1. Bestimmung einer Betragsrahmengebühr bei Gebührenanrechnungen (§ 14 Abs. 2 RVG)
In § 14 Abs. 2 RVG ist eine neue allgemeine Regelung für die Anrechnung von Betragsrahmengebühren eingeführt worden. Diese ersetzt die entfallenen Regelungen in Vorbem. 2.3 Abs. 4 S. 3 VV und in Vorbem. 3 Abs. 4 S. 4 VV. Nach dem neuen § 14 Abs. 2 RVG soll dann, wenn eine Rahmengebühr auf eine andere Rahmengebühr anzurechnen ist, die Gebühr, auf die angerechnet wird, so zu bestimmen sein, als sei der Rechtsanwalt zuvor nicht tätig gewesen. In den Teilen 4 und 5 VV kann diese Regelung u.a. bei folgenden Anrechnungsvorschriften Auswirkungen haben:
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Abs. 2 der Anm. zu Nr. 4100 VV (Grundgebühr), |
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Abs. 2 der Anm. zu Nr. 4143 VV (zusätzliche Verfahrensgebühr), |
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Vorbem. 4 Abs. 4 VV (vorangegangen Einzeltätigkeit) |
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und Abs. 3 der Anm. zu Nr. 5200 VV, |
aber nicht bei der "Anrechnung" nach Abs. 2 der Anm. zu Nr. 5100 VV (Grundgebühr im Bußgeldverfahren nach vorangegangenem Strafverfahren), da es sich dabei nicht um eine "Anrechnung" i.e.S. handelt.
Sinn und Zweck dieser Regelung ist es, dass die Synergieeffekte, die bei einer fortschreitenden Befassung eintreten, ausschließlich durch die vorgeschriebene Gebührenanrechnung berücksichtigt werden sollen. Die Bestimmung der Höhe der zweiten (Verfahrens-)Gebühr soll danach so erfolgen, als sei der Rechtsanwalt zuvor nicht tätig gewesen. Diese Regelung bezieht sich damit auf sämtliche Bemessungsmerkmale des § 14 Abs. 1 RVG. Die Regelung soll sicherstellen, dass für Rechtsanwälte, deren (Verfahrens- oder Geschäfts)Gebühr einer Anrechnung unterliegt, diese Gebühren vor Anrechnung in derselben Höhe anfallen wie für diejenigen Rechtsanwälte, die zuvor nicht tätig waren. Nur so werde eine Gleichbehandlung mit den Fällen erreicht, in denen – wie etwa in zivilprozessualen Mandaten – keine Rahmengebühren vorgesehen seien.
Beispiel
Rechtsanwalt A hat den Betroffenen im Bußgeldverfahren verteidigt. Entstanden sind die Grundgebühr Nr. 5100 VV und die Verfahrensgebühr Nr. 5103 VV. Das Bußgeldverfahren wird an die StA abgegeben. Hier ist der Rechtsanwalt zunächst weiter für den Mandanten tätig gewesen. Der Mandant beauftragt dann aber vor Anklageerhebung einen anderen Verteidiger, den Rechtsanwalt B.
Rechtsanwalt A rechnet wie folgt ab:
I. Abrechnung nach altem Recht |
1. Bußgeldverfahren |
Grundgebühr, Nr. 5100 VV |
100,00 EUR |
Verfahrensgebühr, Nr. 5103 VV |
160,00 EUR |
Zusätzliche Verfahrensgebühr, Nr. 5115 VV |
160,00 EUR |
2. Strafverfahren |
Grundgebühr, Nr. 4100 VV |
150,00 EUR |
allerdings wegen des vorangegangenen Bußgeldverfahrens nicht i.H.d. Mittelgebühr |
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Verfahrensgebühr, Nr. 4104 VV |
160,00 EUR |
Anrechnung der Grundgebühr, Nr. 5100 VV |
– 100,00 EUR |
Gesamt |
630,00 EUR |
II. Abrechnung nach neuem Recht |
Nach § 14 Abs. 2 RVG ist die Grundgebühr Nr. 4100 VV so zu bestimmen, als sei der Verteidiger zuvor nicht tätig gewesen. |
1. Bußgeldverfahren |
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Grundgebühr, Nr. 5100 VV |
110,00 EUR |
Verfahrensgebühr, Nr. 5103 VV |
176,00 EUR |
Zusätzliche Verfahrensgebühr, Nr. 5115 VV |
176,00 EUR |
2. Strafverfahren |
Grundgebühr, Nr. 4100 VV |
220,00 EUR |
jetzt wegen § 14 Abs. 2 RVG (auch) i.H.d. Mittelgebühr |
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Verfahrensgebühr, Nr. 4104 VV |
181,50 EUR |
Anrechnung der Grundgebühr, Nr. 5100 VV |
– 110,00 EUR |
Gesamt |
753,50 EUR |
2. Erstreckung (§ 48 Abs. 6 RVG)
In der Praxis spielen im Recht der Pflichtverteidigung in den Fällen der Verbindung mehrerer Verfahren die mit § 48 Abs. 6 RVG zusammenhängenden Fragen eine große Rolle. Dabei geht es immer um die Frage, ob der Verteidiger auch in den Verfahren die gesetzlichen Gebühren geltend machen kann, in denen er (noch) nicht zum Pflichtverteidiger bestellt war. Dazu ist in § 48 Abs. 6 S. 3 RVG die sog. Erstreckung vorgesehen. In dem Zusammenhang ist in Rspr. und Lit. umstritten (gewesen), ob ein anwaltlicher Vergütungsanspruch für frühere Tätigkeiten in Verfahren, die vor der Beiordnung hinzuverbunden wurden, bereits aus § 46 Abs. 6 S. 1 RVG folgt und ob demgemäß der Anwendungsbereich des § 48 Abs. 6 S. 3 RVG entsprechend auf Fälle beschränkt ist, in denen nach einer Beiordnung noch weitere Verfahren hinzuverbunden werden.
Beispiel
Die StA hat gegen den Angeklagten ursprünglich zwei Ermittlungsverfahren geführt, und zwar das Verfahren V 1 sowie das Verfahren V 2. Am 14.1.2019 legitimierte sich der Rechtsanwalt gegenüber der StA als Verteidiger in beiden Verfahren und beantragte jeweils Akteneinsicht, die auch gewährt wurde. Am 1.2.2019 erfolgte die Verbindung des Verfahrens V 1 zu dem führenden Verfahren V 2 durch die StA. Am 29.3.2019 erhebt die StA Anklage.
Auf den Antrag d...