RVG VV Nr. 4141
Leitsatz
- Eine "Befriedungsgebühr" (Nr. 4141 VV) zugunsten des Verteidigers fällt grundsätzlich nicht an, wenn die Staatsanwaltschaft ihre Berufung gegen ein Urteil ohne weiteres Zutun des Verteidigers zurücknimmt, nachdem der Angeklagte gegen ein in derselben Sache zuvor ergangenes Berufungsurteil erfolgreich Revision eingelegt hatte und die Sache deshalb in die Berufungsinstanz zurückverwiesen worden war.
- Für eine teleologische Reduktion der zweiwöchigen Rechtzeitigkeitsfrist in Anm. Abs. 1 Nr. 3, Hs. 2 VV allein auf Rechtsmittel von Seiten des Angeklagten besteht kein Raum.
OLG Dresden, Beschl. v. 1.9.2010 – 2 Ws 1110/10
1 Sachverhalt
Der Angeklagte war vom AG zu einer Gesamtstrafe von sechzehn Monaten, ausgesetzt zur Bewährung, verurteilt worden. Auf die Berufung der Staatsanwaltschaft hin änderte das LG den Rechtsfolgenausspruch ab und verurteilte ihn zu der Freiheitsstrafe von vier Monaten ohne Bewährungsmöglichkeit.
Auf die mit einer ausführlichen Rechtsmittelbegründung versehene Revision des Angeklagten hin hob das OLG dieses Berufungsurteil wegen Rechtsfehlern auf und verwies die Sache zu erneuter Verhandlung und Entscheidung an eine andere Berufungskammer des LG zurück.
Drei Tage vor der neu angesetzten Berufungshauptverhandlung nahm die Staatsanwaltschaft ihre Berufung zurück.
Der Verteidiger des Angeklagten begehrt nunmehr – nur dies ist Gegenstand des vorliegenden Beschwerdeverfahrens – die Festsetzung einer zusätzlichen Gebühr nach Nr. 4141 VV ("Befriedungsgebühr"). Aufgrund seiner Mitwirkung, die in der erfolgreichen Revision und seiner Gegenerklärung nach § 349 Abs. 3 StPO zu erblicken sei, habe sich das Berufungsverfahren durch Rücknahme des staatsanwaltschaftlichen Rechtsmittels erledigt.
Das AG hat diesen Festsetzungsantrag zurückgewiesen; die Gebühr sei nicht entstanden, weil die Rechtsmittelrücknahme nur drei Tage vor dem angesetzten Hauptverhandlungstermin erfolgt und daher die in Anm. Abs. 1 Nr. 3, Hs. 2 zu Nr. 4141 VV geforderte Frist von mindestens zwei Wochen nicht eingehalten worden sei.
Auf die zulässige Beschwerde des Verteidigers hin hob das LG diese Entscheidung des AG auf und erkannte dem Beschwerdeführer die Befriedungsgebühr zu. Der Verteidiger habe durch seine erfolgreiche Revision im Ergebnis dazu beigetragen, dass die Staatsanwaltschaft ihre Berufung schließlich zurückgenommen habe, weshalb eine weitere Hauptverhandlung habe vermieden werden können. Zwar sei die im Gebührentatbestand vorausgesetzte Zweiwochenfrist nicht eingehalten worden. Der Wortlaut dieses normierten Erfordernisses sei aber, soweit er die Frist für die Rechtzeitigkeit auch auf Rechtsmittelrücknahmen von Seiten der Staatsanwaltschaft erstrecke, bei der Gesetzesfassung planwidrig zu weitgehend geraten; er sei deshalb nach dem Sinn und Zweck der Befriedungsgebühr teleologisch auf eine Fristbindung nur des Angeklagten zu reduzieren. Anderenfalls würde es in die Hand der Staatsanwaltschaft gelegt sein, ob die Gebühr anfalle oder nicht.
Gegen diese Entscheidung der Strafkammer, die ihre Rechtsansicht auch durch die Entstehungsgeschichte der Vorgängervorschrift in § 84 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 BRAGO gestützt sieht, richtet sich die von der Kammer zugelassene weitere Beschwerde des Bezirksrevisors, die Erfolg hatte.
2 Aus den Gründen
Der Verteidiger hat auf die begehrte Gebühr nach derzeitiger Rechtslage keinen Anspruch.
1. Es ist bereits zu bezweifeln, ob der vom Wortlaut her eindeutig normierte Gebührentatbestand in Bezug auf die zweiwöchige Rechtzeitigkeitsfrist überhaupt einer teleologischen Reduktion zugänglich ist, weil der "Telos der Vorschrift" oder – subjektiv ausgedrückt – der "Wille des Gesetzgebers" nicht eindeutig feststellbar ist. Das LG hätte mit seiner Entscheidung insoweit die Grenzen zulässiger richterlicher Rechtsfortbildung überschritten.
Zwar zeigt die Entstehungsgeschichte der Norm und ihrer Vorgängerreglung in § 84 Abs. 2 BRAGO mit den jeweiligen Gesetzesmaterialien, dass sie nahezu ausschließlich Rechtsmittel des Angeklagten als Regelungsgegenstand hatte, auf deren Rücknahmezeitpunkt dieser einen Einfluss hatte. Sie wurde geschaffen im Zusammenhang mit der Einspruchsrücknahme im Strafbefehlsverfahren (BT-Drucks 12/6962, S. 106). In diesen Fällen sollte der Verteidiger "entschädigt" werden, wenn er zum Abschluss des Verfahrens ohne Hauptverhandlung beiträgt und damit zugleich auf eine Terminsgebühr "verzichtet".
Aber auch hier hatte der Gesetzgeber schon früh – offenbar aus fiskalischen Überlegungen – bestimmt, dass die "Befriedungsgebühr" nur demjenigen Verteidiger zukommen soll, "dessen rechtzeitige Prüfung dazu führt, dass eine Hauptverhandlung und die damit verbundene Vorbereitung des Gerichts aber auch gegebenenfalls der Zeugen und Sachverständigen entbehrlich werden" (BT-Drucks 12/6962, a.a.O.). Entsprechend hat er die Verdienstmöglichkeit für diese Gebühr unter eine zweiwöchige Ausschlussfrist gestellt; in Fällen, in denen die Frist nicht eingehalten wird, entsteht die Gebühr – trotz eines gleichen Arbeitseinsatzes des Vert...