RVG §§ 58 Abs. 2, 45 ff.; RVG VV Vorbem. 3 Abs. 4, Nrn. 2300, 3100
Leitsatz
Wenn eine Anrechnung der vorgerichtlichen Geschäftsgebühr auf die aus der Staatskasse zu zahlende Prozesskostenhilfevergütung in Betracht kommt, hat diese zunächst auf die Gebühren nach der Wahlanwaltstabelle zu erfolgen. Nur soweit der Anrechnungsbetrag den Differenzbetrag der Prozesskostenhilfevergütung zur Regelvergütung übersteigt, kommt ein Abzug von dem gegen die Staatskasse festzusetzenden Anspruch in Betracht.
OLG München, Beschl. v. 10.12.2009–11 W 2649/09
Sachverhalt
Das LG hatte dem Kläger Prozesskostenhilfe bewilligt und ihm einen Rechtsanwalt beigeordnet: Dieser hatte den Kläger bereits vorgerichtlich vertreten und den Beklagten zur Zahlung der Klageforderung aufgefordert. Das Gericht hat den Beklagten zur Zahlung verurteilt und dem Kläger auch die geltend gemachten vorgerichtlichen Anwaltskosten in Höhe von 1.085,04 EUR zugesprochen.
Nach Abschluss des Verfahrens hat der beigeordnete Anwalt die Festsetzung seiner PKH-Vergütung beantragt und dabei u.a. eine 1,3-Verfahrensgebühr angesetzt. Der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle hat die an den Klägervertreter aus der Staatskasse zu zahlende Vergütung festgesetzt, wobei unter Hinweis auf die Anrechnung der vorgerichtlich entstandenen Geschäftsgebühr nur eine gekürzte Verfahrensgebühr berücksichtigt worden ist.
Die hiergegen gerichtete Erinnerung des Rechtsanwalts hat das LG zurückgewiesen.
Dagegen wendet sich der Rechtsanwalt mit seiner Beschwerde. Zur Begründung wird ausgeführt, die Anrechnung einer fiktiven Geschäftsgebühr führe dazu, dass die sich die Prozesskostenhilfevergütung drastisch reduziere. Die fiktive Geschäftsgebühr für das außergerichtliche Mahnschreiben habe der Prozessbevollmächtigte des Klägers nicht erhalten und werde sie in absehbarer Zeit auch nicht erhalten. In § 55 Abs. 5 S. 2 und S. 3 RVG sei darüber hinaus ausdrücklich geregelt, dass ein beigeordneter Rechtsanwalt nur Zahlungen auf eine anzurechnende Geschäftsgebühr anzugeben habe. Nach einer Entscheidung des BGH v. 2.9.2009 – II ZB 35/07 – habe eine Anrechnung nur dann zu erfolgen, wenn der Prozessbevollmächtigte eine Geschäftsgebühr auch tatsächlich erhalten habe. Im Übrigen sei allenfalls die Gebühr hälftig anzurechnen, die im Rahmen der Beratungshilfe gewährt worden wäre (35,00 EUR).
Aus den Gründen
1. Nach der Rspr. des BGH ist die anteilige Anrechnung einer vorgerichtlich entstandenen Geschäftsgebühr (Nr. 2300 VV) gem. der Vorbem. 3 Abs. 4 VV auf die im gerichtlichen Verfahren anfallende 1,3-Verfahrensgebühr (Nr. 3100 VV) auch im Kostenfestsetzungsverfahren nach den §§ 103, 104 ZPO zu berücksichtigen. Dabei soll es nach Auffassung des BGH ohne Bedeutung sein, ob die Geschäftsgebühr auf materiell-rechtlicher Grundlage vom Prozessgegner zu erstatten und ob sie unstreitig, geltend gemacht, tituliert oder bereits beglichen ist (u.a. BGH NJW 2008, 1323 [= AGS 2008, 158]; FamRZ 2008, 1346 = AGS 2008, 364; NJW-RR 2008, 1528 = AGS 2008, 441 = JurBüro 2008, 468; AGS 2008, 377 = JurBüro 2008, 529; FamRZ 2008, 2023 = VersR 2008, 1666).
2. Die Frage, ob die Anrechnung der Geschäftsgebühr gem. der Vorbem. 3 Abs. 4 VV auch im Falle der Festsetzung des Vergütungsanspruchs des im Wege der Prozesskostenhilfe beigeordneten Rechtsanwalts gegen die Staatskasse zu berücksichtigen ist, ist in Rspr. und Lit. umstritten.
a) Nach h.M. ist Vorbem. 3 Abs. 4 VV grundsätzlich auch im Verhältnis zur Staatskasse anzuwenden (OLG Frankfurt JurBüro 2007, 149 [= AGS 2007, 313]; OLG Stuttgart AnwBl 2008, 301 = JurBüro 2008, 245; LAG Köln RVGreport 2007, 457; LAG Düsseldorf RVGreport 2008, 142; VGH München AGS 2007, 314 mit abl. Anm. von N. Schneider; VGH München Beschl. v. 9.5.2006–12 C 06.65; OLG Oldenburg AGS 2008, 352 = MDR 2008, 1185 u. JurBüro 2008, 527; OLG Bamberg RVGreport 2008, 343; a.A. Hansens RVGreport 2008, 1). Dem steht nicht entgegen, dass beide Gebühren sich gegen unterschiedliche Schuldner richten. Es besteht nämlich eine Abhängigkeit des Anspruchs gegen die Staatskasse von dem Anspruch, der dem Rechtsanwalt gegen den Mandanten zusteht, es ist insoweit eine Deckungsgleichheit gegeben (OLG Stuttgart a.a.O.).
b) Dennoch kann die Frage der Anrechnung der Geschäftsgebühr im Falle der Festsetzung der Wahlanwaltsvergütung gem. § 104 ZPO nicht in jeder Hinsicht mit der Festsetzung der Prozesskostenhilfevergütung gleichgestellt werden. Der Senat hat deshalb mit Leitsatzbeschlüssen v. 10.6.2008–11 W 3014/07 (JurBüro 2009, 472 = OLGR 2009, 643) und 9.1.2009–11 W 2726/08 (JurBüro 2009, 473 = OLGR 2009, 641) entschieden, dass eine Anrechnung der Geschäftsgebühr gem. Vorbem. 3 Abs. 4 VV auf die von der Staatskasse zu zahlende Vergütung nur in Betracht kommt, wenn der Rechtsanwalt auf den anzurechnenden Teil der Geschäftsgebühr eine Zahlung erhalten hat (ebenso KG, Beschl. v. 13.1.2009–1 W 496/08, JurBüro 2009, 187 = AGS 2009, 168) oder wenn der materiell-rechtliche Anspruch auf Ersatz der Geschäftsgebühr tituliert wurde. Der Senat begründet diese Auffassung mit der frühere...