RVG §§ 15 Abs. 2, 17 Nr. 1, 20 S. 2; GVG § 17b Abs. 2, 3

Leitsatz

  1. Wird eine Sache im Rechtsmittelverfahren an ein Gericht eines niedrigeren Rechtszugs verwiesen oder abgegeben, so ist das weitere Verfahren vor diesem Gericht gem. § 20 S. 2 RVG auch gegenüber dem Verfahren des zuerst angerufenen Gerichts eine eigene Angelegenheit i.S.d. § 15 Abs. 2 RVG. Eine Anrechnung der Gebühren findet nicht statt.
  2. Die Vorschrift des § 20 S. 2 RVG gilt unabhängig davon, ob das ursprünglich angerufene erstinstanzliche Gericht seine Zuständigkeit bejaht oder verneint hat.

BGH, Beschl. v. 20.11.2019 – XII ZB 63/19

1 Sachverhalt

Die Ehe des Antragstellers (im Folgenden: Ehemann) und der Antragsgegnerin (im Folgenden: Ehefrau) ist seit Januar 2011 geschieden. Der Ehemann erhob im April 2011 gegen die Ehefrau beim LG eine auf Gesamtschuldnerausgleich gerichtete Klage. Das LG wies die Klage als unzulässig ab und begründete dies u.a. damit, dass es sich um eine Familiensache handele, für die das LG unzuständig sei. Auf die Berufung des Ehemanns hob der Zivilsenat des OLG das Urteil des LG auf und verwies den Rechtsstreit von Amts wegen an das örtlich zuständige FamG. Dieses wies den Antrag des Ehemanns aus Sachgründen zurück. Seine dagegen gerichtete Beschwerde hatte teilweise Erfolg. Der Familiensenat des OLG traf im Teilanerkenntnis- und Schlussbeschluss vom 22.12.2016 im Kostenpunkt folgende Anordnung: Der Ehemann "und Beschwerdeführer trägt die Mehrkosten, die durch die Klage zu dem unzuständigen LG Schwerin entstanden sind; von der Erhebung von Gerichtskosten für das erstinstanzliche Verfahren vor dem LG Schwerin und das anschließende Berufungsverfahren vor dem Zivilsenat des OLG Rostock wird abgesehen." Die Ehefrau "und Beschwerdegegnerin trägt die Kosten der übrigen Rechtszüge des Verfahrens."

Das FamG hat die vom Ehemann an die Ehefrau nach der Kostengrundentscheidung vom 22.12.2016 zu erstattenden Rechtsanwaltskosten für das Verfahren vor dem LG auf 4.051,95 EUR und für das Verfahren vor dem Zivilsenat des OLG auf 4.607,53 EUR nebst Verzinsung ab dem 22.12.2016 festgesetzt. Das OLG hat die gegen beide Kostenfestsetzungsbeschlüsse gerichteten sofortigen Beschwerden des Ehemanns zurückgewiesen.

Mit der zugelassenen Rechtsbeschwerde erstrebt der Ehemann die Aufhebung der Kostenfestsetzungsbeschlüsse.

2 Aus den Gründen

Die Rechtsbeschwerde hat keinen Erfolg.

1. Das OLG hat seine Entscheidung wie folgt begründet:

Die Verpflichtung des Ehemanns zur Kostenerstattung folge aus § 20 S. 2 RVG i.V.m. § 17b Abs. 2 S. 2 GVG. Im Fall der so genannten Diagonalverweisung sei das weitere Verfahren nach § 20 S. 2 RVG ein neuer Rechtszug. Dies treffe auf die vorliegende Verweisung durch den Zivilsenat des OLG an die Familienabteilung des Amtsgerichts zu, weshalb diese beiden Gerichte gebührenrechtlich keine Einheit bildeten. Nach der Kostengrundentscheidung vom 22.12.2016 habe der Ehemann die durch die Klage beim unzuständigen Gericht entstandenen Mehrkosten – mit Ausnahme der Gerichtskosten – zu tragen. Dies schließe neben den Kosten für das Verfahren vor dem LG auch die Kosten für das Berufungsverfahren vor dem OLG ein.

2. Dies hält der rechtlichen Nachprüfung im Ergebnis stand. Der Ehemann ist verpflichtet, die Kosten in der festgesetzten Höhe zu erstatten.

Gem. der Kostengrundentscheidung trägt der Ehemann die Mehrkosten, die durch die Anrufung des LG entstanden sind. Diese umfassen die Kosten sowohl des Verfahrens vor dem LG als auch des hieraus hervorgegangenen Berufungsverfahrens vor dem Zivilsenat des OLG. Gem. §§ 15 Abs. 2, 17 Nr. 1, 20 S. 2 RVG handelt es sich dabei um eigene gebührenrechtliche Angelegenheiten. Denn der Zivilsenat des OLG hat die Sache an ein zuvor noch nicht angerufenes Gericht eines niedrigeren Rechtszugs verwiesen (sog. Diagonalverweisung i.S.v. § 20 S. 2 RVG).

a) Ohne Erfolg wendet die Rechtsbeschwerde ein, die Vorschrift des § 20 S. 2 RVG gelte nach ihrem Sinn und Zweck nur dann, wenn sich das zuerst angerufene Gericht als zuständig betrachte (vgl. dazu Gerold/Schmidt/Mayer, RVG, 24. Aufl., § 20 Rn 7). Auch Verweisungsfälle der vorliegenden Art, in denen zwar schon das zuerst angerufene Gericht seine Zuständigkeit verneint, aber – gleich aus welchem Grund – erst das höhere Gericht die Sache an das zuständige Gericht verweist, sind vom Anwendungsbereich des § 20 S. 2 RVG umfasst. Diese Vorschrift legt die Anzahl der Rechtszüge unabhängig davon fest, aus welchem Grund das höhere Gericht die Sache verweist. Für die von der Rechtsbeschwerde der Sache nach intendierte teleologische Reduktion findet sich keine Grundlage. Denn Sinn und Zweck der Regelung verlangen hier keine vom Wortlaut abweichende Auslegung (zu den Voraussetzungen der teleologischen Reduktion vgl. Palandt/Grüneberg, BGB, 78. Aufl., Einl. Rn 49).

Richtig ist zwar, dass der Gesetzgeber mit der Regelung des § 20 S. 2 RVG einen im Vergleich zur Horizontalverweisung nach § 20 S. 1 RVG typischerweise erhöhten anwaltlichen Aufwand berücksichtigt hat. Zum einen ist jedoch die Annahme, wonach unter den Fälle...

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