1. Lösung zu Fall 1
I. Zulässigkeit der Erinnerung
1. Erinnerung unbefristet
Gegen die Entscheidung des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle vom 10.10.2018 ist gem. § 56 Abs. 1 S. 1 und Abs. 2 S. 1 i.V.m. § 33 Abs. 4, 7 und 8 RVG die Erinnerung gegeben, die unbefristet ist. Damit konnte Rechtsanwalt A seine Erinnerung auch noch – wie geschehen – mehr als zwei Jahre nach Zugang der Entscheidung des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle über seinen Festsetzungsantrag einlegen.
2. Keine Verwirkung der Erinnerung
Nach der überwiegenden Auffassung in der Rspr. kann das Erinnerungsrecht des Rechtsanwalts ausnahmsweise nur dann verwirken, wenn die Staatskasse aufgrund eines besonderen Verhaltens des Rechtsanwalts darauf vertrauen durfte, der Rechtsanwalt werde sein Recht auf Einlegung der Erinnerung nicht mehr geltend machen. Allein der Zeitablauf genügt somit nicht. Aufgrund des Verhaltens des Rechtsanwalts A konnte hier die Landeskasse nicht den Schluss ziehen, der Anwalt werde gegen die Absetzung der Terminsgebühr keine Erinnerung einlegen. Somit fehlt es an dem für die Verwirkung des Erinnerungsrechts erforderlichem Umstandsmoment.
3. Begründetheit der Erinnerung
Die Auffassung, dass dem Rechtsanwalt die Terminsgebühr nach Nr. 1 der Anm. zu Nr. 3106 VV auch für die Mitwirkung beim Abschluss eines schriftlichen außergerichtlichen Vergleichs anfallen kann, setzt sich in der Rspr. immer mehr durch. Auch das dem SG Berlin im Rechtszug übergeordnete LSG Berlin-Brandenburg vertritt diese Auffassung. I.Ü. genügt auch nach der durch das Kostenrechtsänderungsgesetz 2021 geänderten Fassung der Nr. 1 der Anm. zu Nr. 3106 VV ab 1.1.2021 der Abschluss eines schriftlichen Einigungsvertrags.
4. Keine Anrechnung
Da das beklagte Jobcenter auf die vom Urkundsbeamten der Geschäftsstelle abgesetzte Terminsgebühr keine (anteilige) Zuzahlung geleistet hat, die nach § 58 Abs. 1 RVG auf die aus der Landeskasse zu zahlende Vergütung anzurechnen wäre, ist der geltend gemachte Restbetrag in voller Höhe festzusetzen. Zahlt das Jobcenter dem Rechtsanwalt A entsprechend der Kostenregelung in dem Vergleich 70 % der Terminsgebühr und der hierauf entfallenden Umsatzsteuer in der Folgezeit, ist Rechtsanwalt A gem. § 58 Abs. 3 S. 2 RVG zur (anteiligen) Rückzahlung an die Landeskasse verpflichtet.
2. Lösung zu Fall 2
I. Anfall der Terminsgebühr
Nach dem Vorbringen des Klägervertreters kann diesem – ebenso übrigens wie dem Beklagtenanwalt – für die telefonische Besprechung die Terminsgebühr für Besprechungen angefallen sein.
II. Glaubhaftmachung
1. Mittel der Glaubhaftmachung
Im Kostenfestsetzungsverfahren genügt zur Berücksichtigung eines Ansatzes, hier also der Terminsgebühr, dass er glaubhaft gemacht ist (§ 104 Abs. 1 ZPO). Dabei genügt für die Glaubhaftmachung, dass die tatsächlichen Voraussetzungen des geltend gemachten Gebührentatbestandes mit überwiegender Wahrscheinlichkeit feststehen. Als Mittel der Glaubhaftmachung können gem. § 294 Abs. 1 ZPO alle Beweismittel unter Einschluss der eidesstattlichen Versicherung verwendet werden. Dabei ist von der Rspr. auch die anwaltliche Versicherung als Mittel der Glaubhaftmachung zugelassen. Die in § 294 Abs. 2 ZPO enthaltene Beschränkung auf präsente Beweismittel gilt im Kostenfestsetzungsverfahren nicht.
2. Sich widersprechende anwaltliche Versicherungen
Vorliegend widersprechen sich die beiden von den jeweiligen Prozessbevollmächtigten abgegebenen anwaltlichen Versicherungen. Der Rechtspfleger hat zunächst zu prüfen, welche anwaltliche Versicherung glaubhafter ist, wobei er sich auf weitere Hilfstatsachen wie seine Kenntnis von der Person des Rechtsanwalts oder den Akteninhalt einschließlich der in den Akten befindlichen Schriftsätze der Prozessbevollmächtigten usw. stützen kann. Kommt der Rechtspfleger zu dem Schluss, dass einer der beteiligten Rechtsanwälte nicht glaubwürdig sei, so darf er über den Kostenfestsetzungsantrag nicht nach Aktenlage entscheiden. Vielmehr muss er den betreffenden Rechtsanwalt und am besten auch den Prozessbevollmächtigten der Gegenpartei als Zeugen vernehmen.
Autor: VorsRiLG a.D. Heinz Hansens, Berlin
AGS 2/2021, S. 63 - 65