§ 52 RVG
Leitsatz
- Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Leistungsfähigkeit des Angeklagten i.S.d. § 52 RVG sind die wirtschaftlichen Verhältnisse zum Zeitpunkt der Entscheidung.
- § 90 SGB XII ist im Rahmen des § 52 Abs. 2 S. 1 RVG nicht anwendbar.
OLG Brandenburg, Beschl. v. 3.11.2021 – 1 Ws 99/21 (S)
I. Sachverhalt
Der Rechtsanwalt ist dem Angeklagten noch vor dessen Festnahme am 22.2.2019 als Pflichtverteidiger bestellt worden. Der Angeklagte ist vom LG Neuruppin u.a. wegen gemeinschaftlichen schweren Raubes verurteilt worden. Das Urteil ist seit dem 26.8.2020 rechtskräftig. Darüber hinaus war der Rechtsanwalt dem Angeklagten in einem Strafverfahren vor dem LG Berlin, in dem der Angeklagte u.a. wegen räuberischer Erpressung verurteilt wurde, als Pflichtverteidiger beigeordnet. Dieses Urteil ist seit dem 1.9.2021 rechtskräftig.
Der Rechtsanwalt hat sowohl beim LG Berlin (Differenzgebühr i.H.v. 2.357,54 EUR) als auch beim LG Neuruppin (Differenzgebühr i.H.v. 2.423,13 EUR) die Feststellung beantragt, dass der Angeklagte ohne Beeinträchtigung des für ihn und seine Familie notwendigen Unterhalts zur Zahlung der Gebühren eines gewählten Verteidigers in der Lage sei. Das LG Berlin hat dem Antrag des Angeklagten stattgegeben. Seine hiergegen gerichtete sofortige Beschwerde hat das KG verworfen.
Der Rechtsanwalt hat ausgeführt, der Angeklagte habe keine Unterhaltsverpflichtungen gegenüber Dritten. Ob der Angeklagte, der sich seit dem 6.2.2019 in Haft befinde, gegenwärtig Einkünfte erziele, sei nicht bekannt. Der Rechtsanwalt habe jedoch im Auftrag des Angeklagten Honoraransprüche des Angeklagten aus geleisteter Übersetzungstätigkeit gegenüber dem Jugendamt in den Monaten Juni und Juli 2018 geltend gemacht. Dieses habe daraufhin insgesamt 4.749,50 EUR auf das Konto des Rechtsanwalts überwiesen. Zwischen ihm und seinem Mandanten habe die Absprache bestanden, dass bei Fälligkeit der Differenzgebühr für die Verfahren vor dem LG Berlin und dem LG Neuruppin die Zahlung des Jugendamtes beim Rechtsanwalt verbleiben solle. Von diesem Betrag seien lediglich 150,00 EUR abzuziehen, welche bereits auf das Gefangenenkonto des Angeklagten eingezahlt worden seien. Ende des Jahres 2020 habe der Angeklagte dann überraschend um Rechnungslegung und die Einzahlung des verbleibenden Betrages i.H.v. 4.599,50 EUR auf das Gefangenenkonto gebeten. Er habe daraufhin am 5.1.2021 gegenüber dem Angeklagten die Aufrechnung erklärt, nämlich mit der Forderung aus dem hiesigen Verfahren i.H.v. 2.423,13 EUR sowie mit der Forderung aus dem Verfahren vor dem LG Berlin i.H.v. 2.357,54 EUR nebst den Forderungen aus der zivilrechtlichen Geltendmachung der Honoraransprüche des Angeklagten i.H.v. insgesamt 561,20 EUR. Da der Angeklagte der Aufrechnung widersprochen habe, sei die Feststellung der Leistungsfähigkeit des Angeklagten durch das Gericht erforderlich.
Die zuständige Rechtspflegerin bei dem LG Neuruppin (§ 22 RPflG) hat den Antrag des Beschwerdeführers zurückgewiesen. Sie hat das im Wesentlich damit begründet, dass ausgehend von dem vorhandenen Vermögen des Angeklagten i.H.v. 4.599,50 EUR nach Abzug des Schonvermögens i.H.v. 5.000,00 EUR kein einsetzbares Vermögen, welches für die Feststellung der Leistungsfähigkeiten heranzuziehen wäre. Die dagegen gerichtete sofortige Beschwerde des Pflichtverteidigers hatte Erfolg.
II. Beurteilungszeitpunkt
Nach § 52 Abs. 2 RVG kann der gerichtlich bestellte Rechtsanwalt vom Angeklagten die Zahlung der Gebühren eines Wahlverteidigers nur verlangen, soweit dem Angeklagten ein Erstattungsanspruch gegen die Staatskasse zusteht oder nachdem das Gericht des ersten Rechtszuges auf Antrag des Rechtsanwalts nach Anhörung des Angeklagten festgestellt hat, dass dieser ohne Beeinträchtigung des für ihn und seine Familie notwendigen Unterhalts zur Zahlung in der Lage ist. Letztere Prüfung sei – so das OLG Brandenburg – vorgesehen, weil die Bestellung eines Rechtsanwalts zum Pflichtverteidiger den Angeklagten kraft Gesetzes verpflichtet, dem Rechtsanwalt die Gebühren eines Wahlverteidigers zu zahlen. Diese Verbindlichkeit entstehe ohne Rücksicht darauf, ob der Angeklagte zu einer solchen Leistung willens und in der Lage sei. Der Gesetzgeber habe die Geltendmachung solcher Forderungen nur zulassen können, ohne dass unerträgliche Härten entstanden, wenn die vorherige Prüfung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit des Verpflichteten sichergestellt sei (vgl. BGH NJW 1980, 1394).
Vorliegend haben nach Auffassung des OLG die Voraussetzungen für die Feststellung der Leistungsfähigkeit des Angeklagten vorgelegen. Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Leistungsfähigkeit seien die wirtschaftlichen Verhältnisse zum Zeitpunkt der Entscheidung (vgl. Burhoff/Volpert/Volpert, RVG Straf- und Bußgeldsachen, 6. Aufl., 2021, § 52 Rn 60). Zwar können zur Prüfung der Leistungsfähigkeit eines Angeklagten, so wie es das LG getan habe, die Vorschriften über die Prozesskostenhilfe bzw. über Pfändungsgrenzen herangezogen werden. Maßgeblicher Prüfungsansatz bleibe indes eine auszuschließ...