§ 34a BVerfGG
Leitsatz
Erledigt sich nach Erhebung der Verfassungsbeschwerde das Verfassungsbeschwerdeverfahren, ist für die Entscheidung über die Auslagenerstattung der Grund, der zur Erledigung geführt hat, von wesentlicher Bedeutung.
BVerfG, Beschl. v. 16.12.2022 – 2 BvR 1203/22 (BVerfG, Beschl. v. 29.12.2022 – 2 BvR 1216/21)
I. Sachverhalt
1. Verweigerte PKH (2 BvR 1203/22)
Der Beschwerdeführer hatte beim VG Prozesskostenhilfe (PKH) beantragt. Der Antrag ist vom VG abgelehnt worden. Dagegen hat der Beschwerdeführer Verfassungsbeschwerde eingelegt. Danach hat das VG dem PKH-Antrag in Bezug auf bestimmte Klagegegenstände stattgegeben. Das BVerfG hat die Auslagenerstattung angeordnet.
2. Verweigerte Aufenthaltszusage (2 BvR 1216/21)
Der Beschwerdeführer hat beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge eine Aufenthaltszusage beantragt. Diese ist – auch vom VGH München – abgelehnt worden. Dagegen hat der Beschwerdeführer Verfassungsbeschwerde erhoben. Nach einer Gesetzesänderung hat dann das Bundesamt die Aufenthaltszusage erteilt. Der Beschwerdeführer hat daraufhin die Verfassungsbeschwerde für erledigt erklärt. Das BVerfG hat die Auslagenerstattung verneint.
II. Begründung der Entscheidungen
1. Allgemeine Grundsätze des § 34a Abs. 3 BVerfGG
Über die Auslagenerstattung sei – so das BVerfG – in den Erledigungsfällen gem. § 34a Abs. 3 BVerfGG nach Billigkeitsgesichtspunkten zu entscheiden. Die Erstattung der Auslagen nach dieser Vorschrift stelle im Hinblick auf die Kostenfreiheit des Verfahrens (§ 34 Abs. 1 BVerfGG), den fehlenden Anwaltszwang und das Fehlen eines bei Unterliegen des Beschwerdeführers erstattungsberechtigten Gegners die Ausnahme von dem Grundsatz des Selbstbehalts der eigenen Auslagen (vgl. BVerfGE 49, 70, 89) dar (vgl. BVerfGE 66, 152, 154). Bei der Entscheidung über die Auslagenerstattung könne insbesondere dem Grund, der zur Erledigung geführt hat, wesentliche Bedeutung zukommen. So sei es billig, einer beschwerdeführenden Person die Erstattung ihrer Auslagen zuzuerkennen, wenn die öffentliche Gewalt von sich aus den mit der Verfassungsbeschwerde angegriffenen Akt beseitigt oder der Beschwer auf andere Weise abhilft, weil in diesem Fall – falls keine anderweitigen Gründe ersichtlich sind – davon ausgegangen werden könne, dass sie das Begehren der beschwerdeführenden Person selbst für berechtigt erachtet habe (vgl. BVerfGE 85, 109, 114 ff.; 87, 394, 397 f.). Im Hinblick auf die Funktion und die Tragweite der Entscheidungen des BVerfG finde eine überschlägige Beurteilung der Erfolgsaussicht der Verfassungsbeschwerde im Rahmen der Entscheidung über die Auslagenerstattung nicht statt (vgl. BVerfGE 33, 247, 264 f.; Beschl. v. 7.12.2017 – 2 BvR 2160/17).
2. Anwendung der Grundsätze auf die Streitfälle
Die Grundsätze wendet das BVerfG in den entschiedenen Fällen an und kommt zu folgenden – unterschiedlichen – Ergebnissen.
a) Verweigerte PKH (2 BvR 1203/22)
Im Fall der verweigerten PKH hat das BVerfG die Auslagenerstattung angeordnet. Das entspreche der Billigkeit. Das VG habe den mit der Verfassungsbeschwerde angegriffenen Beschluss abgeändert und dem PKH-Antrag in Bezug auf bestimmte Klagegegenstände stattgegeben. Damit habe es zum Ausdruck gebracht, dass es das Begehren des Beschwerdeführers selbst für berechtigt erachte.
b) Verweigerte Aufenthaltszusage (2 BvR 1216/21)
Im Fall der verweigerten Aufenthaltszusage entspricht es nach Auffassung des BVerfG nicht der Billigkeit, dem Beschwerdeführer die Auslagen zu erstatten. Zwar habe das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge dem Begehren des Beschwerdeführers entsprochen, indem es ihm eine Aufenthaltszusage erteilt habe. Es sei jedoch nicht davon auszugehen, dass das Bundesamt der Beschwer – der vorigen Ablehnung des Antrags – deshalb abgeholfen habe, weil es das verfassungsrechtliche Vorbringen des Beschwerdeführers für durchgreifend erachtet hätte. Den verfahrensgegenständlichen ablehnenden Bescheid vom 25.7.2019 habe das Bundesamt darauf gestützt, dass eine erneute Antragstellung im Fall des Beschwerdeführers nicht zulässig sei und ein Wiederaufgreifen des vorherigen Antragsverfahrens nicht in Betracht komme. Sein ursprünglicher Antrag sei im Jahr 2017 abgelehnt worden, weil der Nachweis nicht erbracht worden sei, dass die Möglichkeit zu einer Aufnahme in einer jüdischen Gemeinde im Bundesgebiet bestehe (Nr. I 2. Buchst. e der Aufnahmeanordnung des Bundesministeriums des Innern vom 24.5.2007 in der Fassung vom 21.5.2015). Daher sei eine erneute Antragstellung unzulässig, weil eine solche Möglichkeit nach Nr. II 7. S. 2 Aufnahmeanordnung nur bei einer Ablehnung aufgrund fehlenden Nachweises der jüdischen Nationalität bzw. Abstammung (Nr. I 2. Buchst. a Aufnahmeanordnung) bestehe.
In seinem dann stattgebenden Bescheid vom 20.7.2022 habe das Bundesamt die Zulässigkeit des Antrags damit begründet, dass die Aufnahmeanordnung durch das Bundesministerium des Innern im März 2022 geändert worden sei und seitdem für Antragstellerinnen und Antragsteller aus der Ukraine die Möglichkeit einer einmaligen erneuten Antragstellun...