Nr. 4142 VV RVG
Leitsatz
Berät der Rechtsanwalt seinen Mandanten dahin, dass dieser einer formlosen Einziehung zustimmt, löst auch dies die Gebühr aus Nr. 4142 VV. Dem Entstehen der Gebühr steht auch nicht entgegen, wenn das Verfahren im Ermittlungsverfahren nach § 154 StPO eingestellt wird.
LG Bonn, Beschl. v. 22.11.2023 – 65 Qs 19/23
I. Sachverhalt
Der Rechtsanwalt war Pflichtverteidiger in einem gegen seinen Mandanten wegen Besitzes kinderpornographischer Schriften geführten Ermittlungsverfahrens. Nach vorhergehender Beratung durch den Pflichtverteidiger hat der Beschuldigte auf das Eigentum an der Festplatte, auf der sich die kinderpornographischen Bilder befunden haben sollen, und deren Herausgabe verzichtet. Die Staatsanwaltschaft hat das Ermittlungsverfahren gem. § 154 StPO im Hinblick auf die rechtskräftig erkannte Strafe aus einem anderen Verfahren eingestellt.
Mit Schriftsatz vom 3.7.2023 hat Herr Rechtsanwalt Pp die Festsetzung seiner Gebühren und Auslagen i.H.v. insgesamt 662,83 EUR brutto beantragt.
Bei der Vergütungsfestsetzung hat der Rechtsanwalt auch die Festsetzung einer Verfahrensgebühr Nr. 4142 VV aus einem Wert von 200,00 EUR i.H.v. 49,00 EUR geltend gemacht. Das AG Bonn hatte den Wert der Werteinziehung auf 200,00 EUR festgesetzt. Die Urkundsbeamtin des AG hat den Antrag insoweit zurückgewiesen. Dagegen hat der Rechtsanwalt Erinnerung eingelegt. Das AG hat sodann die weitere Gebühr nach Nr. 4142 VV i.H.v. 49,00 EUR festgesetzt. Dagegen richtet sich die Beschwerde der Staatskasse, der das AG nicht abgeholfen hat. Die Beschwerde hatte keinen Erfolg.
II. Entstehen der zusätzlichen Verfahrensgebühr Nr. 4142 VV
Diese zusätzliche Verfahrensgebühr Nr. 4142 Abs. 1 VV entstehe – so das LG – u.a. für eine Tätigkeit für den Beschuldigten, die sich auf eine Einziehung bezieht. Die Gebühr werde bereits durch die beratende Tätigkeit des Rechtsanwaltes ausgelöst, wenn eine Einziehung in Betracht kommt, die Maßnahme müsse weder gerichtlich angeordnet noch beantragt sein (Knaudt, in: v. Seltmann, BeckOK RVG, 61. Ed., Stand: 1.9.2023, VV 4142 Rn 10 m.w.N.). Berate der Rechtsanwalt seinen Mandanten dahin, dass dieser einer formlosen Einziehung zustimme, löse auch dies die Gebühr aus Nr. 4142 VV aus (KG, Beschl. v. 18.7.2005 – 5 Ws 256/05, NStZ-RR 2005, 358 = AGS 2005, 550; vgl. Knaudt, a.a.O.).
Hier sei hinsichtlich der in Rede stehenden Festplatte mit den inkriminierten Dateien eine Einziehung in Betracht gekommen (vgl. zu einer solchen Konstellation nur BGH, Beschl. v. 8.2.2012 – 4 StR 657/11, NStZ 2012, 319). Der Rechtsanwalt habe in dieser Verfahrenssituation nicht nur in seinem Schriftsatz vom 22.6.2023 für den Beschuldigten auf das Eigentum und die Herausgabe der Festplatte verzichtet, sondern habe ihn ausweislich der Schriftsätze vom 16.2.2023, 22.6.2023 bzw. 8.8.2023 auch vorangehend hierzu beraten.
III. Bagatellgrenze
Die Entstehung der Gebühr sei auch nicht gem. Nr. 4142 Abs. 2 VV ausgeschlossen, da der Gegenstandswert hier nicht niedriger als 30,00 EUR gewesen sei, sondern ausweislich des Beschl. des AG v. 17.8.2023 auf 200,00 EUR festgesetzt worden ist.
IV. Einstellung des Verfahrens
Die Gebühr sei – wie das AG nach Auffassung des LG zu Recht und mit zutreffender Begründung entschieden habe – auch durch die o.a. Tätigkeit des Rechtsanwalts im Stadium des bei der Staatsanwaltschaft geführten Ermittlungsverfahrens entstanden. Es stehe der Entstehung der Gebühr insbesondere nicht entgegen, dass dieses Ermittlungsverfahren nach § 154 StPO eingestellt worden sei und sich hierdurch kein gerichtliches Verfahren angeschlossen habe.
Denn die Gebühr entstehe nach Nr. 4142 Abs. 3 VV u.a. "für das Verfahren des ersten Rechtszugs einschließlich des vorbereitenden Verfahrens". Es könne hierbei dahinstehen, dass die Vorschrift grds. rechtszugbezogen sei (vgl. hierzu BGH, Beschl. v. 29.11.2018 – 3 StR 625/17, NStZ-RR 2019, 127 = RVGreport 2019, 102 = StRR-Sonderausgabe 7/2019, 10) und es sich bei einem Rechtszug um "einen Verfahrensabschnitt eines Rechtsstreits vor einem bestimmten (...) Gericht" (so Creifelds, Rechtswörterbuch) handelt. Denn bereits der Wortlaut des Absatzes 3 beziehe ausdrücklich in das die Gebühr auslösende Handeln im Verfahren des ersten Rechtszugs das Handeln im vorbereitenden Verfahren mit ein. Nach Sinn und Zweck der Regelung solle hiermit ebenfalls auch eine entsprechende Tätigkeit ausschließlich im Ermittlungsverfahren vergütet werden, ohne dass es einen Unterschied mache, ob dieses später in diesem Stadium abgeschlossen worden ist oder in ein gerichtliches Verfahren übergegangen ist. Denn mit der Gebühr solle dem Umstand Rechnung getragen werden, dass zu den im Strafprozess unumgänglichen Überlegungen zur Schuld- und Straffrage eine weitere, die Eigentums- und Vermögenslage des Mandanten berührende Thematik hinzugetreten ist, die regelhaft Mehrarbeit verursacht (KG, Beschl. v. 18.7.2005 – 5 Ws 256/05, NStZ-RR 2005, 358 = AGS 2005, 550). Hierfür sei aber der Ausgang des Ermittlungsverfahrens, in dem die anwaltliche Tätigkeit erbracht worden ist, irrelevant. I.Ü. spreche für dieses Ergebnis auch, dass die Entstehung der Gebühr...