GewSchG § 1; FamFG § 76 Abs. 1; ZPO § 114 S. 1
Leitsatz
Hat der bedürftige Beteiligte im Wege der einstweiligen Anordnung eine auf Kontakt- und Näherungsverbote gerichtete gerichtliche Maßnahme erwirkt, so ist in der Regel zu erwarten, dass bereits dies zu einer nicht nur vorübergehenden Entspannung und Befriedung der Beteiligten führt. Solange sich diese Erwartung nicht als unzutreffend erweist, ist die Verfolgung des gleichen Ziels im Hauptsacheverfahren mutwillig.
OLG Zweibrücken, Beschl. v. 18.11.2009–2 WF 215/09
Sachverhalt
Die Antragstellerin hatte mit dem Antragsgegner in der von ihr angemieteten Wohnung zusammengelebt. Die Beziehung endete am 25.8.2009. Da der Antragsgegner sich weigerte, die Wohnung zu verlassen, erließ die zuständige Polizeibehörde gegen ihn am 25.8.2009 eine bis zum 6.9.2009 befristete Polizeiverfügung zum Schutz vor Gewalt in engen sozialen Beziehungen.
Am 1.9.2009 beantragte die Antragstellerin beim AG in der Hauptsache und im Verfahren der einstweiligen Anordnung den Erlass gerichtlicher Maßnahmen nach § 1 GewSchG gegen den Antragsgegner und suchte um Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe für die beabsichtigte Rechtsverfolgung nach.
Die einstweilige Anordnung wurde noch am selben Tag erlassen.
Den Antrag auf Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe für das Hauptsacheverfahren hat das FamG dagegen abgewiesen. Die parallele Rechtsverfolgung sowohl im Hauptsache- als auch im Verfahren der einstweiligen Anordnung sei mutwillig. Der Antragstellerin sei zuzumuten, vor Einleitung eines Hauptsacheverfahrens zunächst abzuwarten, ob ihr Anspruch im kostengünstigeren Verfahren der einstweiligen Anordnung durchzusetzen sei.
Hiergegen wendet sich die Antragstellerin mit der sofortigen Beschwerde, der das FamG nicht abgeholfen hat.
Aus den Gründen
Die sofortige Beschwerde ist gem. § 76 Abs. 2 FamFG i.V.m. § 127 Abs. 2 S. 2 ZPO statthaft und verfahrensrechtlich bedenkenfrei, insbesondere form- und fristgerecht eingelegt (§ 76 Abs. 2 FamFG i.V.m. § 569 ZPO).
Wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache entscheidet der Senat über die Beschwerde gem. § 76 Abs. 2 FamFG i.V.m. § 568 S. 2 ZPO in seiner im GVG vorgesehenen Besetzung.
In der Sache hat das Rechtsmittel keinen Erfolg.
Der Senat teilt die Auffassung des FamFG, wonach vorliegend die Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe für das gleichzeitig mit einem auf dasselbe Rechtsschutzziel gerichteten Verfahren der einstweiligen Anordnung anhängig gemachten Hauptsacheverfahren zu versagen ist, weil die beabsichtigte Rechtsverfolgung (derzeit) mutwillig erscheint (§ 76 Abs. 1 FamFG i.V.m. § 114 S. 1 ZPO).
Gewaltschutzsachen sind Familiensachen. Da das Verfahren am 1.9.2009 eingeleitet wurde, ist auf das Verfahren das zum 1.9.2009 in Kraft getretene Gesetz über das Verfahren in Familiensachen und Angelegenheiten der Freiwilligen Gerichtsbarkeit (FamFG) anzuwenden (Art. 111 FGG-RG). Danach sind Verfahren der einstweiligen Anordnung selbstständige Verfahren (§ 51 Abs. 3 S. 1 FamFG), mithin nicht mehr (wie nach der bis zum 31.8.2009 geltenden Gesetzeslage – §§ 620a Abs. 2, 621 e ZPO a.F.) von der Anhängigkeit eines gleichartigen Hauptsacheverfahrens abhängig.
Dies ermöglicht es den um Rechtsschutz nachsuchenden Beteiligten, im Einzelfall zu prüfen und abzuwägen, welche(n) prozessuale(n) Weg(e) sie zum Erreichen ihres Begehrens beschreiten wollen.
Ein nicht hilfsbedürftiger Beteiligter, der die Kosten der Rechtsverfolgung selbst aufzubringen hat, wird dabei regelmäßig bestrebt sein, den für ihn kostengünstigsten Weg zu wählen, wenn damit seinem Anliegen ausreichend Rechnung getragen werden kann.
Ein bedürftiger Beteiligter, der für seine Rechtsverfolgung staatliche Sozialleistungen in Anspruch nehmen will, hat die gleichen Überlegungen anzustellen, will er sich nicht dem Vorwurf aussetzen, die von ihm beabsichtigte Rechtsverfolgung sei mutwillig.
Wer – wie die Antragstellerin – Bedrohungen und Misshandlungen durch eine andere Person bereits erfahren und weiter zu befürchten hat, kann effektiven Rechtsschutz durch Anordnung gerichtlicher Maßnahmen, insbesondere Kontakt- und Näherungsverbote i.S.d. § 1 GewSchG, nur im Wege einer einstweiligen Anordnung erlangen. Das Hauptsacheverfahren wird hierfür regelmäßig zu langwierig und schwerfällig sein; Entscheidungen in der Hauptsache werden regelmäßig zu spät kommen.
Dem trägt auch § 214 Abs. 1 S. 2 FamFG Rechnung, wonach in der Regel ein dringendes Bedürfnis für ein sofortiges Tätigwerden durch einstweilige Anordnung vorliegt, wenn bereits Verletzungshandlungen i.S.d. § 1 GewSchG erfolgt sind.
Eine verständige nicht hilfsbedürftige Partei in der Situation der Antragstellerin würde ihre Rechte daher im – zudem kostengünstigeren – Verfahren der einstweiligen Anordnung verfolgen. Dies hat die Antragstellerin auch getan.
Von der gleichzeitigen Einleitung eines Hauptsacheverfahrens, das auf die Anordnung inhaltlich gleicher gerichtlicher Maßnahmen gerichtet ist, würde eine verständige nicht hilfsbedürftige Partei in der Situation der Antragstellerin dagegen zunächs...