Die Frage der Erhebung von Zustellauslagen wird seit 1.1.2021 intensiv diskutiert. Das AG Stade schließt sich damit der Meinung des AG Karlsruhe vom 8.10.2021 (30 IK 31/21) an und sieht keine Veranlassung, aus Nr. 9002 GKG KV einen generellen Abzug bei den Zustellauslagen vorzunehmen. Vielmehr stelle die zahlenmäßige Schwelle von 10 Zustellungen eine Größenordnung dar, die – wie bei den Zuschlägen und der dort angesetzten 5 % Schwelle auch – die Grenze zwischen einem geltend zu machenden Zuschlag wegen Mehraufwandes oder eines hinzunehmenden Bagatellcharakters bilde. Sei dieser Schwellenwert überschritten, sei folglich insgesamt der Mehraufwand zu berücksichtigen.

Nach der Auffassung des BGH – im Zuschlagswesen – ist anhand einer Gesamtbetrachtung bezogen auf das konkrete Verfahren ein angemessener Gesamtzuschlag oder Gesamtabschlag zu bestimmen, welcher den Mehraufwand bzw. Minderaufwand des Verwalters in dem konkreten Verfahren wirtschaftlich ausgleichen soll (BGH, Beschl. v. 20.5.2010 – IX ZB 11/07). Grds. wird dabei aber von einer sog. Mischtheorie (auch Mischkalkulation) ausgegangen. Nach allgemeiner Anschauung muss diese Vergütung damit auch nicht stets kostendeckend sein. Vielmehr nimmt man an, dass im Sinne einer sogenannten Querfinanzierung die Vergütung im Einzelfall dann nicht kostendeckend oder auf Gewinn ausgerichtet sein muss, wenn in der Gesamtheit aller bearbeiteter Verfahren insgesamt ein auskömmliches Einkommen verbleibt. Dem pauschalierten Vergütungssystem der InsVV wohnt nämlich eine systemimmanente Querfinanzierung inne, indem ein Verwalter für die Abwicklung eines Verfahrens eine pauschalierte, betragsbezogene Vergütung erhält, die in dem einen Anwendungsfall dem tatsächlichen Aufwand im konkreten Verfahren nahe kommt, ihn in einem anderen Fall deutlich überschreitet und in anderen Fällen auch deutlich unterschreitet. Nicht gedeckte oder im Einzelfall damit unangemessene Kosten bei massearmen Verfahren können damit durch massereiche Verfahren kompensiert werden. Die massearmen Verfahren müssen also im Durchschnitt kostendeckend vergütet werden. Allgemein wird zudem angenommen, dass ein "Mehraufwand" auch erst ab Überschreiten eines gewissen Toleranzspielraums angesetzt werden kann. Dies wird bei einem messbaren Mehraufwand von 5 % angenommen. Darunter liegende Zuschläge sind im Rahmen der Mischkalkulation berücksichtigt und mit der Regelvergütung abgedeckt.

Diese Grundsätze zieht das AG Stade – wie auch das AG Karlsruhe – analog für das Zustellungswesen heran, indem es eine Bagatellgrenze von 10 Zustellungen für Zustellungen sieht. Darunter liegende Verfahren, also mit geringeren Zustellungen, sollen eingepreist sein und einen merklichen Mehraufwand vermissen lassen. Darüber hinausgehende Verfahren mit mehr als 10 Zustellungen wiederum lassen die Ansatzschwelle überschreiten, sodass dann insgesamt der Mehraufwand zu honorieren sei.

Nicht thematisiert wurde durch das AG Stade die wesentlich komplexere Frage: Darf das Gericht seine ihm eigentlich zustehenden hoheitliche Aufgabe der Vornahme von Zustellungen "kostenfrei" an einen Insolvenzverwalter delegieren und damit quasi "für den Verwalter" eine Nichterhebung von 10 Zustellungen regeln? Dies erscheint zumindest bedenkenswert und lässt sich allenfalls mit der Erhöhung und Anpassung der InsVV zum 1.1.2021 und der damit denkbaren "Einpreisung" der Bagatelle rechtfertigen.

Das AG Stade folgt mit seiner Entscheidung der Ansicht des AG Karlsruhe vom 8.10.2021 (30 IK 31/21). Demgegenüber bestehen die gegenteiligen Auffassungen des AG Hamburg vom 4.2.2022 (68h IK 35/21) sowie des AG Norderstedt vom 21.12.2021 (65 IK 27/21).

Dipl.-RPfleger Stefan Lissner, Konstanz

AGS 2/2022, S. 84 - 85

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