerade keine Einlassung zur Sache erfolgt, auch habe der Verteidiger ...

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