§§ 98 S. 2, 494a Abs. 2 ZPO; §§ 133, 157 BGB
Leitsatz
Zur Auslegung eines Prozessvergleichs im Kostenfestsetzungsverfahren über die "Kosten des Rechtsstreits" bei bereits vorliegender rechtskräftiger Entscheidung über die Kosten eines vorangegangenen selbstständigen Beweisverfahrens.
BGH, Beschl. v. 27.10.2021 – VII ZB 7/21
I. Sachverhalt
Der Antragsteller hatte beim LG Kempten in einem selbstständigen Beweisverfahren die Beweiserhebung über angebliche Planungsfehler des Antragsgegners bei der Erbringung von Architektenleistungen durch Einholung eines Sachverständigengutachtens beantragt. Nach Durchführung der Beweiserhebung hat das LG Kempten den Antragsteller durch Beschl. v. 7.6.2019 zur Klageerhebung binnen sechs Wochen ab Zustellung des Beschlusses aufgefordert. Dem kam der Antragsteller innerhalb der gesetzten Frist nicht nach. Hieraufhin hat das LG Kempten auf Antrag des Antragsgegners am 5.8.2019 eine Kostenentscheidung gem. § 494a ZPO erlassen, nach der der Antragsteller die dem Antragsgegner entstandenen Kosten zu tragen hat. Rechtsmittel wurden gegen diesen Beschluss nicht eingelegt.
Mit Klageschrift vom 3.9.2019 erhob der Antragsteller beim LG Kempten Klage gegen den Antragsgegner auf Zahlung von Schadensersatz wegen Pflichtverletzungen aus dem Architektenvertrag der Parteien, die Gegenstand des vorangegangenen selbstständigen Beweisverfahrens waren. Dieser Rechtsstreit wurde am 12.2.2020 durch Vergleich vom 12.2.2002 beendet, der im Kostenpunkt vorsah, dass die Kosten des Rechtsstreits zu 1/10 vom Antragsgegner und zu 9/10 vom Antragsteller getragen werden.
Vor Erhebung der vorgenannten Klage hatte der Antragsgegner im selbstständigen Beweisverfahren einen Kostenfestsetzungsantrag über zuletzt 6.663,30 EUR gestellt. Der Rechtspfleger des LG hat nach Abschluss des Hauptsacheverfahrens in dem selbstständigen Beweisverfahren die Kosten in dem Kostenfestsetzungsbeschl. v. 11.3.2020 antragsgemäß festgesetzt. Ein Rechtsmittel gegen diesen Kostenfestsetzungsbeschluss ist nicht eingelegt worden.
Durch Beschl. v. 15.9.2020 hat die Rechtspflegerin den Kostenfestsetzungsbeschl. v. 11.3.2020 von Amts wegen mit der Begründung aufgehoben, dieser Beschluss berücksichtige nicht die im Hauptsacheverfahren ergangene Kostenentscheidung und sei daher unrichtig. Die Kosten des selbstständigen Beweisverfahrens seien auf der Grundlage der Kostenentscheidung des Hauptsacheverfahrens neu festzusetzen.
Gegen diesen Aufhebungsbeschluss hat der Antragsgegner sofortige Beschwerde eingelegt, die – nach Nichtabhilfe seitens der Rechtspflegerin – das OLG München zurückgewiesen hat. Dies hat das OLG damit begründet, der Rechtspfleger des LG Kempten habe im Kostenfestsetzungsbeschl. v. 11.3.2020 trotz der bereits im Hauptsacheverfahren getroffenen abweichenden Kostenregelung im Vergleich vom 12.2.2020 über die Kosten des selbstständigen Beweisverfahrens auf der Grundlage des Kostenbeschl. v. 5.8.2019 die außergerichtlichen Kosten des Antragsgegners gesondert festgesetzt. Wegen der vorliegenden Identität der Parteien und des Streitgegenstandes zählten die Kosten des selbstständigen Beweisverfahrens jedoch grds. zu den Kosten des Rechtsstreits. Zwar sei – so das OLG München – der Kostenbeschl. v. 5.8.2019 formal rechtskräftig geworden. Die gem. § 494a Abs. 2 ZPO ergangene isolierte Kostenentscheidung über die Kosten des selbstständigen Beweisverfahrens habe jedoch nicht unabhängig vom Ausgang des Hauptsacheverfahrens endgültig Bestand. Vielmehr habe der Kostenbeschluss nach § 494a Abs. 2 ZPO nur vorläufigen Charakter und stehe unter der auflösenden Bedingung, dass in dem nach der Fristsetzung anhängig gemachten Hauptsacheprozess eine abweichende Kostengrundentscheidung ergehe. Das OLG München hat seine Entscheidung ferner damit begründet, die Parteien hätten in dem gerichtlichen Vergleich vom 12.2.2020 nicht bestimmt, dass es hinsichtlich der Kosten des selbstständigen Beweisverfahrens bei dem Kostenbeschl. v. 5.8.2019 verbleiben solle. Vielmehr hätten die Parteien in dem Vergleich die Kosten des Rechtsstreits ohne eine weitere Differenzierung nach einer einheitlichen Quote verteilt.
Schließlich hat das OLG München die Auffassung vertreten, die Rechtspflegerin sei trotz der formalen Rechtskraft des Kostenfestsetzungsbeschl. v. 11.3.2020 nicht gehindert gewesen, diesen aufzuheben, da diesem eine zum Zeitpunkt der Entscheidung durch die Kostenregelung aus dem Hauptsacheverfahren schon prozessual überholte Kostenregelung zugrunde gelegen habe. In einem solchen Fall entfalte der Kostenfestsetzungsbeschluss von Beginn an keine rechtlichen Wirkungen. Die Rechtspflegerin habe ihn deshalb zur Beseitigung des falschen Rechtsscheins aus Gründen der Rechtsklarheit zu Recht deklaratorisch aufgehoben.
Die dagegen von dem Antragsgegner eingelegte Rechtsbeschwerde hatte beim BGH Erfolg.
II. Grundlagen der Kostenfestsetzung
1. Gesetzliche Regelung
Gem. § 103 Abs. 1 ZPO ist Grundlage der Kostenfestsetzung ein zur Zwangsvollstreckung geeigneter Titel. Der im Kostenfestsetzungsverfahren nach § 104 ZPO zu erlassende Koste...