Vorbem. 5.1.2 VV RVG; Nrn. 5103, 5115 VV RVG; § 464a StPO
Leitsatz
- Für Rechtsmittel gegen Kostenentscheidungen besteht grundsätzlich kein Verschlechterungsverbot.
- Das Verfahren vor der Verwaltungsbehörde endet spätestens mit dem Eingang der Akten bei Gericht (§ 69 Abs. 3 S. 1 OWiG) bzw. mit einer sonstigen vorherigen verfahrensbeendenden Maßnahme. Hieran ändert auch der Umstand nichts, dass der Verteidiger mit der Verwaltungsbehörde im Anschluss noch einmal schriftlich korrespondiert hat.
- Wird das Verfahren nach § 47 OWiG eingestellt, weil die Verwaltungsbehörde Informationen bzw. Unterlagen nicht zur Verfügung gestellt hat, die der Verteidiger angefordert hatte, reicht das aus, um den Anfall der Gebühr nach Nr. 5115 VV zu rechtfertigen.
- Ein Erstattungsanspruch hinsichtlich der Kosten eines privat beauftragten Sachverständigen setzt grundsätzlich voraus, dass alle prozessualen Mittel zur Erhebung des gewollten Beweises ausgeschöpft worden sind und dass sich der Betroffene nicht mehr anders verteidigen konnte. Nach diesen Maßstäben liegt Erstattungsfähigkeit i.d.R. nur vor, wenn der Betroffene einen Beweisantrag gestellt und er ggf. Einwendungen gegen die Ordnungsgemäßheit der Messung vorgebracht hat.
LG Zweibrücken, Beschl. v. 2.12.2020 – 1 Qs 33/20
I. Sachverhalt
Der Rechtsanwalt hat den Betroffenen im Bußgeldverfahren verteidigt. Das ist vom AG nach § 47 Abs. 2 OWiG auf Kosten der Landeskasse, der auch die notwendigen Auslagen des Betroffenen auferlegt worden sind, eingestellt worden. Die vom Rechtsanwalt geltend gemachten Gebühren wurden dann nur zum Teil festgesetzt. Dagegen hat der Rechtsanwalt sofortige Beschwerde eingelegt. Die hatte zwar in der Sache teilweise Erfolg, hatte aber dann zur Festsetzung eines gegenüber dem angefochtenen Beschluss geringeren Betrages geführt.
II. Verschlechterungsverbot
Das LG weist darauf hin, dass ein Verschlechterungsverbot, das der Verringerung des festgesetzten Betrages ggf. entgegenstehen könnte, nicht bestehe. Für Beschwerde, sofortige Beschwerde und weitere Beschwerde sei, anders als für Berufung, Revision und Wiederaufnahme in den §§ 331, 358 Abs. 2, 373 Abs. 2 StPO, ein Verbot der Schlechterstellung des Beschwerdeführers durch die Beschwerdeentscheidung weder in der StPO noch in den Kostengesetzen und dem RVG gesetzlich geregelt. Ein Verschlechterungsverbot sei auch keine zwingende Folge aus dem Rechtsstaatsprinzip (vgl. BGHSt 9, 324; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 63. Aufl., 2020, § 331 Rn 1 m.w.N.). Ausnahmen von der Nichtgeltung des Verschlechterungsverbotes im Beschwerdeverfahren habe die Rspr., weil grds. allein der Gesetzgeber darüber zu bestimmen habe, wann einem Rechtsmittelführer die Rechtswohltat des Verbotes der Schlechterstellung zukommen soll (Meyer-Goßner/Schmitt, a.a.O., § 331 Rn 1; vor § 304 Rn 5), zu Recht bisher nur in geringem Umfang zugelassen. Im Bereich der Kostenentscheidungen bestehe eine entsprechende verfestigte Rspr. zu Ausnahmen von der grundsätzlichen Nichtgeltung des Verschlechterungsverbotes im Beschwerdeverfahren nicht. Eine solche Ausnahme werde vielmehr sogar für mit der sofortigen Beschwerde anfechtbare Kostengrundentscheidungen abgelehnt (vgl. BGHSt 5, 52). Für mit der "einfachen" Beschwerde anfechtbare Kostenfestsetzungsbeschlüsse gelte nach zutreffender h.M. ein Verbot der Schlechterstellung ebenfalls nicht (vgl. ausdrücklich Meyer-Goßner/Schmitt, a.a.O., § 464b Rn 8 m.w.N.; OLG Hamburg, Beschl. v. 5.5.2010 – 2 Ws 34/10).
III. Verfahrensgebühr Nr. 5103 VV
Auf der Grundlage hat das LG dann die vom AG festgesetzte Verfahrensgebühr Nr. 5103 VV abgesetzt. Bei dieser handele es sich um die Verfahrensgebühr für das Verfahren vor der Verwaltungsbehörde. Nach Vorbem. 5.1.2 VV gehöre zu dem Verfahren vor der Verwaltungsbehörde auch das Verwarnungsverfahren und das Zwischenverfahren (§ 69 OWiG) bis zum Eingang der Akten bei Gericht. Die Sache sei mit Verfügung vom 7.6.2019 von der Verwaltungsbehörde an das AG abgegeben worden. Damit sei das Verfahren vor der Verwaltungsbehörde beendet, eine Verfahrensgebühr für das dortige Verfahren habe nicht mehr anfallen können. Das Verfahren ende spätestens mit dem Eingang der Akten bei Gericht (§ 69 Abs. 3 S. 1 OWiG) bzw. mit einer sonstigen vorherigen verfahrensbeendenden Maßnahme (Gerold/Schmidt/Burhoff, RVG, 24. Aufl., 2019, VV Vorb. 5.1.2 Rn 3 m.w.N.). Die Verteidigerin habe sich jedoch erst mit Schriftsatz vom 19.11.2019 gegenüber dem AG bestellt. Zu diesem Zeitpunkt sei das Verfahren vor der Verwaltungsbehörde jedoch bereits beendet gewesen. Daher habe eine Verfahrensgebühr nach Nr. 5103 VV nicht mehr anfallen können. Hieran ändere auch der Umstand nichts, dass die Verteidigerin mit der Verwaltungsbehörde im Anschluss noch einmal schriftlich korrespondiert habe. Nach Beendigung des Verwaltungsverfahrens könne dieses nicht durch erneute Korrespondenz wieder in das vorhergehende Stadium zurückversetzt werden. Sogar eine Zurückverweisung von Seiten des Gerichts an die Verwaltungsbehörde lasse grds. eine erneute Verfahrensgebühr für das Tätigwerden vor der Verwaltungsbehörde nicht ent...