§ 143a StPO; §§ 48, 49 BRAO
Leitsatz
- Der Pflichtverteidiger, der sich gegen die Ablehnung der von ihm beantragten Rücknahme seiner Beiordnung wendet, ist beschwerdeberechtigt i.S.v. § 304 Abs. 2 StPO.
- Das Vertrauensverhältnis zwischen einem Beschuldigten und seinem Pflichtverteidiger wird nicht allein dadurch nachhaltig und endgültig erschüttert, dass sich der Beschuldigte in Abkehr von der bisherigen Verteidigungsstrategie dazu entschließt, ein Geständnis abzulegen.
BGH, Beschl. v. 5.3.2020 – StB 6/20
I. Sachverhalt
Das OLG Celle führt u.a. gegen den Angeklagten eine Hauptverhandlung wegen des Vorwurfs einer bzw. mehrerer Taten der Unterstützung einer terroristischen Vereinigung im Ausland. Die Pflichtverteidiger des Angeklagten haben beantragt, ihre Bestellung zu Pflichtverteidigern zurückzunehmen, weil das Vertrauensverhältnis zu dem Angeklagten vollständig zerrüttet sei. Diesen Antrag hat der Vorsitzende des mit der Sache befassten Strafsenats des OLG nach vorheriger Anhörung des Angeklagten, der erklärt hat, er gehe nicht von einem zerrütteten Vertrauensverhältnis aus, abgelehnt. Hiergegen wenden sich die Pflichtverteidiger des Angeklagten mit ihren (sofortigen) Beschwerden, die sie im Wesentlichen damit begründen, dass der Angeklagte ohne Absprache mit ihnen seine Verteidigungsstrategie geändert und nach einer bestreitenden Einlassung im April 2018 am 180. Hauptverhandlungstag, am 11.2.2020, nunmehr ein Geständnis abgelegt habe. Anfragen der Verteidiger, dies vorher zu besprechen, habe er abschlägig beschieden und dadurch zum Ausdruck gebracht, dass er nicht bereit sei, mit den bestellten Pflichtverteidigern zusammenzuarbeiten, deren Rechtsrat nicht annehmen werde und eine "wirkliche" Verteidigertätigkeit nicht gewünscht sei. Damit sei der Verteidigung "jede Basis entzogen". Der BGH hat die sofortigen Beschwerden zwar als zulässig, in der Sache jedoch als unbegründet angesehen
II. Zulässigkeit der sofortigen Beschwerden
Die sofortigen Beschwerden seien nach §§ 143a Abs. 4, 304 Abs. 4 S. 2 HS. 2 Nr. 1 StPO zulässig. Insbesondere stehe den Pflichtverteidigern gegen die Ablehnung ihrer Entpflichtung ein eigenes Beschwerderecht zu. Nach der Regelung des § 304 Abs. 2 StPO können auch andere Personen Beschwerde einlegen, wenn sie in ihren Rechten betroffen sind. Insoweit sei anerkannt, dass auch Verteidiger solche Personen sein können. Die Betroffenheit des Pflichtverteidigers ergibt sich in Fällen wie dem vorliegenden aus § 49 Abs. 2 i.V.m. § 48 Abs. 2 BRAO. Nach dieser Vorschrift könne der Rechtsanwalt beantragen, die Beiordnung aufzuheben, wenn hierfür wichtige Gründe vorliegen; solche können auch in einer nachhaltigen Störung des Vertrauensverhältnisses zu sehen sein. Werde der Antrag abgelehnt, sei für den Pflichtverteidiger gegen diese Entscheidung die (sofortige, vgl. § 143a Abs. 4 StPO) Beschwerde gegeben, soweit sie – wie nunmehr hier – nach § 304 StPO i.Ü. statthaft ist (vgl. BT-Drucks 3/120, 78; Weyland/Nöker, BRAO, 10. Aufl., § 49 Rn 8b; vgl. auch OLG Hamm NStZ 2015, 718; LR/Matt, StPO, 26. Aufl., § 304 Rn 47; für eine generelle Beschwerdebefugnis des Pflichtverteidigers SSW-StPO/Beulke, 4. Aufl., § 143 Rn 29 m.w.N.; jedenfalls bei eigener Entpflichtung HK-StPO/Julius/Schiemann, 6. Aufl., § 143 Rn 10; Hilgendorf, NStZ 1996, 1, 6).
Der Beschwerdebefugnis des Pflichtverteidigers in diesen Fällen stehe nicht entgegen, dass in der Begründung des Entwurfs eines Gesetzes zur Neuregelung des Rechts der notwendigen Verteidigung ausdrücklich nur ausgeführt werde, gegen die richterliche Ablehnung wie auch die Bestellung eines Pflichtverteidigers seien sowohl der Beschuldigte als auch die Staatsanwaltschaft beschwerdeberechtigt (BT-Drucks 19/13829, 44). Denn in der Begründung werde zuvor dargelegt, dass die sofortige Beschwerde statthaft sei, "soweit eine Beschwer vorliegt" (BT-Drucks, a.a.O.). Es sei nicht ersichtlich, dass durch die sich anschließende Aufzählung die Beschwerdebefugnis abschließend geregelt werden sollte oder mit diesem Satz der Gesetzesbegründung die – wie dargelegt – zuvor bestehende Beschwerdeberechtigung des Pflichtverteidigers abgeschafft werden sollte.
III. Begründetheit
Nach Auffassung des BGH waren die sofortigen Beschwerden jedoch unbegründet. Die Voraussetzungen für eine Aufhebung der Pflichtverteidigerbestellungen der Pflichtverteidiger hätten offensichtlich nicht vorgelegen. Ergänzend zu den Gründen des OLG-Beschlusses, die der BGH nicht mitteilt, führt er aus: Es sei weder dargelegt, dass das Vertrauensverhältnis zwischen den Pflichtverteidigern und dem Angeklagten endgültig zerstört sei, noch sei aus einem sonstigen Grund eine angemessene Verteidigung des Angeklagten nicht gewährleistet (s. § 143a Abs. 2 S. 1 Nr. 3 StPO). Auch i.Ü. bestehen keine Gründe zur Aufhebung der Verteidigerbestellungen. Für die Frage, wann im Einzelnen eine endgültige Zerstörung des Vertrauensverhältnisses i.S.d. § 143a StPO zu bejahen ist, könne – so der BGH – auf die in der Rspr. zum alten Recht herausgearbeiteten Grundsätze zurückgegriffen werden (vgl. BT-Drucks 19/13829. 48; näher BGH S...